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Seite 2. Nr. 284. Sonmsss-Nnsüsde. Lrlpzlser Tageblatt. Deutsch-südwestafrika — die möglichst umgehende Einführuna solcher Verordnungen -u erstreben. 2. Die Deutsche Kolonialgesellschaft empfiehlt, die Verbesserung der Gesundhcitsver. hält nisse größerer Orte und wichtiger Einzel- gcdiete in unseren Kolonien, insbesondere die Be- läinpfung der Malaria und anderer einheimischer tropischer Krankheiten, bestimmten, in der Tropen hygiene besonders erfahrenen Acrzten zu über tragen, die als Kommissare des Gouverneurs wirken und mit der Ausführung der von ihnen ge machten und vom Gouverneur genehmigten Vor schläge verantwortlich betraut werden müssen. 3. Die Deutsche Kolonialgelcllschast empfiehlt, den Aussckuß für Schiffs- und Tropenkrankheiten des Reichsgesundhcitsratcs in einen ständigen Beirat für das Gesundheitswesen in den Ko lonien uinzudilden Dieser Beirat must zu zwei Dritteln aus AerNcn bestehen, die über eigene längere Ersahrungen ans den» Gebiete der Tropenhygiene verfügen. Dieser Beirat ist jährlich mindestens ein mal zu berufen, iin» find alle grösseren Pläne des Acichskolonialamies, soweit sie sich auf sanitäre fragen beziehen, zu unterbreiten, ehe die zu ihre: Ausführung erforderlichen Mittel im Budget ange fordert werden. Zu den Verhandlungen dieses Bei rates sind, wie es schon früher geschehen ist, Ver treter und Sachverständige der kolonialen Handels und Pflan;»nqsge>cllschästen hinzuzuziekcn. Der koloniale Gefundheitsbeirat ist belügt, eigene An träge an die Kolonialverwaltung zu stellen, und muh berufen werden, wenn ein Drittel seiner Mitgl cder dies beantragt. 4. Der möglichst gründlichen Vorbildung, nament lich der höheren Beamten und der Offiziere, in der Tropenhygiene ist der allergrösste Wert beizulegen. Diese Anträge begründete Professor Z i e m a n n, der in erster Lrnie daraus hinwies, dast ein geregeltes Zusammenwirken von Arzt und Verwaltung in den Kolonien notwendig sei. — Die Anträge wurden schließlich angenommen. Der nächste Punkt der Tagesordnung betraf den Antrag des Ausschusses, daß im Oktober 1914 ein Regicrungscirzt und ein Negierungstierarzt in Dares salam der Expedition des Dr. Schilling zugeteilt werden, die beiden Herren sich in Makatumbc in die Versuche des Dr. Schilling einarbeiten sollen, um nach der Abreise der Expedition diese Versuche unter der Oberleitung des Vorstandes des Scuchcninstituts in Daressalam weitcrzuführen. Auch dieser Antrag wurde angenommen. Die Abteilung Heide hatte folgenden Antrag ein gebracht: „Die Hauptversammlung wolle beschließen, den Herrn Minister der geistlichen und Unterrichts angelegenheiten zu ersuchen, Laß er für eine aus gedehnte re Behandlung unserer kolonialen Erdkunde in den Schulen Sorge tragen möge." — Der Antrag wurde ohne Debatte angenommen. Schließlich beschäftigte sich die Hauptversammlung noch mit folgendem Antrag der Abteilung Westliche Vororte Berlins: „Die Deutsche KolonialgeMschaft bittet den Herrn Reichskanzler, die Förderung des Absatzes der Erzeugnisse unserer Kolo nien durch geeignete Handels- und zollpolitrsche Maß nahmen, u. a. durch tunlichste Richteinbeziehung der Kolonien in die Meistbegünstigung bei neuen Han dclsvcrtrngen sowie Zollbegünstigungen deutsch- lolonialer Rohstoffe nsw., im Auge zu behalten." Rach kurzer Erörterung wurde beschlossen, eine Kom mission zu wählen, die üch mit der Sache beschäftigen soll, da der Antrag noch nicht reif sei zur sofortigen Erledigung. Rach