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Nummer 216 — 23. Jahrgang Smcü wöchtl. Bezugspreis: f. September 2R.-M. auSschÜ Bestellgeld. Berechnung der «uzetgen »ach Reut-Mark. Preise: Die eingespaltene Petilzeile 30 H, f. Familien» u. Vereinsanz., Gesuche 20 L». Die Petit-Reklamezeile 80 mm breit, 1 Ofsertengebllhr für Selbstabholer 20 H, bei Uebersendung d. d. Dost ausserdem Porto zuschlag. Preis f. d. Einzelnummer 10 Sienten-Pfennig. Peschästlicher Teil: Josef Fohmann. Dresden. SöcklWe Mittwoch, 17. Sept. 1624 Im Falle höherer Gewalt erlischt jede Verpflichtung auf Lieferung sowie Erfüllung v. An,.-Aufträgen u Leistung v. Schadenersatz. Für undeutlich u. d. Fernlpr. übermittelte Anzeigen übernehmen w>r keine Ver, antwortung. Unverlangt eingesandte u. mit Mckport- nicht versehene Manuskripte werden nicht ausbewahrt, Sprechstunde der Redaktion S bis 6 Uhr nachmittags, Hauptschriftleiter: Dr. JosefAlbert. Dresdey Tageszeitung für christliche Politik und Kultur Wesckiüstsftrlle der Sächsischen »volkS«et»«»a und Druck und »vertan > SaxoiUa-Buchdruckrret GmbH.. ^ Dresden-Ä. 18. Holbeiiistratze 48, ssernrni 82722, Polt- lcheckkonIoDrcsdc» >4787 viiWlillW ms Ms' Ae Well Ser M ' Iss «ese Lebe« Redaktton der Sächsischen -»>olts;c!iii»a ch Dresden < A. 18. Holbeinstrake>8. gernrni 82722 und 83K38 Das Kompromij; in Gens M MSsgeriM« Paris, 16. September. Gestern abend konnte in Gnif, nach eingehende» Verhanolunge», die den ganzen Tag hindurch angedauert hatten, zwischen der sranzöjischen und englischen Dele gation eine Kompromistforinel in der Frage der Schiedsgerichts- Partei und der Sicherungen erzielt werden. Das erzielte Kom promiß ist i» einem Dokument nieoergelegt worden, das heute in beiden Delegationen noch einmal unterbreitet und dann von Venesch dem Unterausschuss der dritten Kommission vorgelcgt werden wird. Das Dokument bezieht sich sowohl auf ein System der Schiedsgericht-Sparte! für juristische Streitsütle wie auch sär politische. Frankreich und England lassen einstimmig die Defini tion des Schiedsspruches gelten, wonach derjenige die Angreifer ist, der den Schiedsspruch ablehnt oder die Ausführung eines Artikels verweigert. Was die Abriistnngsfrage anlangt, so hob oer Berichterstatter der Havasagentur noch einmal ausdrücklich her vor, das; die Konferenz betreffend die Abriistungsfrageu im Anschluss an die Organisation des Schiedsgcschgerichtcs und der Sicherungsgarantien einberufeu werden wird. Genf, 16. September. Benesch hielt als Präsident des Unterausschusses der dritten Völkerbundsliainmission, die auf Grund der Resolution Herriot-Maedonald den endgültigen Text vorbereiten soll, mit den englischen und französischen Bölker- bundsdelegierten gemeinsame Beratungen ab, wobei eine grund sätzliche Einigung zwischen den Franzosen lind Engländern er zielt wurde. Die Einigungsformel wird dem Unterausschuss als Verhandlungsbasis unterbreitet werden. Die Vereinbarung sieht auf Grund des Völkerbundspaktes das obligatorische Schiedsver fahren und militärische Sanktionen gegen den Staat vor, der ein Schiedsverfahren nicht anerkennen werde. Eine Ab rüstungskonferenz würde dann erst stattfinden, wenn eine der artige vertragliche Vereinbarung angenommen wäre. London, 16. September. Wie aus Gens gemeldet wird, hat gestern der Führer der englischen Delegation, Lord Par- moor die Erklärung abgegeben, daß England nicht in der Lage sei, dauernd und vorbehaltlos seine Flotte zur Verfügung des Völkerbundes zu stellen, um Staaten, die sich gegen die Völkerbundspakte vergehen, zur Annahme einer schiedsgericht lichen Entscheidung zu bringen. Der Antrag, das; Englands Flotte diese Verpflichtung aufzubürdc» ist, ist bekanntlich zuerst von den Franzosen gestellt worden. Daily Telegraph beschäftigt sich in