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VIII beim Beginn dieses Jahrhunderts Deutschlands innere und äußere geistige und materielle Neugeburt begründeten. Unter diesen hat Wilhelm von Humboldt die Anerkennung, welche ihm gebührt, in hohem und verdientem Grade gefunden, weniger die allseitige Popularität. In den letzten Wochen ist der hundert- jährige Geburtstag seines berühmten Bruders als ein großes 'internatio nales Freudenfest der civilifirten Theile des Erdkreises gefeiert worden. W. v. Humboldt's Säkularseier wurde vor zwei Jahren still, nur hie und da innerhalb des Kreises speciell gelehrter Korporationen festlich begangen. Nicht mit vollem Recht. Denn wenn auch seine Stellung als Gelehrter, Denker und Staatsmann ihn nicht in dem Maße zur Popularität be fähigt, wie den Verfasser des Kosmos, so verdient er doch ohne Zweifel eine etwas größere Bekanntschaft auch in weiteren Kreisen, als denen der Fachwissenschaften. Dazu berechtigt ihn zunächst die staunenswerthe Viel seitigkeit seiner Bildung und seines Strebens. Nach zwei verschiedenen, scheinbar unvereinbaren Richtungen hin hat er seine reiche Wirksamkeit ent wickelt: er ist von größter Bedeutung als Historiker, Sprachforscher, Denker, endlich als treuer anregender Freund der besten und genialsten Männer seiner Zeit; dann aber spielt er als Staatsmann und Diplomat eine bedeutende, einflußreiche Rolle in der Geschichte unserer Nation. Wenn wir nun finden, daß einer so eigenthümlich angelegten, groß artigen Individualität, welche genauer zu charakterisiren in dein Folgenden noch unsere Aufgabe sein wird, das bekannte Schicksal widerfahren ist, nicht sowohl fleißig gelesen als viel gelobt zu werden, so liegt nicht der letzte Grund hierzu in der Seltenheit und Unzulänglichkeit ein zelner seiner Hauptschriften. Es giebt bis jetzt nur eine Gesammt- ausgabe seiner Werke, welche umfangreich und theuer, daher selten ist. Dies war der Grund, warum die L. Heimann'sche Verlagsbuch handlung in ihre historisch-politische Bibliothek auch W. v. Hum- boldtS historische Schriften ausgenommen hat, soweit für dieselben bis jetzt ein Recht zum Wiederabdruck vorhanden war.') An mich erging dabei die ehrende Aufforderung von Seiten der Verlagshandlung, in einer Einleitung das Leben Humboldts kurz darzustcllen und soweit cs nöthig ist, seine Schriften zu commentiren. Ich habe zu diesem Behuf in dem Voran gehenden in allgemeinen Zügen die Zeit zu schildern versucht, der er an gehört. Bevor wir nun zuvörderst auf die Einzelnheiten seines äußeren Lebens eingehen, bedarf es nur eines kurzen Blickes auf die Literatur, deren Benutzung mir dabei zu Gebote stand. — Vor Allein ist hier zu erwähnen die äußerst fleißige und recht gut geschriebene Biographie von Gustav Schlesier (Erinnerungen an W. v. Humboldt. Neue Ausgabe. Stuttgart. Franz Heinrich Köhler. 1854.) Auf dieser Grundlage weiter bauend und sie benutzend hat dann R. Haym ein umfassendes biographisches Werk geliefert, welches allen Ansprüchen an ') Die Denkschrift über Preußens ständische Verfassung wurde zuerst von Pertz (Denkschriften des Ministers Freiherrn von Stein, Berlin 1848s herausgegeben. ES ist meine Pflicht, die Liberalität des Herrn Geheimrath Pertz hier ausdrücklich anzuerkennen, mit der er mir den Wiederabdruck dieser äußerst interessanten Schrift gestattet hat.