Volltext Seite (XML)
,f4 Tagt- FüoHays' Schriftleitung und Geschaftsfkelle in Reichenau,Sa. Fernsprecher-Nr.30O Bsaitei^füp ^elmaikunöe. Gesckilckite, ^Ku nftLi^epatur^ «S«LW»l l! >>> Druck«. Verlag:Alwin Marx, Euch druckens! und Zeitungsverlag G.nr.b.H.Reich<rnau i.Sa. SW«r»»»»»»SE»WMW^WMMWMMM>W»2«8W8^ ' ' Si-scher«^ aller Unberechtigter Mitteilungsblatt der Gesellschaft für Anthropologie und Urgeschichte der Gbsrlausitz zu Bautzen, der Gesellschaft für Heimatkunde zu Hoyerswerda jowie des Verbandes „Lujatia" der Humboldt-, Fortbildungs- und Gebirgsvereine der gejamten Gbsrlaufitz. Hauptjchriftleitung: Gtto Marx Äs ich en au (Sachfen), unter Mitwirkung zahlreicher bewährter Heimatfchriftsteller. Manuskripten ist Rückporto bsizusügen, da sonst ein Anspruch auf Rücksendung nicht besteht. Unberechtigter Nachdruck aus der „Gberlausitzsr Hsimatzeitung" wird strafrechtlich verfolgt. Erfüllungsort und Gerichtsstand für Bezieher und Inserenten Asichsnau, Sa. Postscheckkonto: Leipzig Nr. 27 534. Bankverbindung: Gewsrbsbank und Girokajje Äsichenau Nr. IS. Gbsrlausitzsr Dank, Abteilung der Allgemeinen Deutschen Lredit-Anstalt, Sittau. 8. Dezember Oulmond) 1929 Nr. 25 10. Jahrgang Ferdinand Michel Von Gustav Bayn Ferdinand Michels Häuschen stand dicht an der Straße. So nahe stand es am Damm, daß es die Straße zu einer scharfen, unübersichtlichen Kurve zwang. Die Straßenbauer hatten vor achtzig Jahren Rücksicht auf das Weberhaus ge nommen und die Straße in einem Bogen darumgeführt. Das mochte damals zweckmäßig gewesen sein,- die Pferde- suhrwerke hatten Zeit, einander auszuweichen. Als aber drüben, auf der anderen Seite, der alte Bauerjörge einen neuen Gasthof an Stelle der alten Schenke htnsetzte und dadurch die Straße noch mehr einengte, als die Fahrräder und gar die Autos aufkamen, wurde diese Kurve zu einem Verkehrshindernis. Die Landstraße, lange Zeit durch die Eisenbahnen als wichtige Verkehrsader in den Hintergrund gedrängt, er langte mit der Entwickelung des Kraftfahrwesens eine neue, nie geahnte Bedeutung. Ganz besonders, wenn sie, wie die Feldersöorser, zwei Industriestädte verband. So nahe stand Michels Haus am Damm, daß ein Schritt genügte, um von der Straße aus das Fensterbrett zu er reichen. Alt und baufällig nannten die Leute das Haus. Aber so war es schon vor Jahrhunderten gewesen. Selbst die älteste Frau im Dorfe kannte es nicht anders. Weit bis ins 18. Jahrhundert hinein zeigte das Kirchenbuch den Namen Michel. Solange stand bestimmt das Haus und war un unterbrochen im Besitztum von dieser Familie. Zwei starke Pfähle, festgerammt im Damm, stützten die Fachwerkwand und verhinderten so ein Herausfallen der braunen, zer schlissenen Balken. Das Schobendach wies auf seiner dunkel grün bemoosten Fläche allerdings hellgelbe, ausgebesserte Stellen auf. Dafür sorgte Ferdinand Michel. Er war in seinen jungen Jahren Dachdecker gewesen und wußte ein Strohdach zu behandeln. Im Winter saß er, wie die meisten Männer des Dorfes, hinter dem Webstuhl. Aber seit den letzten zwanzig Jahren war ein Stroh dach nach dem andern verschwunden. Alte, baufällige Buden brannten ab oder wurden niedergerissen. An ihrer Stelle standen neue massive Häuser mit rotleuchtenden Ziegel dächern. Das Bild des Dorfes hatte sich innerhalb eines Menschenalters völlig verändert. Da saß Ferdinand nun auch im Sommer hinter dem „Wirkestuhle", wohl als einer der letzten seiner Zunft. Er war klein und hager von Gestalt, mit schmächtigem Gesicht und hervortretenden Backenknochen. Fast immer hing ihm ein Büschel schlichten weißen Haares in die Stirn. Der bartlose Mund und die herbzusammengekniffenen Lippen, die sich nur selten zum Sprechen öffneten, gaben dem Ge sicht einen fast ernsten Ausdruck. Die klugen, lebhaften Augen, die durch kleine, ellipsenförmige Brillengläser blin zelten, zeugten von Ferdinands eigenem Willen. Ja, den hatte er! Was er sich einbildete, behauptete er auch. Fest hing er am Alten, Hergebrachten. Ferdinand schien der neuen Zett zu trotzen. „Geht mir weg mit Euerm gebrannten Lehm! Stroh, bleibt Stroh! Nichts anders kommt mir auf mein Dach!" hatte er einmal dem Ziegeldecker gesagt, der ihn zum Umdecken seines Hau ses verleiten wollte. Er webte täglich seine Jnlettletnewand, sog mit dem Mund den Faden durchs Schützenloch, als ob er Gerstenkaffee schlürfte, und strich jeden Morgen seinen „Schlichtbabbe" auf die Werste. Auch Sonntags früh, vor der Kirche, hörte man das Gekrache der schweren Wirke- lade. Aber den Gottesdienst versäumte er deshalb nicht. Wenn die Gemeinde den „großen" Glauben sang „— nach diesem Elend ist bereit —", dann sahen die Frauen schon nach der Empore auf Michels Platz. Er mußte kommen! „Ferdinand ist nicht mehr weit!" sagten sie sich. Und er kam. Sonntag nachmittag stand der Webstuhl still. Da las er in seinem Budissiner Schreibkalender oder im Predigtbuch. Sobald es dunkelte, wurden die Fensterritschel zugeschoben, und nun verrichtete er lautlose Arbeiten am Webstuhl, wie „Andrehen der Kette" oder er schob den „Scherrahmen" bis in die späte Nacht. Seine Frau, die Christe, machte ihm die Spulen und trieb ihm das Garn auf die Pfeifen. Sie fütterte die zwei Ziegen, kochte ihm alle Morgen Mehlsuppe, alle Mittage ganze Kartoffeln und abends Kartoffelsuppe.