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724 I?. Literatur und Geistesleben. stehen bei ihnen im Dienste des Verstandes und unter der Zucht kritischer Grundsätze. Ein natürlicher Aufschwung der Seele, ein inneres Schauen gelten ihnen als Eigen schaften, die nur durch Anwendung des Zügels zweckmäßig gebraucht werden können. Pegasus muß van Verstand, Kritik und Regel gelenkt und geleitet werden Reflexion, Studium und ästhetische Bildung sind die Schule und Lehrmittel des Dichters. Den Parnaß erschwingt man nicht mit dem Auge des Sehers, man erreicht ihn durch müh sames Aufsteigcn mittelst zweckmäßiger Hülfsmittcl. Es war gleichsam eine Rcaction gegen diese canventionellcn Gcschmacksrcgcln, gegen diese „Unterhaltungen des Witzes und Verstandes", daß sich am Ende des Jahrhunderts eine Fluth von Fcenmärchcn nuf- that, die nach dem Borbildc der orientalischen Erzählungen „Tausend und eine Nacht" der freien Einbildungskraft ihr Recht zu vindicircn suchten. Am bekanntesten waren „die Märchen meiner Mutter Gans" von deni genannten Karl Pcrrault, dem Verfechter der modernen Literatur im Vergleich mit den Alten, und die „vier Fakardine" des Gra sen Anton von Hamilton. Meistens von Damen cultivirt (La Force, d'Annoy u. a.) wurden die Fecnmärchcn mit der Zeit zu pädagogischen Zwecken ausgcbeutet. Selbst Fenelon hat für die Erziehung des Herzogs von Bourgogne solche Spiele der Phantasie geschrieben. II. Philosophie. l. Lartesius, ffeukmp und Zlkalebranche. Das SEn Die moderne Gcsammtbildung ging zunächst ans dem Bestreben hervor, Wahrtes ^ 8'effcln abzustreifen, welche das Mittelalter der freien menschlichen Entwickc- " ' lung ans allen Lcbensgcbieten angelegt, mit der Tradition zu brechen und auf das Ursprüngliche zurückzugehen. Nachdem die Naturwissenschaft und Astrono mie sich von den kirchlichen Banden befreit, die Reformation gegen den Dogma tismus der Scholastik Protestation erhoben, suchte der denkende und forschende Geist auf neuen Wegen, ohne sich an die Voraussetzungen einer geoffenbarten Wahrheit, einer positiven Wissens- und Glaubensnorm zu halten, zu einer höheren Erkenntnis; über das Universum, zu einer weiteren und freieren Welt- wcisheit cmporzusteigen. Eopernicus und seine Nachfolger hatten die mittelaltcrigc Gebundenheit der Weltanschauung in ihrer äußern Erscheinung zerrissen, durch die Reformatoren war das kirchliche Glaubenssystem erschüttert worden; nun galt es zunächst aus dem Vorrathshause geistiger Arbeiten und Errungenschaften neue Waffen und Werkzeuge für einen selbständigen Wissenschaftsbau auszusuchcm Was war da natürlicher, als daß man die verschiedenen Gestaltungen der Ge dankenwelt des griechischen Alterthums von Neuem als Inbegriff des philoso phischen Erkennens und als Richtschnur des Lebens aufstellte, nur bereichert uttd im Einzelnen rcctificict durch die neuen Entdeckungen in den Räumen des Hü"" mels und der Erde? Wir haben gesehen, wie bereits am Ende des sechzehn^" Jahrhunderts der Italiener Bruno, von mathematischen und astronomische" Studien ausgehend durch eine neue Naturphilosophie den Dualismus zwisäst"