Erledigung geschäftlicher Angelegenheiten war die Tagesordnung erschöpft und der Vorsitzende schloß die 5)äuptverfamm!nng mit Donkcswortcn an die Teilnehmer. politische Ueberlicht IahreskonfecenA -er Statistiker -es -rutschen Neiches un- -er -rutschen Sun-rsstaaten. Annaberg, 6. Juni. Dein Grundsätze gemäß, liebliche Gegenden unseres Vaterlandes ausznsuchcn, die den Groß städten fernliegen und infolgedessen vielen Deutschen unbekannt bleiben, tagte im vorigen Jahre die .Konferenz in Friedrichroda. Seit Mittwoch hat die anmutige Metropole des oberen Erzgebirge» die alte Bergstadt Annaberg, die Ehre, einen auserlesenen Kreis von 32 Her ren aus allen Teilen des Reiches begrüßen zu können. Am Mittwoch abend sand im Hotel „Wil der Mann" ein Bcgrüftungsabend statt, zu dein auch Vertreter der Stadt erschienen waren. Stadtrat Dr. N iedner hieß die Herren, unter denen sich auch der Präsident LeS Statistischen Reichsamtcs zu Berlin, Exzellen» Delbrück, befand, in herzlichen Worten willkommen. Das Königreich Sachsen ist durch den Geheimen Regierungsrat Herrn Prof. Dr. Würzburger vertreten. Die geschäftlichen Verhand lungen tragen internen Charakter und fanden von Donnerstag bis Sonnabend je vormittags iin Hotel „Wilder Mann" statt; in ihnen wurde z. B. über die Formulare der nächsten Reichs volkszählung und über ähnliche die .Reichs behörden und Bundesstaaten gemeinsam inter essierende Arbeiten beraten. An den Nach mittagen nehmen die Herren die Gelegenheit wahr, die Schönheiten unseres oberen Erzge birges kennen zu lernen oder Einblicke in das industrielle Leben zu gewinnen. An den Aben den vereinigen sie sich wieder in Annaberg, um in geselligem Kreise ihre Anschauungen auszu tauschen. Hoffentlich trügt auch diese Tagung dazu bei, die alte Lcsebuchweisheit von der Ar mut des oberen Erzgebirges zu zerstreuen, und veranlaßt manchen anderen noch, unsere Gegend aus eigener Anschauung kennen zu lernen. Vas Posener Gberpräst-ium. O In den Blättern werden nach wie vor unter schiedliche Kandidaten für das durch den unerwarteten Tod des Oberpräsidenten Echwartztvpff srciaewordrne Amt genannt. Bald ist cs Herr Wahn schaffe, bald Herr Gram sch, und dann wieder — dessen Name bei jeder Vakanz in der letzten Zeit wieder kehrt — der Regierungspräsident von Frankfurt a. O., Herr ».Schwerin. Wir möchten empfehlen, allen dielen Nominierungen mit dem denkbar größten Mißtrauen zu begegnen. Zunächst wird man es als Tatsache betrachten dürfen, daß irgendein Ersatz mann nicht auf Vorrat gehalten wurde: mit diesem jähen Hinscheiden des äußerlich jo kräftigen und blühenden Mannes hatte kein Mensch gerechnet. Es handelt sich also darum, jetzt erst auf die Suche zu gehen, und da ist die Frist von acht Tagen wohl zu knapp, daß in ihr schwerlich schon irgendwelche Ent schließungen, ja kaum erst eine engere Wahl getroffen fein dürften. In sonst gutunterrichtcten Kreisen hält man im übrigen eine Kandidatur des früheren Präsidenten der Ansicdlungstommission Eramsch schon um des willen nicht sirr wahrscheinlich, weil, wie man an nimmt, ihr Herr v. Schorlemer sich entgegenstellen würde. Man glaubt auch nicht recht daran, daß der Reichskanzler Neigung trägt, sich von Herrn Wahn- schafse zu trcnncn, über dessen Eignung für das gegen wärtige wie für das Posener Amt wir in diesem Zusammenhang uns jedes Urteils enthalten möch ten. Gegen Herrn v. Schwerin aber ist, zumal in ' den letzten Zeitläuften, eine starke Gegnerschaft in sehr einflußreichen Schichten «rufgekommen, die