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VII dem alten Lande der Wunder, da ihnen der alte schwer und unzugänglich geworden war, — und wie er fanden sie ein neues Wunderland. Dieses neue San-Salvälor ist der Idealismus, dem Alles, was in uns gut und tüchtig ist, seitdem sich unterthan fühlt; der Gegenstand desselben ist das reine Menschlichkeits-Ideal, die Humanität. Der Mensch, abgelöst von den beengenden Schranken, welche Stand, Religion, Netion um ihn gezogen haben, durch die er zum Gefangenen geworden Ist Jahrhunderte lang — der freie Mensch, gedacht als vollkommen, wurde als höchster Typus hingestellt und anerkannt. Hiermit ist zugleich die Congenialität jener Periode mit dem klassischen Hellenismus bezeichnet. Wie in eben jener Zeit durch Lessing, und Winckelmann durch Voß und Heyne, dann durch Wolf und Niebuhr das richtige Verständniß für das klassische Alter thum und vor Allem Begeisterung und Sinn dafür erweckt wird, so find auch die Heroen jener Jahre durch und durch antik ihrer Bildung und Anschauungsweise nach und gleich dem Euphorion aus einer Ehe zwischen dem grübelnden tiefsinnigen Deutschen und der schönen Helena, d. h. Hellas selbst, entstanden. Darin liegt die Wirkung, welche sie zu allen Zeiten aus üben werden: in ihren Ideen ist ihr ewiger unvergänglicher Werth be gründet. Aber ihr Idealismus war ein ruhiger. Erhaben wie die olympi schen Götter thronten sie über dem Getriebe der Welt und wurden nur selten in den Kampf der Parteien, das den Markt bewegte, und in das Geschrei des Tages gezogen. Wohl kennen wir auch einen Idealismus, der seine Jünger zu Helden und Märtyrern macht, der sie zwingt zum Kampf gegen den Widerstand der schwachen, trägen Welt, um entweder zu siegen oder ehrenvoll unterzugehen. Diese Richtung ist unserer klassischen Zeit nicht völlig fremd geblieben, aber der Mann, welcher der Zeus war unter den Göttern und während einer Wirksamkeit von mehr als einem halben Jahrhundert vor allen Anderen dem Kulturleben seiner Zeit das Siegel seines Geistes unverlöschlich aufgedrückt hat, Göthe bestätigt meine obige Behauptung auf das Vollkommenste. In dieser Hinsicht mögen uns die Klassiker, mag uns vor allem Göthe ein Ideal sein, das wir anschauen und seiner Göttlichkeit wegen verehren, nicht im Vorbild, das wir copiren sollen in unserm Thun und Leben. Unser Geschlecht verfolgt das laut ausgesprochene und unumwunden anerkannte Ziel, die Ideen, für welche bis jetzt geschwärmt und gedichtet worden ist, so weit als möglich in die Erscheinung treten zu lassen. Daher der todesmuthige, consequente, radicale Idealismus, der sich in unserer Zeit zeigt und der nur eine Weiterbildung jener idealen Ruhe ist; daher auch auf der anderen Seite jener häßliche Opportunitätsglaube und praktische Materialismus, der nach dem bekannten Naturgesetz zugleich mit seinem Extrem aufzutreten pflegt. Wollen wir aber die Gewißheit behalten, daß wir unser Ziel nicht verloren haben, so müssen wir, bis wir einen neuen festen Standpunkt gewonnen haben in dem augenblicklichen Wogenschlage, häufige Blicke rückwärts werfen auf die Punkte, von denen hauptsächlich unser Kultur leben ausgegangen ist und auf die es sich noch immer stützt; und das ist außer dem klassischen Hellenismus vor Allem die genannte klassische Periode unserer Nation; also auf die Männer, welche zum Schluß des vorigen und