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Nummer 147 — 27. Jahrgang rrlchetnl »mal wSchentl. mlt den Illustr. Gratisbeilage» .Di« Seit" und .Mr unsere kleinen Leute', sowie de» Lepbellagen ,«t. Benno-Blatt'. .lluterhaltung und Wissen'. .Die Welt de« grau», .«erzllicher Ratgeber'. .Da» gut- Buch». .Filmrund, schau'. Monatlicher Bezugspreis 3 Mk. einschk. Bestellgeld, «ii,el,nimmer K» 4. Sonnabend, u. Sonntagnummer 2« 4. Hauptschriftleiter! Tr. G. DrSezh». Dresden. Sonnkag, den 1. Juli 1928 Berlagsorti Dresden «nzeigenprelsei Dte IgespaltenePetttzctleIt« ^.Familien- anzeigen ».Stellengesuche 2V Z. Die Petitreklamezeil». S9mm breit. 1 ^ Für Anzeigen außerhalb des Verbreitungsgebiete» 40 z. die PeliireNamezeile 1 .»O^s. Offcrte,igeb.2<» ^. Im Fall« höherer Bemalt erlischt jede Verpflichtung aus Lieserung sowie Erfüllung v. Anzeige».Aufträgen u. Leistung v. Schadenersatz. Leschüstlicher Leili Artur Lenz. Dresden. «ieschiiftSftelle, DruiIu.Berlag i Germanta, A.-G. sür Verlag und Dnnkeret. Filiale Dresden. DreSden-A. I. Polierstrnßel?. Fernrnf8I0I2. Postlcherkkonto Dresden S703. Bankkonto- Ltadtbank Dresden Nr, 6171» Für christliche Politik und Kultur Redaktion der Sächsischen Volkszeitung Dresden-Altstadt 1. Polierstratze 17. Fernrui 20711 und 21012. Einen Sommer lang Die Wähler hatten am 20. Mai eine Entscheidung gefallt, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lies;. Dennoch ist eine Regierung erst nach drei Wochen schwie riger Verhandlungen zustande gekommen, und sie ist auch danach. Dem Namen nach ein „Kabinett freier Persön lichkeiten" stellt sie in Wahrheit ein Minderheits kabinett der Sozialisten und Liberalen dar. Das Zentrum hat. dem Wunsche des Reichspräsiden ten folgend, der mit Recht auf einen Abschluß der Ver handlungen drängte, durch Entsendung eines Verbin dungsmannes seine Bereitwilligkeit gezeigt, dieses Kabi nett von Fall zu Fall zu unterstützen. Wenn man bedenkt, m welcher Weise vorher die Wünsche des Zentrums ab gelehnt morden waren, kann man diesen Entschluß der Fraktion nur als neues Opfer werten, das die Zentrums partei im Interesse des Staates bringt. Weite Kreise in der Zentrumspartei hätten es lieber gesehen, wenn die Partei sich überhaupt nicht an dem Kabinett beteiligt hätte. Wenn Liberale und Sozialisten sich stark genug glaubten, über die Wünsche des Zentrums hinweg zugehen. dann hätte man sie rnhig allein regieren lassen sollen. Mit Einbeziehung der Wirtsckaftspartei wäre das zahlenmäßig auch möglich gewesen. Immerhin wird man sich mit der Feststellung trösten, daß dieses Kabinett nur einen Sommer lang regieren wird und daß im Herbst eine endgültige Klärung der Koalitionsverhält nisse erfolgen muß. Ueber das politische Kapitel, das seht im Reichstage begonnen wird, könnte man also die schö nen Verse von Liliencron setzen: „Zwischen Roggenfeld und Hecken führt ein schmaler Gang, süßes, seliges Verstecken einen Sommer lang." Aber noch ist es nicht Zeit, lyrische Töne über dies poli tische Ereignis einzuschlagen. Aus der liberalen und so zialistischen Presse vernehmen wir ganz andere Klänge. Dort wird wieder einmal die Schuld frage erörtert, und mit seltener Einmütigkeit kommen diese Blätter zu Sem Ergebnis, daß allein das Zentrum die Schuld daran trage, daß nur ein Provisorium und nicht eine feste Mehrheitsregierung zustande gekommen ist. Betrachten wir einmal diese Vorwürfe bei Licht. Zunächst muh festgestellt werden, daß