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Authenzität. "Die Vergangenheit zu besitzen, aber nicht die Gegen wart, das bedeutet, daß man anfängt senil zu werden." Vielleicht ist es dies. Die Zukunft als Künstlerin, ein überdenken der Werte, wie weit bin ich bereit, das zukünftige Leben avantgardistich zu lösen. So exi stentiell hat diese Frage nie bestanden. Nun völlig an den Rand ge drängt: jung - dynamisch - erfolgreich, gilt es sich zu entscheiden. Verinnerlichen oder kämpfen. Margaret Atwoods Roman "Surfacing" erschien bereits 1973, obwohl Margaret Atwood seitdem etliche Romane und Erzählbände ver öffentlichte, u.a. "Lady Orakel", "Verletzungen", "Der Report der Magd", "Unter Glas", "Katzenauge", so ist "Surfacing" bisher das konsequenteste Buch, subjektive Erfahrungen und gesellschaftliche Befindlichkeit stehen im direkten Kontext mit geschichtlicher Tradi tion. Dennoch besitzt der Handlungsort Kanada eine Stellvertreter funktion, die gesellschaftliche Problematik des nordamerikanischen Kontinents ist der europäischen sehr ähnlich in seinen Strukturen. Die namenlose Heldin begibt sich auf die Suche nach ihrem verschwun denen Vater und begegnet den Stätten ihrer Kindheit. Die Suche gerät im Laufe der Handlung zur Metapher; die Suche der Heldin nach ihrer verschütteten Identität, ihre vergangene glückliche Kindheit wird zum Synonym des Geborgenseins, im Kontrast zur Wirklichkeit. Die Reise tritt die Ich-Erzählerin mit drei Freunden an, mit dem Ehepaar David und Anna und ihrem Lebensgefährten Joe. Sie ahnt, daß die Rei se in die Vergangenheit schmerzhaft werden kann, so erhofft sie sich Unterstützung von ihren Freunden, muß aber erkennen, umso mehr sie mit dem Ort ihrer Kindheit konfrontiert wird, ein von der Zivilisa tion relativ abgeschlossenes Seengebiet, daß eine Verständigung fernab des großstädtischen Lebens auf der Basis des natürlichen, ehrlichen Umgangs miteinander nicht möglich ist. Die Erzählerin ist dazu nicht in der Lage, ihre Freunde ebenfalls nicht. Änna ist die typische Vertreterin einer Frau, die die patriarcha lischen Machtstrukturen verinnerlicht hat, unfähig zur Eigenständig keit, zum Formulieren ihrer eigenen Bedürfnisse und Wünsche. Sie kann sich nur über ihren Mann David definieren und antwortet, wenn sie nach ihrem Tun befragt wird: "Ich bin Davids Frau." Die Erzäh lerin sagt über sie: "Ihr Körper war ihre einzige Waffe, und sie kämpfte um ihr Leben, es war ihr Leben, ihr Leben war der Kampf: Sie kämpfte gegen ihn, denn wenn sie sich jemals ergab, würde das Gleichgewicht der Kräfte gestört, und er ginge woanders hin. Um den Krieg fortzusetzen." Das heimliche Aufträgen ihres Make-up gerät im doppelten Sinn zum Aufsetzen einer starren Maske angesichts der un berührten Natur, die jegliche Künstlichkeit von selbst verbietet. Das Ehepaar Anna und David trägt seine Machtkämpfe in verletzenden Bemerkungen, Erniedrigungen und über den Sex aus. David unterrichtet in der Erwachsenenausbildung Kommunikationsmethoden, ist aber selber nicht in der Lage Kommunikation im Sinne von Verständigung herbeizu führen, sein Selbstbewußtsein ist lädiert. Er gehört zu jener Gene-