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- 14 - Der Mann auf Rädern machte vor dem Podium Halt. Er saß zu Evas Füßen, die Hände ruhten. Den Kopf hielt er lauschend emporgereckt. "Und seine Mutter?” Eva wiederholte die Frage und starrte dem Mann ins Gesicht. Es mußte ein junges Gesicht gewesen sein. ”Und seine Mutter?” Noch einmal fragte Eva, sie fragte in den Saal hinein. Es war still - totenstill ... Da zog sie jemand am Arm nach hinten, schob sie hinter den Vorhang und zischte: "Warum bleibst du stecken? Versaust das ganze Programm!” Es war die Scharführerin. Sie hastete wieder auf die Bühne und dirigierte das Lied: "Kein schöneres Land in dieser Zeit ...” Eva schlich hinaus wie eine Diebin. Es war Nacht, eine jener Nächte, in denen kein Mond scheint und die im Kriege günstige Nächte waren, weil sie eine Ruhe ohne Fliegeralarm versp? achen. Sie kam sich allein vor, ausgestoßen aus einer Gemeinschaft, die den verwundeten Helden Freude brachte#. Während sie im Häuserschatten dahinlief, ruderte der Mann auf dem Wägelchen hinter ihr her. Eva drehte sich um. Nein, da war niemand. Sie versuchte, das Gedicht noch einmal vor sich herzusprechen. '•Und seine Mutter?” Sie kam nicht über diese Stelle hinweg. Da begann sie zu laufen, als sei ein Gespenst hinter ihr her. + Wenige Tage später bekam Eva eine Vorladung als Zeugin vor Gericht. Die hatte im Milchladen dabeigestanden, als eine Frau aus der Nachbarschaft weinte und laut den Krieg verfluchte,