der Versuch, eine feste Mehrheitsregierung zu schaffen, schon vor acht Ta gen als erledigt gelten mußte. Er war gescheitert an den unlösbaren Widersprüchen, die sich zwischen den Forde rungen der Sozialdemokratie und denen der Deutschen Volkspartei ergeben hatten. In den letzten Tagen wurde nur noch erörtert, in welcher Form ein „Kabinett freier Persönlichkeiten", die aber den Parteien der Großen Koalition angehörten, gebildet werden konnte. Hermann Müller hatte im Laufe der früheren Verhandlungen dem Zentrum den Posten des Vizekanzlers angeboten. Auf dieses Angebot kamen nun die drei Zentrumsleute zu rück. die Müller zur Teilnahme an dem „Kabinett freier Persönlichkeiten" eingeladen hatte. Jetzt aber erklärte Müller sich plötzlich als nicht inehr an sein früheres An gebot gebunden. Mit Recht bezeichnet die „Kölnische Bolkszeitung" dieses Verhalten als „politische Zechprellerei". Man mutete dem Zentrum zu, auf jeden Einfluß in der Außen- und Innenpolitik zu ver zichten, gleichzeitig aber das schwierigste und undank barste Amt. das Arbeitsministerium zu übernehmen. Das war einfach eine politische Unmöglichkeit. Man wird es im Lande begrüßen, daß das Zentrum trotz aller Druckmittel in diesem Punkte konsequent geblieben ist und das dornenreiche Amt des Nrbeitsministers der Sozialdemokratie überlassen hat. Dr. Brauns, der sich in acht Jahren für die Sache des Arbeitsfriedens aufgerie ben und dafür nur schmählichen Undank geerntet hat, darf man die Erholung wohl gönnen. Die Sozialdemo kratie aber mag zeigen, wie sie ihre während des Wahl- Kampfes geübte Kritik am Arbeitsminister nun in die Tat umsetzt. Den Grundsätzen der Demokratie hätte es entsprochen, wenn dem Zentrum im neuen Kabinett Keule: Die Welt (Illustrierte Wochenbeilages Unterhaltung und Wissen Die Welt der Frau Filmrundschau Turnen. Sport und Spiel Das Abergangskabinelt Amtlich wird mitgeteilt: Der Herr Reichspräsident hat de» Reichskanzler a. D.. Neichsminister a. D. und Abgeordneten Hermann Mittler Franken zum Reichskanzler ernannt. Auf Vorschlag des neuernannten Reichskanzlers hat der Herr Reichspräsident die bisherigen Reichsminister Dr. Stre se in« nn (Auswärtiges), Dr. Tuet ins (Wirtschaft), Groe- ner (Reichswehr), Schätzet (Neichspost) in ihren Steinten» bestätigt, und ferner den Preußische» Staatsminister a. D. Abg Seoering zum Neichsminister des Innern, den Reichsministcr a. D. Abg. Hilserding zum Neichsfinaiizminister, de» Reichs- Minister a. D. Abg. Wissel zum Rcichsarbeitsminister, de» Badischen Minister a. D. Abg. Dietrich-Baden zum Reichs minister sür Ernährung und Landwirtschaft, den Neichsminister a. D. Abg. Koch-Weser zum Rcichsjustizminister, und den Ge heimen und Oberregierungsrat Abg. von Euerard zum Reichsoerkehrsminister ernannt. Neichsmiiiister von Euerard ist gleichzeitig mit der Wahr nehmung der Geschäfte des Neichsministers sür die Besetzten Ge biete beauftragt worden. * Das neue Kabinett ist am Freitag in der üblichen Form vereidigt worden und hat am gleichen Tage feine konstituierende Sitzung abgehalten. Dem Reichstag wird sich das Kabinett am Dienstag, 3. Juli, vor stelle». Die Aussprache iib«r das Regiernngsprogramm soll am <l. Juli beginnen. Man rechnet damit, das, sie ein bis zwei Tage dauert, woraus eine kurze Verhandlungspause eintreten dürste, die der Ausschuß benutzen soll, um die Amnestiefrage zu kläre». Sodann will das Plenum sich mit dieser Frage und einige» anderen Anträgen beschäftigen, doch rechnet man da mit, daß etwa am 14. 