einem längeren Artikel mit diesem französischen Vorschlag und erklärt, der Völkerbund habe wohl das Recht, einstimmig solche Zwangsmahnahmen zu beschlichen, er könne aber nicht irgendeinem Staate den Befehl zur Ausübung eines militäri schen Druckes auf einen anderen Staat erteilen. Außerdem sehe der französische Vorschlag vor. daß Englands Flotte allein und ausschliesslich die Verantwortlichkeit dafür aufgebürdet würde, das; die in Artikel 16 vorgesehenen Blokadc- und wirt schaftlichen Boykottmaßnahmen auch tatsächlich zur Wirkung kommen Die Uebernahme einer derartigen Verpflichtung sei für England nicht nur eine schwere finanzielle Belastung, son dern ivcrde England auch leicht in ernsthafte internationale Streitigkeiten über Frage» verwickeln, an denen England über haupt nicht unmittelbar interessiert sei. In den Kommentaren der anderen Blätter wird betont. England sei zwar der letzte, der sich seiner Verantwortung als Mitglied des Völkerbundes entziehen wolle, aber cs habe doch nicht die Absicht und den Ehrgeiz, als der einzige Polizist zur See gelten zu wollen. Völkerbund und Wililärkonlrolle Genf, 16. September. Die Arbeiten für die Uebernahme der Militärkontrolle durch den Völkerbund über Oesterreich, Ungarn und Bulgarien sind so gut wie beendet. Man ist jetzt dabei, die Richtlinien auszuarbeiten, nach denen die Kontrolle durch den Völkerbund ausgeübt werden soll. In kürzester Zeit soll auch über die deutsche Militärkontrollc verhandelt wer de», für die gleichlautende Richtlinien auszuarbeiten sind. IMS tei kl MkkGnsüWliiWli Paris, 16. September. Oven Joung, der Generalagent der Reparationszahlungen und der Kontrollkommissar Mac Fadyean, welche zur Inkraftsetzung des Dawesplanes in Berlin geweilt haben, sind gestern in Paris cingctrosfen. Heute wird in ihrer Gegenwart eine Sitzung der Neparationskommission erfolgen. Aoung ist bekanntlich zugleich Präsident des Uebsr- tragungsausschusses. Er wird die Maßnahmen darlegen, welche von ihm in Berlin zur Organisation der deutschen Zahlungen und zur Organisation der neutralen Leistungen ergriffen worden sind. Paris, 16. September. Owen Pvung beabsichtigt, mige^ fahr zwei Wochen in Paris zu bleiben. Er ist aber oer Ansicht, oas; die neue deutsche Eisenbahnvrgcmisation bereits nächste Woch- in Kraft treten kann und kurze Zeit darauf die Eisenbahnlinien der sranko-belgischen Regie übernommen werden können. Die Vorbereitungen zu der neuem deutschen Emissionsbank iveroen wahrscheinlich Anfang November zu Ende gesührt sein, so onst die erste oeutjche Anleihe in den Vereinigten Staaten und de« europäischen Ländern aufgebracht werven kann. Paris, 16. September. Ter Nenyork Herald glaubt ru wissen, daß Owen Ponng vie Absicht hat, künftig die Ausgabe der Micum zu übernehmen. Er wird Wechsel, die von den Rnhrindnstriellen für geleistete Sachliesernngcn unterbreitet wer den, bezahlen. M -M-beWeil MM« sDrahtbericht unserer Berliner Vertretung) Brüssel, 16. September. Der Industriellenausschus; des belgischen Industriever- bandcs, der einen großen Teil der Terlil- und Eisenindnstriellen umfaßt, hat einen Brief an den Minister des Aeußercn gerichtet, in dem die Ansicht des Verbandes über die deutsch-belgischen Handelsvertragsverhandlungen niedergelegt ist. Tie Industriel len sind nach diesem Briese der Ansicht, daß es für Belgien ge fährlich märe zuzustimmen, das; Deutschland der Grundsatz der Meistbegünstigung eingeränmt würde. Deutschland würde nur illusorische Vorteile gcwäyrin. Eine Vereinbarung mit Deutsch land könne nur ans dem Prinzip der Gegenseitigkeit ansgedout sein. Berlin, 16. September. Halbamtlich wird gemeldet: Am Montag haben die deutsch-belgischen Mirtschastsuerhandlnngen ihren Anfang genommen. Der deutsche Bevollmächtigte Mini sterialdirektor