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XXXI jener Zeit, und es ist nicht schwer, dabei den gewaltigen Einfluß der Kantischen Philosophie wieder zuerkennen, die, wie jede echte und wahre Philosophie, stets ihren heilsamen Einfluß auf die moralischen An schauungen äußern wird. Diese „Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen," deren Besprechung wir hiermit abbrechen müssen, obgleich sie des Vortrefflichen und Tiefdurchdachten nach Viel enthalten, sind ein schönes Denkmal einer philosophischen Anschauung von der Politik. Und die Grundzüge dieser Anschauung finden wir wieder in dem oben er wähnten Verfasfungseutwurf. In jenem Aussatz hatte es Humboldt unentschieden gelassen, welcher Staatsform er den Vorzug ertheile; jedenfalls wollte er einen Staat der Freiheit hcrgestellt wissen, beruhend aus der freien Vereinigung der Bürger zu Gemeinden, die, sich selbständig verwaltend und sich helfend, in architektonischer Zusammensetzung nach oben zu das Staatsgebäude bildeten. Die Hauptaufgabe der Regierung sollte dabei sein, „sich selbst entbehrlich zu machen." — Jetzt im Jahre 1819 lagen ihm bestimmte konkrete Verhältnisse vor; eine absolut regierte Monarchie, welche, vom Zeitgeist ergriffen, sich einer ständischen Verfassung aubequemen wollte. Hierbei wird mau wenig überrascht sein, wenn man findet, daß viele Forderungen Humboldt's nach unseren Begriffen äußerst couservativ er scheinen. Nicht eine Repräsentativ-Verfassung wollte er, sondern eine Ständc-Versammlung. Er sagt ausdrücklich sh. 18), daß neue Maßregeln und Einrichtungen im Staate am zweckmäßigsten an schon vorhandene angeknüpft werden. Er will keine völlige Revolution der Verhältnisse, sondern eine allmählige Reformatio'», denn es befindet sich grade in dem Alten zuviel Gutes, was nicht umgestoßen zu werden braucht (h. 20). Also nicht in dem Radikalismus der Forderungen liegt die Stärke der Humboldt'scheu Schrift; denn viele alte Einrichtungen und Anschauungen, die er noch beizubehalten wünscht, sind seitdem längst beiseite gelegt mor den. Vielmehr, um überhaupt etwas zu erreichen, mußte damals mit mäßigen Ansprüchen aufgetreten werden; zeigt doch die seitherige Geschichte des preußischen Staatslebens, daß nicht einmal Wünsche so couservativen Charakters Gehör fanden. So darf es nicht überraschen, wie er über Steuerbewilligung sh. 37) und Beschwerdeführung sh. 41. 42) urtheilt, wen» auch die Absicht dieser unserem Geschmack nur wenig mehr zu sagende» Urtheile die beste ist. Auch dem Adel räumt er, als einen für sich bestehenden Stand, noch gewisse Rechte und eine Sonderstellung ein, jedoch in einer Weise, welche für damalige Zeit und für einen Mann von altem märkischen Adel selbst, einen hohen Grad liberaler Gesinnung ver- rathen. Er erklärt sich ausdrücklich gegen die Steuerfreiheit des Adels (h. 98). Auch sagt er (h. 101): „Wer es mit dem Adel wohl meint, kann nicht rathen, ihm irgend ein nutzbares, Geld bringen des Vorrecht zu lassen", — Beweis genug, daß seine Anschauungen nicht das Geringste gemein haben mit den Ansprüchen einer reactionärcn Adels- clique. Seine Meinung über den Adel hatte er übrigens auch schon bei einer anderen Gelegenheit geäußert, nämlich im Jahre 1809 in einer Denkschrift über die Lieguitzer Ritterakademie, welche er als besondere höhere Lehranstalt für Adliche nicht fortgeführt wissen wollte. — Aber, wie gesagt, in solchen Einzelnheiteu beruht nicht die Eigenthümlichkeit des