2>'li das Haus in die Sommerferien gehen kann. Aus dem alten Reichskabinett scheiden drei ver diente Männer des Zentrums aus: Reichskanzler Marx, Reichsarbeitsminister Dr. Brauns und Reichs finanzminister Dr. Köhler. Es ist das stärkste Revire ment, daß das Zentrum in der Umbesetzung verantwort licher Stellen seit den Tagen von 1919 erlebt hat. Wir werden die Tätigkeit dieser erprobten Männer noch ein gehend zu würdigen haben. Erstmalig tritt vom Zentrum in die Reichsregierung der Abgeordnete von Euerard ein. Sein Name ist von der Führerschaft der Fraktion her und aus den interfraktionellen Besprechungen im Reichstage weit über die Grenzen der eigenen Partei hinaus bekannt und anerkannt. Er übernimmt das Verkehrsministerium, dem trotz seiner Unscheinbarkeit Fragen von Bedeutung obliegen, wenn wir beispielsweise nur an die vielartigen großen Verkehrsprobleme im Reich und an die Entwicklung der Luftschiffahrt denken. Ein Rheinländer von Geburt. eine seiner Fraktionsstärke entsprechende Stellung ein geräumt worden wäre. Ueber diesen in allen Ländern parlamentarischer Regierung gültigen Brauch haben sich Liberale und Sozialisten großzügig hinweggesetzt. Um jetzt das Zentrum als Schuldigen auszuschreien. Aber wer gar so laut ruft: „Haltet den Dieb!", macht sich am ehesten verdächtig. Die Zentrumswählerschaft weiß ge nau, woran sie ist. Nichts kennzeichnet die Situation besser als die unsäglich niedrigen persönlichen Angriffe, die Liberale und Sozialisten jetzt gegen Dr. Wirth richten. Daß die Demokraten, deren Blät ter Dr. Wirth so oft „Gastrecht gewährten", dabei füh rend sind, ist eine besondere Ironie des Schicksals. Die freimaurerische und freidenkerische Presse konnte Dr. Wirth nicht genug loben damals, als er dem Zentrum Schwierigkeiten bereitete. Heute, wo Dr. Wirth als Zen trumsmann Ansprüche des Zentrums vertritt, ist er auf einmal „der kleine Demagog aus Freiburg". Dieses Beispiel wird man sich merken müssen: Für Freimaurer und Freidenker ist ein Katholik nur solange wertvoll, als er im eigenen Lager Verwirrung stiftet, sobald er zu die sem Zweck nicht mehr brauchbar erscheint, gilt er sofort wieder als „inferior". In dieser Beziehung hat sich in den letzten zwanzig Jahren nicht soviel verändert, wie manche Optimisten meinen. Dieses Possenspiel, das Liberale und Sozialisten mit den Grundsätzen der parlamentarischen Demokratie getrieben haben, wird nur der Opposition Vorteil brin gen. Die Dentschnationalen, die eben noch in ist er der gegebene Mann, um im Nebenamt auch da» Besetzte Gebiet zu verwalten, wobei wir hoffen, daß er, wenn es sich um die Grenzsragen im allgemeinen handelt; nach allen Seiten das nötige Verständnis und die nötig« Sorgfalt aufbringen wird. Die Sozialdemokraten stellen vier Minister einschließlich des Reichskanzlers. Hermann Müller be kleidet das Amt als Reichskanzler nicht zum erstenmal Schon im Jahre 1920 führte er die Neichsgeschäfte. Er ist eine ruhige, sachliche und ausgeglichene Persönlichkeit: Sympathisch im Wesen und von der Leitung der Sozial demokratischen Partei her mit einer guten Dosis Taktil versehen. Keine überragende Führernatur, seinem Charak ter nach ehrlich und aufrichtig. Wir erwarten von ihm eine Politik, die sich dessen bewußt ist. daß in Deutschland der Ausgleich der Meinungen gesucht werden muß und daß, wenn es sich um die große Regierungspolitik