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§. 3. Aelteste Zeit. 9 Nachdem Aristoteles etwa 20 Jahre die Akademie in Athen besucht (in den letzten Jahren sich allerdings nicht gut mit Plato vertragen) 1 ) Jiatte, wurde er in seinem 40. Jahre vom König Philipp von Macedonien als Lehrer seines damals dreijährigen Sohnes Alexander 2 ) berufen. Bei letzterem verblieb er bis ein Jahr nach deßen Thronbesteigung (336 v. Chr.), selbstver ständlich nicht mehr als Erzieher, da Alexander’s Geist bereits mit Herr schergedanken und Tlänen zur Unterwerfung aller Völker des Orients beschäf tigt war. Als im Jahre 335 v. Chr. ernstliche Vorbereitungen für Alexander’s orientalische Feldzüge getroffen wurden, begab sich Aristoteles wieder nach Athen, woselbst er bald im Osten der Stadt, in den Anlagen am Tempel des lyceischen Apollo, eine eigene Schule (Lykeion, Lyeeum genannt) eröffhete. Da er hier seine Vorträge meistens im Auf- und Abgehen in den bedeckten Gängen der betreffenden Anlagen (peripatoi) mit seinen Schülern hielt, so be kamen diese den Beinamen „Peripatetiker“ (Ilerumwandlcr). Theils seiner Lehren, theils seiner Beziehungen zu Alexander wegen (dessen veränderte Sitten er übrigens freimiithig getadelt haben soll) hatte er (durch Mißverständnis) den Zorn der Athener derartig erregt, daß er es für angemessen hielt, sich nach Chalkis in Euboea zu begeben, damit, wie er gesagt haben soll. „dieAthener keineGelegenheit hätten, sich zum zwei ten Male an der Philosophie zu versündigen,“ d. h. um der Todes art des Sokrates zu entgehen. Bald nachher (322 v. Chr.) ward er von einer Krankheit ergriffen, an der er plötzlich zu Chalkis, in seinem 63. Lebensjahre starb 3 ). Aristoteles’ Leistungen in fast allen Gebieten der Wissen schaften (Rhetorik, Poetik, Ethik, Politik, Physik, Biologie, Meta physik etc. etc.) sind vielfach falsch beurtheilt worden und werden es hin und wieder noch heute. Man bezeichnet ihn als Compi- lator, als Plagiarius und wie die hämischen Titel alle lauten, vergift aber dabei, daß wenn dieses theilweise auch nicht un begründet ist, die menschlichen Wissenschaften und Künste über haupt den Culturweg durchlaufen müssen, um zu einer gewissen Höhenstufe zu gelangen, daß sich fast überall die Nachfolger auf Vorgänger stützen und sich nur der allmächtige Gott allein den Ruhm Vorbehalten hat, gleich urspiünglich Vollkommenes zu schaffen. Aristoteles hat unstreitig das große Verdienst, die vor ihm zerstreut vorgetragenen menschlichen Kenntnisse in Zu- 1) Aristoteles soll sich in der Regel geäußert haben: „Amicus Plato, sed magis amica veritas.“ 2) Alexander lebte von 356 bis 323 v. Chr. 3) In Grant-Immelmann’s Buche ,Aristoteles 4 wird S. 22 bemerkt, daß die Erzählung, Aristoteles sei vergiftet worden, eine Fabel und keiner Erwähnung werth sei. R Wolf in seiner ,Geschichte der Astronomie 4 be richtet noch (S. 41), daß der Stagirit ,.an Gift 44 gestorben sei.