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334 «Dbevlausitzor HslmaLzsiiung 21 der Stadt aber waren die Gelbgießer, Schmiede und Schlos ser dabei, Kugeln zu gießen und die Geschütze in Stand zu setzen. Allein 18 neue Geschütze hatte der Stadtrat anfer tigen lassen. Die Wassergräben wurden nachgesehen, damit es bei etwaigen Bränden nicht an Wasser fehle. Die Mauern wurden ausgebessert, die Türme „bestückt". Alle Hände voll hatten die Bewohner zu tun. Auf ihren Wegen gegen Bautzen hatten die Hussiten am Czorneboh halt gemacht, um die Lage in der Stadt zu erkunden. Molesto, ihr Führer, hatte einen seiner Knechte vermummt nach der Stadt geschickt, wo er Peter Pretsch witz, den Stadtschreiber, wohnen wußte. Der hatte sich er boten, die Stadt zu verraten. Ihn ließ er zu sich kommen. Er wollte mit ihm die letzten Vorbereitungen besprechen, damit die Tat auch gelänge. Bei Nacht und Nebel schlich sich Pretschwitz aus der Stadt hinaus nach dem fernen Berge, wo ihn Molesto am Lagerfeuer erwartete. Pretschwitz hatte sich mit einigen Adligen, die auf den Rittergütern in der Lausitz wohnten, verschworen. Der Landadel war den aufblühenden Städten seit langem feind. Sie waren ihm zu mächtig geworden, maßten sich an, den Rittern Vorschriften zu machen und legten sie gar in Strafe, wo sie sich widerspenstig zeigten. Von sich aus konnten die Ritter gegen die festen Städte nichts ausrichten. Wenn aber der Feind ins Land kam, dann wollten auch sie sich für erlittene Unbill rächen. Peter Pretschwitz hatte mit ihrer Unterstützung alle Vorbereitungen für den Verrat getrof fen. Molesto gab ihm im Voraus dafür 100 Schock Groschen; und wo das Werk gelänge, sollte er jährlich 10 Schock haben, so lauge er lebte. So kam der 12. Oktober heran. Im Dunkel der Nacht hatten die Hussiten das letzte Stück Weges zurückgelegt. Als der Tag anbrach, standen sie vor der Stadt. Wie ein Lauf feuer ging es durch die Straßen: „Die Ketzer vor den Toren!" Angst und Schrecken malte sich auf den bleichen Gesichtern der Bewohner. Ein jeder eilte an den Platz, der ihm zugewiesen war. Die Feinde hatten einen Boten auf das Rathaus gesandt. Der sollte die Schlüssel holen, der Stadtrat schickte ihn aber zurück mit der Antwort, daß er die Stadt nun und nimmer ausliefern wolle, und daß die Bürgerschaft entschlossen sei, sie bis zum letzten Mann zu verteidigen. Molesto hielt ans schwerem Schimmel vor dem Tor. Als er die Botschaft des Rates hörte, ließ er zum Sturme bla sen. Wälle und Gräben waren im ersten Anlauf genommen. Nun galt es den festen Mauern. Wie Katzen sprangen die Belagerer heran. Am heißesten tobte der Kampf am Schülertor, am Reichenturm und am südlichen Abhang nach der Spree zu. Die Bürger hielten sich tapfer. Auch der letzte Mann war aufgeboten und tat auf den Mauern seine Pflicht. Die neuen Geschütze sandten vom Wasserturm den Tod in die feindlichen Scharen hinab. Da, mitten im wüten den Ringen erschien in atemloser Hast ein Brauknecht vor Thimo von Cvlditz, welcher die Verteidigung leitete. Er kam geradewegs vom Pulverturm: „Herr," stammelte er, „das Pulver ward von Frevler-Hand genäßt!" Den Kom mandanten durchzuckte es jäh. Nur einen Augenblick, dann faßte er sich wieder. Denn wenn e r in Bestürzung geriet, dann wären sie alle verloren, die um ihn her so tapfer Haus uud Herd beschirmten. Wütender wurde der Ansturm der Feinde. Hatten sie erfahren, daß den Bürgern die beste Waffe zerschlagen war? Die Männer sandten Pfeil um Pfeil auf die andrängenden Horden. Hier und dort waren diese schon bis an die Mauern heran, legten Leitern an und suchten, die Mauern zu er klettern, da aber prasselten Hagel von zentnerschweren Stei nen auf sie hernieder, Männer und Leitern mit sich fort reißend und unter sich zermalmend. Berge von Leichen lagen unten im Feld. Die Gewalt der Feinde