handelt, sozia-. listische Parteimethoden nicht angebracht sind. Der Kopf unter den Sozialdemokraten ist Severing, der sich aus der Zeit seiner Ministerschaft in Preußen den Namen eines energischen, zielsicheren und ziel bewußten Politikers erworben hat. Severing hat in Preußen eine starke Hand gezeigt. Trotz alledem hat er in solchen Fragen eine kluge Mäßi gung walten lassen, wo die Staatspolitik die Rücksichtnahme auf die Gesa mterforder nisse und auch auf die Denkart anderer verlangte. Wir brauchen ihn nicht daran zu gemahnen, daß in einem so wichtigen Ressort, wie dem Reichsinnenministerium, eine gleiche weise Mäßi gung am Platze ist. Wir sind objektiv genug, um seine Tätigkeit im Reich mit guten Wünschen zu begleiten. Hi lferdi n g ist als Finanzpolitiker eine umstrittene Per sönlichkeit. Wir werden ihn erst zu beurteilen vermögen, wenn er praktisch gearbeitet hat. Seine letzten großen Finanzreden im Haushaltsausschuß haben ihn besonnen und für die Aufgaben der Zeit verständig gezeigt. Rudolf Wissel, der nunmehr nach dem verdienstvollen Dr. Brauns das Arbeitsministerium zu verwalten hat, ist durch .seine Ideen von der Planwirtschaft bekannt. Wir sind sehr ^gespannt, wie die Sozialdemokratie ihr Agitaiionsbedürfnis das sie ohne Verantwortung gegenüber diesem Ministeriuir bis zur Hetze gesteigert hat, mit der jetzt von ihr über nommenen Verantwortung in Einklang bringen wird. Die beiden demokratischen Minister sind Koch Weser und Dietrich-Baden. Der erstere hat sein Am wohl nur provisorisch bis zum Herbst übernommen. Dietrich Baden hat in seinem Heimatlande in den ersten Zeiten de' Nachkriegszeit schon eine Rolle gespielt. Er kommt am der Oberbürgermeister-Laufbahn her. Auch von ihm wirk es heißen müssen, daß wir ihn erst an seinen Früchten er kennen werden. Das neue Kabinett ist fertig. Es wird arbeiten können, wenn es in seiner Erklärung vor dem Reichstag seine Arbeitsfähigkeit erweist. Wir werden seine Worte hören und diese dann nach den Taten abschützen! schwerster innerer Krise lagen, haben hier eine gewaltig« Chance erhalten. Bei geschickter Führung werden sie on° den Reihen derer, die als Ursache der ganzen Komödie irrigerweise den Parlamentarismus überhaupt ansehen nicht unbeträchtlichen Zuzug gewinnen können. Ob Sozia, listen und Liberale, die sich so gern als Hüter des ne"en Staates aufspielen, damit der Republik einen Dienst er wiesen haben, mag dahingestellt bleiben. Liberale und Sozialisten als Verbündete in einem Kabinett, in dem das Zentrum keinen nennenswerten Einfluß mehr besitzt — das ist eine ganz neue parlamen tarische Kombination, die in mancher Hinsicht nackdenk- lich stimmt. Um so mehr, als diese Kombination damit begonnen hat, daß das Zentrum, die politische Vertre tung des katholischen Volksteils, bewußt ausgeschaltet wurde. Das ist besonders interessant in dem Augen blick, in dem man versucht, aus den liberalen Parteien einen geschlossenen Block zu schaffen. Sehr begreiflich, daß das „Berliner Tageblatt", das sich am meisten um ein neues Erstarken des Liberalismus müht, dafür ein- tritt, daß dieses Kabinett möglichst lange im Amte bleibt. Hier liegen für das Zentrum große Gefahren. Für den Sommer mag es ja angehen. daß das „süße Sichver- stecken". das wir während der letzten Wochen mit wach sender Erbauung verfolgt haben, nun in Form einer Re. gierung fortgesetzt wird. Im Herbst aber mutz unbedingt eine klare Entscheidung aeschassen werden.