von Stockhanlmern begrüßte die unter Führung ocs belgischen Gesandten in Berlin erschienene belgische Dele gation namens der Neichsreglerung und skizzierte das Pro gramm der Verhandlungen. Der belgische Gesandte erwiderte seinerseits die Begrüßung namens der belgischen Delegation. Im weiteren Verlaufe der Sitzung einigte man sich ans das Programm der Verhandlungen und vereinbarte die nächste Sitzung für Dienstag nachmittag. England und die deutsche Anleihe London, 16. September. Der Star schreibt zu einem Zirkular, mit dem die britische Foreign- und Koloinal-Korpo- ration gegen die Zeichnung der deutsche» Anleihe bei de« Kundschaft Stimmung macht, daß diese Frage schon Gegenstand erheblicher Kontroversen gewesen ist, daß aber, wie immer die Opposition gegen die deutsche Anleihe sei. es gewiß wäre, daß die Anleihe von 800 Millionen zusammen von den verschic. denen Interessenten gezeichnet werde» wird, da der Erfolg des Damesberichts von dieser Anleihe abhängig ist. Das bisherige Ergebnis -er Amneslie- verhandlungen Koblenz, 16. September. In der Amncstiesrage haben die in Düsseldorf geführten Verhandlungen zwischen der Abord nung des Meiches und der Nheinlondkoininission bisher folgen des Ergebnis gehabt: Bis zum 12. September sind 115 von den französischen Gerichten verurteilte Deutsche aus den Gefäng nissen entlassen worden, darunter auch einige frühere Gefangene von St. Martin de Re, wie der Bergwerksinspcktar Gottfried, der Schupomajor Brauer, der Kapitänieulnant Andler und der an den Vorgängen vom 30. September 1923 beteiligte Düssel dorfer Schupohauptmann Pohl. 750 schwebende Verfahren sind niedergeschlagen worden. Essen. 16. September. Französische ' wird milgeteilt, daß die Truppenbewegungen in dem der Imnnder Zone be nachbarten Gebieten nicht als Beginn de auniung der Dort munder—Härder Zone auszusassen sind. Es handele sich um längst geplante Truppenumgruppierungen, die mit der Näumnng der Dortmunder Zone in keinerlei Verbindung stehen. Paris, 16. September. Der Handelsminister teilte offiziell mit, daß vom 21. dieses Monats Mitternacht ab in den besetzten Gebieten der deutsche Zolltarif wieder in Kraft trete. Er for derte deshalb die sronzösischen Handelskreise ans, zu diesem Zeitpunkte ihre Waren zu verzollen. Oberhauscn. 16. September. Die Räumung von Ober hansen wird, wie maßgebende Stellen berichten, morgen end gültig beginnen. Der Streik um die Kriegsschuldfrage Es ist bedauerlich, daß nach Annahme der Londoner Beschlüsse durch die Aufrollung der Kriegsschuldfcage eine neue innere Krisis entstand. Für jeden Deutschen war es eine Selbstverständlichkeit, daß der Makel, der uns durch die Erpressung des Schuldgeständnisses am Weltkriege aufgedrängt worden war, einmal abgewaschen werden müsse. Aber wie so oft, verfehlte man auch in dieser Frage wiederum den geeigneten Augenblick. Man konnte an und für sich der Erklärung der Regierung, die nach der Annahme der Dawesgesetze durch den Reichs tag bezüglich der Schuldfrage in der Presse erfolgte, zu- siimmen. Bei dieser Erklärung als solcher aber sollte es nicht bleiben, sondern sie sollte den Mächten notifiziert werden. Um diese Notifizierung entwickelte sich dann der Streit. Die Deutschnationalen bestehen auf sofortiger Notifizierung. Stresemann kam eine Zeitlang diesem Standpunkt sehr nahe. In der gestrigen Aussprache scheint er diesen Standpunkt dahin revidiert zu haben, oaß zwar nicht sofort, sondern daß überhaupt die No tifizierung erfolgen müsse. Wenn die Regierung diese Notifizierung allerdings einmal angekündigt hat, so ist es selbstverständlich, daß sie auch irgend einmal erfolgen muh. Es steht aber nun fest, daß der gegenwärtige Zeitpunkt dafür der ungeeignetste ist, den es überhaupt geben kann. Zahlreiche Stimmen aus dem Ausland, die