mit dem großen Ernst und dem redlichen Eifer zusammen hängt, mit dem der Frankfurter Regierungspräsident sich dem Werk und den Problemen der inneren Kolo nisation widmet. Also: bei den bisherigen Meldun gen handelt cs sich wohl durch die Bank um Ver mutungen, um das übliche Herüber und Hinüber von Kombinationen, an dem man am besten sich nicht beteiligt. Es kann auch sein, daß vorläufig das Amt des Posener Oberpräsidenten für eine Weile unbesetzt bleibt. Eine Erklärung -es Generalfel-marschalls von -er Holtz. Ecneralfeldmarlchall Freiherr von der Goltz übermittelt dem Wölfischen Tclcgraphcnburcau fol gende Erklärung: Am 23. v. M. hat im preußischen Abgeordneten haus« der Abgeordnete Adolf Hoffmann an den Herrn Kultusminister die Frage gerichtet, ob er Tat sache sei, daß ich vom Jungdeutschland bunde ein Gehalt von 20 00t) Mark und da neben 35 .tl tägliche Reisespesen nebst freier Fahrt erster Klasse bezöge. Da ich mich auf Reisen befand und nichts davon erfuhr, hat General Freiherr von Vissing im Herrenhause bereits die bündige Antwort erteilt, daß ich vom Jungdeutschlandbunde „keinen Pfennig Gehalt" erhielte, sondern nur Ersatz barer Auslagen (d. h. freie Fahrt und freien Aufent halt in einem Hotel, falls ich nicht in einem Privat hause wohne), daß ich dem Bunde bei der Gründung einen namhaften Beitrag überwiesen und sonstige Zuwendungen gemacht habe. Diese Angaben kann ich lediglich bestätigen, dem General von Bissing für sein schnelles kamerad schaftliches Eingreifen meinen Herzlicken Dank aus sprechen und hinzusiigen, daß ich auch einen Jah resbeitrag bezahle und daß mir aus meiner Stellung als 1. Vorsitzender des Jungdeutschland bundes außerdem eine Reihe fortlaufende Unkosten erwachsen, deren Gesamtbetrag ich wahrscheinlich selbst erheblich unterschützen würde, wenn ich nicht über meine persönlichen Ausgaben leidlich gewissen haft Buch führte. Daß der Herr Kultusminister oder sein Vertreter nicht sogleich geantwortet hat, erkläre ich mir daraus, haß die Sache überhaupt nicht vor das Fprum des Abgeordnetenhauses gehörte; denn der Jungdeutschlandbund wird nicht aus Staats- sondern aus P r i o a t Mitteln erhalten, was in erster Linie der umsichtigen und unermüd lichen Tätigkeit seines ersten Geschäftsführers, Ge neral Jung, zu danken ist. Das Hohe Haus sowohl, als auch den Herrn Abgeordneten A. Hoffmann, ging die ganze Angelegenheit also gar nicht das min deste an. Berlin, den 1. Juni 1914. Frhr. v. d. Goltz Eeneralfeldmarschall. Neue internationale verhan-lungen über gesetzlichen firbriterschutz. Auf der im September vorigen Jahres in Bern abgehaltenen internationalen Konferenz für Arbei- tcrschutz hatten die Delegierten der vertretenen Re gierungen als Ergebnis der Beratungen Erundzüge für zwei internationale Uebereinkommen aufgestellt und den schweizerischen Bundesrat ersucht, den betei ligten Staatsrcgierungen diese Vorschläge zum Zwecke diplomatischer Verhandlungen zu übermitteln. Der schweizerische Bundesrat hat infolgedessen inzwischen zu einer neuen Konferenz cingeladen, die im Sep tember L. I. in Bern stattfinden soll. Vom Deutschen Reich ist bereits die Teilnahme an den Beratungen zugesagt. Die ausgestellten Erundzüge für die inter nationalen Uebereinkommen, die auf der bevor stehenden Konferenz endgültig zum Beschluß erhoben werden sollen, beziehen sich auf ein Verbot der in dustriellen Nachtarbeit der jugendlichen Arbeiter und die Festsetzung einer Höchstarbeitszeit für die in der Industrie beschäftigten