schien zu weichen. Doch da: ivas war das? Bon -er Kesselgafse stie gen Rauchwolken zum Himmel. Ein Haus ging in Flam men auf. Mit roten Zähnen biß sich das gefräßige Element durch die Häuserzeile. Bald lag das ganze Stadtviertel in Asche, Verräter waren am Werk, die verwaisten Häuser an zustecken. Feinde da vorn! Feinde da hinten! Es war ein verzweifeltes Ringen. Kaum Hatten die feindlichen Heere die Flammen gesehen, da wälzten sie sich mit neuer Wucht heran. Zwei Tage hielt ihr ungestümes Drängen nun schon an. Die Stadt würde sich kaum länger halten können. Aber noch wehrten sich die Bürger mit Heldenkraft. Peter Preisch- witz stand mitten unter ihnen und schickte seine Pfeile hin unter. Und ob er schon die Armbrust über die Köpfe der Feinde hinweg richtete, sah es doch niemand. Da geschah es, daß — während er einen neuen Pfeil auflegte — ihm ein zusammengerolltes Zettelchen entfiel. Er geriet in Ver wirrung und sah sich um, ob es wohl jemand bemerkt haben möchte. Wohl hatte der, der hinter ihm focht, den Vorfall wahrgenommen. Allein, wie sollte er Argwohn hegen! Immer neue Scharen warf der Feind gegen die Stadt. Oben auf den Mauern standen die Weiber an der Seite ihrer Männer. Aus Kannen und Pfannen schäfteten sie kochendes Pech, siedendes Öl uud dampfendes Wasser über die Leiber der Andrängenden. Die Not stieg aufs höchste. Molesto selbst war in die vordersten Reihen der Stürmen den getreten. Unbemerkt hatte er die Leiter erstiegen. Nun setzte er den Fuß auf die Mauer. Da traf ihn ein wohl gezielter Pfeil in die Kehle. Rücklings stürzte er in die Tiefe hinab. Als die Feinde sahen, daß ihr Führer ge fallen war, entsank ihnen der Mut. Zwietracht in den eige nen Reihen schwächte ihre Kraft. Jeder wollte sich zum Führer aufwerfen. Niemand mochte mehr kämpfen. Am Abend stellten sie das Stürmen ein. Noch in der Nacht zogen sie ab. Die Stadt war gerettet! Als Thimo von Cvlditz am Morgen als letzter seinen Platz ans der Mauer verließ — in dankbarem Gedenken an den Ewigen versunken, den Blick zu Boden gerichtet —, da fand er wie von ungefähr ein Zettelchen zertreten im Sande. Er hob es auf und las: „Pulver vernichtet — Bür ger am Ende ihrer Kraft — Kommt bei -er Halbengasse herein!" Er traute seinen Augen nicht. Noch einmal las er. Da flammte es in ihm auf in gerechtem Zorn. Noch zur Stunde forderte er die Männer auf den Markt. Wer etwas um den Verrat wüßte, der sollte ihm Rede stehn. Da drängte sich einer aus den Reihen vor und berichtete, daß er beim Kampfe hinter Pretschwitz gestanden und gesehen habe, wie diesem ein Zettelchen entfallen sei, das er — wie er erst jetzt erkenne — wohl um den Pfeil gewickelt haben mochte, um auf solchem Wege dem Feinde Kunde zu geben von der Lage in der Stadt. So kam die dunkle Tat des Verräters ans Licht, die Henkersknechte griffen ihn und warfen ihn in den Turm. Dort mochte er drei Monde in harter Haft schmachten. Unter der Folter gestand er, wie er Molesto verschworen gewesen sei und diesem gegen Lohn gelobt habe, die Tore dem Feinde zu öffnen; wie er das Pulver vernichtet und Feuer in der Stadt angelegt und die Feinde durch um die Pfeile gewickelte Zettel unterrichtet habe. Am 6. Dezember desselben Jahres traf ihn der Richterspruch. Auf offenem Markte wurde er in eine Kuhhaut eingenäht. Sv schleifte man ihn durch alle Straßen der Stadt. Dann riß man ihm bei lebendigem Leibe das Herz aus der Brust und warf es ihm ins Gesicht. Zuletzt vierteilte mau den toten Körper. An jedes Stadttor wurde ein Viertel seines Flei sches genagelt, zur Warnung aller. Sein Kopf aber wurde am Nikolaiturm eingemauert. Von dort schaut heute ein steinernes Haupt aus grauem Gemäuer hernieder. Kinder bleiben unter dem Tore stehen, weisen mit Fingern dar auf und erzählen einander die Geschichte von Peter Pretsch witz, dem Verräter.