Arbeiterinnen und jugend- lichen Arbeiter. Die industrielle Nachtarbeit der Jugendlichen soll bis zum vollendeten 10. Lebensjahre verboten sein; bis zum vollendeten 14. Jahre soll das Verbot unter allen Umständen gelten. Jeder vertragschließende Staat hat Len Begriff der industriellen Unter nehmungen, auf die sich das Abkommen erstreckt, fest zustellen. Dazu zu rechnen sind Bergwerke und Stein brüche sowie die Bearbeitung und Verarbeitung von Gegenständen. In bezug aus die Höchstarbeitszeit für die in der Industrie beschäftigten Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeiter ist vereinbart, daß die Dauer d-er industriellen Arbeit der Arbeiterinnen ohne Unterschied des Alters und der jugendlichen Arbeiter bis zum vollendeten 16. Lebensjahre unter Vorbehalt gewisser Ausnahmen, täglich nicht mehr als 10 Stun- den betragen soll. Das internationale Ueberein kommen soll zwei Jahre nach erfolgter Ratifikation in Kraft treten. Für die deutsche Industrie bringen diese Bestimmungen im wesentlichen nichts Neues, da unsere Arbeiterschutzbestimmungen für Frauen und Jugendliche die in dem internationalen Abkom Svmttsy, 7. Juni 1Sl4. men aufgestellten Einschränkungen bereit» enthalten. Die Gewerbeordnung bestimmt, daß junge Leute zwischen 14 und 16 Jahren nicht länger al» 10 Stun den beschäftigt werden dürfen. Ihre Arbeitszeit darf nicht vor 6 Uhr morgens beginnen und nicht über 8 Uhr abends dauern. Und für Frauen ist da» Ver bot der Nachtarbeit und die Höchstarbeitszeit von 10 Stunden durch die Novelle zur Gewerbeordnung vom Jahre 1908 festgesetzt. Deutsche» Reich. * Der Freiberger Erzbergbau geht völligem Still- stand entgegen, nachdem die Pumpenanlagen unter dem Notschünberger Stollen ausgeschaltet worden sind. Seitdem steigt das Wasser langsam, aber sicher aufwärts, bis es auf dem Niveau des Rotschönberger Stollens angelangt ist. Als Lehr» gruve für die Akademie bleiben nur Teile der Reiche- Zeche und des David-Richt-Schachtes in Freiberg in Betrieb. Der schon viele Jahre stillgelegte Herzog- August-Schacht zwischen Freiberg und Brand ist da gegen wieder zeitgemäß ausgebaut worden. Hier wird das WassergeMe von den oberen Teichen nach dem Rotschönberge^ Stollen zum Antrieb elektrischer Kraftmaschinen ausgenutzt. Recht günstig gestaltet sich dagegen auch jetzt noch das Privatwcrk „Alte Hoffnung Gottes" in Kletnvoigtsberg, das erst in diesem Jahre wieder einen guten Erzgang angefahren hat und infolge günstiger technischer Verhältnisse Lillig arbeiten kann. Das Werk beschäftigt noch etwa 60 Arbeiter, die allerdings keine Verjüngung mehr erfahren. * Der Kaiser traf am Sonnabend morgen um 6V2 Uhr vom Neuen Palais aus auf dem Truppen übungsplatz Döberitz ein und stieg bei Dorf Dö- beritz zu Pferde. Er besichtigte das 1. und 3. Garde- Ulanen-Regimcnt und wohnte darauf dem Preis springen und Preisreiten im Gelände der Offizier korps der Garde-Kaoallerie-Regimenter bei. Hieran schloß sich ein Frühstück im Lagerkasino. * Beförderungen. Der vortragende Rat im Reichs eisenbahnamt Geheimer Oberbaurat Petri ist zum Wirk!. Geheimen Oberbaurat mit dem Range eines Rates erster Klasse, Geheimer Regierungsrat und vortragender Rat iin Reichsamt des Innern Dr. Jung zum Direktor der Kaiserlichen Normal- eichungskommission, der Vortragende Rat Wirk!. Geheimer Rat Grützmacher ist zum Abteilungs chef im Kriegsministerium ernannt worden. * Der Einzug des Kardinals Bettinger in München. Am Sonnabend nachmittag -7.5 Uhr traf Kardinal Dr. von Bettinger aus Rom mit einem Sonderzug in München ein und wurde, wie uns ein eigener Drahtbericht aus München meldet, auf dem Bahnhof mit großen Ehren emp fangen. Der Oberst-Zeremonienmeister Graf M 0 y begrüßte den Kirchenfürsten im Namen des Königs, Kultusminister v. Knilling entbot die Glück wünsche der Staatsregierung. Oberbürgermeister Dr. v. Barscht kielt im Königsjalon des Bahnhofes eine offizielle Ansprache an den Kardinal, worin er der Freude der Münchner Bürgerschaft über den feierlichen Einzug des Kirchenfllrsten Ausdruck gab. Unter dem Geläute der Kirchenglocken der ganzen Stadt fuhr der Kardinal hierauf in einem Hofgala wagen durch das Spalier einer ungeheuren, in laute Hochrufe ausbrechenden Volksmenge nach dem Dom, wo in Anwesenheit der hohen Geistlichkeit und der katholischen Vereine ein feierliches Tedeum ab gehalten wurde. Nach dessen Beendigung begab sich der Kardinal in die Residenz, wo er sofort vom König in Audienz empfangen wurde. * Die Angelegenheit der Dampfer „Ypiranga" und „Bavaria", denen vom amerikanischen Ober befehlshaber in Veracruz, wie erinnerlich, ein« Geld buße für die Landung von Waffen auferlegt wurde, wird zunächst von der Hamburg-Amerika-Linie selbst betrieben. Ihr Vertreter in New York, Bünz, hat sich nach Washington begeben, um beim Kriegsamt« die Aufhebung der Maßregel zu erwirken. Das amerikanische Kriegsamt s«rgte Prüfung der Sache zu. Sollten dir Schritte der Hamburger Resderei keinen Erfolg Haven, so würde, wie die „L. Z." aus Berlin erfährt, der diplomatische Weg betreten werden. Drittes Leipziger Sach-Zest. IV. Der Scblnütag Ke» dreitägigen Bachfcstcs ward mit einem Frühkonzert in der Tyoinaslirche eingeleitet, da» vorwiegend dem O r g e t komponisten Bach galt. Doch mußte inan sich an Stelle des Meister» mit dem Schüler Professor Strandes, wenn auch mit einem der talentierteste», begnügen. Gewiß für viele der zahlreiche» auswärtigen Bachfestbcsucher, na- meiitlich der Organisten »»d Kantoren, eine Ent- tälischung, die sicli, wie mehrfach zu hören war, gerade auf Strandes tnnstlerische Darbietungen gefreut hatten. Daß der Hof- nnd Ovmorganist Karl G 0 r n--Brannschweig da» einmal fcstgelegte Programm nicht änderte, verdient lodend her- vorgehvden zu werden. Bei seiner Zusammen stellung hatte man deide Gruppen, in die sich Bachs Orgelwerke zusammenfassen lassen, be rücksichtigt: die an den Ckoral gedundencn und die freien Orgelstücke. Wurden von diesen neben Bachs einziger Passacaglia in C-Moll die beiden Präludien und Fugen in A-Motl und D-Dur zu Gehör gebracht, so von jenen eine der vier noch erhaltenen, der Frühzeit Bachs angehörcn- den Choralpartiten «Ckoral mit Variationen) über: „Sei gcgrüßet, Jesu gütig." Der Kon- zertgcbcr war seiner Aufgabe in rein technischer Hinsicht vollkommen gewachsen. Aus Manual nnd Pedal ward alles, auch bei den schwierigsten Stellen, klar und sauber ivicdcrgegcben, zudem wurde gut phrasiert und manch wirkungsvolle Steigerung angebracht. Auch war durchgehends das Bestreben, mit Hilfe der Registrierung die einzelnen Stimmen " klanglich voneinander zu unterscheiden und dadurch deutlich heraustrcteu zu lassen, gar wohl zn verspüren. Am besten gelang dies in der Partitc. Hier wußte Herr Gorn Tempo und Klangfarbe dem Charakter der einzelnen kurzen Variationen wohl anzupassen. In der Auffassung, wie sic sich namentlich aus der Handhabung der einzelnen Register und deren Zusammenstellung ergibt, zeigte sich der Vortragende als Vertreter der älteren Richtung. Klangwirkungen, wie diese unsere modernen Orgelwerke ermöglichen, oft wechselnde Farben- töne, wie sic Meistern der Registrierkunst, wie unferm Straube, in mannigfaltigsten Abtönun gen zur Verfügung stehen und cum s»Ii> xeruw auch beim Vortrag Bachscher Orgelwerke ange wandt werden, wurden gestern niemals benutzt. Mag es auch viele Zuhörer gegeben haben, die mit dec Art d.r Regirierung "durchaus zu frieden waren, ebenso viele waren es ganz ge wiß, denen eine, wenn auch keine allzu moderne, doch abwechslungsreichere, weniger gleichmäßige Klangfarbcnmiscyung erwünscht gewesen wäre. So sagt mir persönlich z. B. Straubes Auf fassung und Wiedergabe des Präludiums und der Fuge in D-Dur in rein klanglicher Hin sicht mit ihren scharfen Kontrasten in dynamischer Hinsicht weit mehr zu als die Gorns. Auch die im übrigen trefflich dargcbotene Passacaglia war iin ganzen mit Ausnahme des Schlußteiles doch etwas zu eintönig gehalten. Zwischen den einzelnen Orgelvorträgen er baute >vie tags zuvor Emmi Leisners aus drucksreicher Gesang die Herzen der Zuhörer. Wie fein und tief erfaßt ward doch der Ltim- muugs- nnd Gefüklsgchalt der einzelnen Ge. säuge, den die Künstlerin mit Hilfe ihrer klang vollen Altstimme und reifen Vvrtragskunst, un terstützt von ihrer ausgezeichneten Atemtechnik nnd Professor Karl Straubes künstlerisch ge schmackvoller Orgelbeglcitung, zu ergreifender Wirkung brachte. Vurt liermsim. V. Die sonnabendliche Festmotcttc in der T Komas kirchc belebte die Erinnerung an den größten aller Leipziger Thomaskantorcn und war gemäß der gesamten Veranstaltung in weiter gespanntem Rahmen gehalten. Choral gesang der Gemeinde wechselte ab mit Motetten nnd Orgelwerken. Das musikalische Hauptwerk Bachs war die fünfstimmigc Motette für Solo und Chor: „Jesu, meine Freude", eins der größten und charakteristischsten Werke der Gat tung, in dem sich Glaubensfrcudigkcit, Kampfes- mnt und individuelle Züge mannigfaltigster Art vereinigen. Hier wie in der vierstimmigen Mo tette: „Sei Lob und Preis mit Ehren" ver flocht Bach die kirchliche Musik mit konzertanten Elementen. Der Thomanerchor und Tho- mastainor Prof. Dr. Gustav Schreck feierte mit der ganz hervorragend schönen Wiedergabe dieser schwierigen, durchaus auf sorgsamste Detaillierung und absolute Klangschönheit ge stellten Kompositionen einen neuen Triumph. An Orgelwerken bot die Fcstmotctle des Mei sters Phantasie über den Choral: „Komm hei liger Geist", das Choralvorspiel: „Kyrle, Gott heiliger Geist" und das Präludium und die Fuge in E-Moll, mit deren Reproduktion Orga nist Max Fest aufs neue seiner musikalisch und technisch hochgeförderten Kunst das beredteste Zeugnis ausstellte. Zwischen den musikalischen Vorträgen hielt Superintendent v. Cordes eine Ansprache, die dem großen Kirchenmusiker Johann Sebastian Bach galt und die Wahrheit des Satzes darlegte, daß dem eigentlichen Wesen dieses Künstlers nicht von der rein ästhetischen Seite allein bcizukommen sei, sondern in erster Hinsicht von der geistlichen, denn Bachs Kunst wurzelt am tiefsten in der Religion. L. 8. VI. Das zweite Kirchenkonzert in der Th omaskirche bildete den Schluß der Bach gcwidmeton musikalischen Veranstaltungen. Johann Sebastian Bachs Hohe Messe in H Moll kennzeichnet eine besondere Phase in des Meisters schaffen. Seinen! ganzen We sen nach strenggläubiger Protestant, hatte er sich schon früher in den vier kurzen Messen mit dem Inhalt des Messetexts vertraut gemacht. Hierzu kam sein lebhaftes Interesse für die italienische Kirchenmusik und die Meister Lotti, Caldara und Palestrina, ferner auch der Um stand, daß sich in der Leipziger Kirchenordnung wesentliche Bestandteile der katholischen Messe erhalten hatten und Responsorien, lateinische Hymnen und das Magnifikat gesungen wurden. Behufs Hebung seines Ansehens inmitten der wenig angenehmen Verhältnisse in Leipzig wünschte Bach in Beziehung zum Dresdner Hos zu treten und sandte im Juli 1733 die ersten beiden Sätze, das Kyrie nnd Gloria, an den Kurfürsten, vollendete aber die Messe erst nach seiner Ernennung zum Hofkoinpositeur. In- solgc ihrer kolossalen Verhältnisse erwies sich die Bachsche Hohe Messe zur Aufführung im gottesdienstlichen Rahmen als durchaus unge eignet. Unter Bachs Kirchenwerken das inhalt reichste und gewaltigste, geht diese Hohe Messe weit hinaus über alle konfessionellen Schranken und stellt sich in ihrer vokal-instrumentalen Totalität dar als ein der Zeit unendlich iveit vorauseilcndes Werk. Die Polyphonie der älte ren Schule verschwistert sich darin mir dem Geiste der modernen Homophonie und die poe tische Tonempfindung und musikalische Schön heit crjüllte die Form der damals alleinselig machenden Fuge, die im Finale der Beethoven- schen Hainmerktaviersonate wieder ausianchte. Wie später Beethoven in der großen DDnr- Messe, durchdrang Bach den tacholischcn Messe text mit der ganzen Fülle seiner protestanti schen Gtaubenstreue und schuf somit gleichsam ein wundersames Drittes, da» die lief religiösen Empfindungen einer tatsächlich katkolischcn, d. h allgemeinen Kirche §u bleibendem Ansdrnck brachte. Und gleich Beethovens musikalischem Riesenwerk durchbricht auch die Bachsche H-Moll- Messe häufig die Schranken des bloß kirchlichen Empfindens und überläßt dem religiösen Ge fühl des Individuums einen weilen Raum. Die gestrige Aufführung war wohl die be suchteste aller dieser Veranstaltungen. Sie zeigte bedeutende Höhepunkte, andernteils dazwischen auch die und jene ein wenig abwärts gleitende Li nie, kein Wunder zu nehmen nnd gewiß nicht an- znrcchnen im Verhältnis zu der großen Summe von Leistungen und dein Gesamtergebnisse der nun hinter uns liegenden musikalischen Fest tage, deren chorische Aufgaben der Bach-V er- ein allein Hu lösen unternommen hatte. Pro fessor Karl Straubes, an Orgel nnd Flügel wieder von Max Fest nnd Hermann Meyer sekundierte Leitung entfaltete nochmals reiche und vollwirkendc künstlerische Lebenskräfte. Manche gar feine agogische nnd dynamische Nu ance vertiefte die Wirkung stillverklingendcr Sätze nnd stellte einen bedeutsamen Kontrast her »u der kraftvollen Schönheit anderer. Es gab dieses Mal weder gar zu stark durchdachte Mo mente noch auch etwa jene forcierte Lebhaftig keit, die nicht zu Steigerung, sondern allenfalls nur zu Ueberstürznng führt. Ab und zn hätte man noch größeren Kartonstit erwarten, wie auch weniger starkes Heraustretcn einiger schar fer Chorsopranc wünschen mögen. Im ganzen jedoch wirkte Baekschcr Geist nnd die Freude an künstlerischem Nachschaffcn in hohem Grade. Einen wertvollen Faktor für die Auffüh rung gab wieder die Mitwirkung des Städtischen Orchesters ab. Vortrefflich spielte Konzertmeister Edgar Wollgandt die Violinsoli, ausgezeich net waren auch die übrigen Soloinstrumente vertreten. So ist Maximilian Schweb lcr mit seiner Flöte der geborene Bachspieler, so exzel- lierten nochmals Alfred Gleiß berg und W. Heinze als Oboer und halfen C. Schä fer und G. Weigelt (Fagott) nebst Arno Rudolph (Horn) u. a. wenigsten- einiger-