der Beachtung sehr wert sind, haben ganz energisch darauf hingewiesen, daß das Londoner Abkommen einer schweren Gefährdung ausgeseßt würde, roenn man jetzt in aller Oeffentlichkeit die Kriegsschuldfrage aufrollte. Unter solchen Umständen müssen wir uns deshalb prak tischerweise sagen, daß eine Notifizierung im günstig - sten Falle nichts weiter bedeutete, als einen Protest, oen wir von neuem an das Ausland losließen. Wir sagen im günstigsten Falle. Diese Sorte von Protesten aber haben sich längst überlebt. Wir haben uns oft genug das Gelächter des Auslandes damit geholt. Umwelt und Zeitpunkt müssen bei allen diplomatischen Aktionen ausschlaggebend sein. Sie sind die bestimmenden Fak toren für das Handeln im politischen Leben. Wenn die ganze politische'Lage durch eine Einzelaktion unnütz von neuem erschwert wird oder zum mindesten von vorn herein feststeht, daß diese Einzelaktion nur ein Achsel zucken des Auslandes, wenn nicht ein Gelächter zur Folge hat, so unterläßt man solche Zwischenakte. Die Treibenden sind natürlich wieder die Deutsch- nationalen. Sie haben allerdings Veranlassung genug, die Aufmerksamkeit der Welt von ihrem schmählichen Verhalten bei der Abstimmung über die Dawesgesetze ab zulenken. Aber soll zugunsten einer Partei, deren in nerer Zerfall vor aller Welt offen steht, denn ein Spiel mit dem ganzen Volkswohl getrieben werden. Schon bei der ersten Erklärung der Regierung über die Kriegs schuldfrage in der Presse wurde man den Eindruck nicht los, daß diese Erklärung von den Deutschnationalen der Regierung abgepreßt sei, als Ausgleich für die 48 Ja- Stimmen. Würde aber nun heute die Notifizierung vor genommen, so wäre wenigstens jetzt dem Ausland klar geworden, daß diese Notifizierung unter dem Druck der Rechtsparteien vor sich gegangen ist. Schon deshalb würde sie die ganze Wirkung verlieren. Alles das, was im Ausland als unter dem Druck der Deutschnationalen stehend, empfunden wird, erscheint diesem Ausland gleich-" zeitig als verhängnisvoll, als eine Gewähr dafür, daß die jetzige Regierung doch noch nickt so selbständig und fest die Zügel in der Hand habe, wie es vor allem die Aus führung der durch den Londoner Pakt übernommenen Gesetze erfordert. Prinzipiell aber möchten wir folgendes feststellen: In der Kriegsschuldfrage muß die Geschichtsfor schung entscheiden. Man sollte sich doch, anstatt in un geeigneten Augenblicken Resolutionen zu fassen, be mühen, die Dokumente allmählich der Reihe nach aufzn- legen und an Hand dieses Materials dann endgültig und unwiderstehlich den Beweis erbringen, wer am Kriegs ausbruch schuld war. Das tut uns not. Auch mit einer Notifizierung ohneBeweise, selbst wenn diese Notifizierung einmal im rechten Augenblick erfolgen sollte, ist das Endgültige der Kriegsschuldfrage noch nicht erledigt. Wenn wir aber die Beweise öffentlich bringen, dann ist der Gegner gezwungen. zu antworten, dann ist aber auch die ganze öffentliche Welt gezwungen, ihre Pleinung zu revidieren. Das ist der Unterschied zwischen Realpolitik und Sentimentalität. Durch die bloße Ueber- reichung einer Note,' wie sie jetzt vorgesehen ist, wird der Gegner noch lange nicht zur Anerkennung des deutschen Standpunktes gezwungen. / " Die ganzen gegenwärtigen Beratungen sind wieder ein Beweis dafür, ivie man in Deutschland immer noch nicht gelernt hat, zu einer bestimmten Zeit das zu erle digen, was mit dieser Zeit zusammenhängt. Es ist so unendlich viel Arbeit zu leisten, um den wirtschaftlichen Wiederaufbau Deutschlands zu bewerkstelligen, es ist noch unendlich viel Arbeit zu leisten, um soziale Mißstände zu beseitigen. Ein jeder kennt die brennenden Fragen, die heute noch der Lösung harren. Wir brauchen sie nicht erst aufzuzählen. Es ist also durchaus nicht angebracht, daß man all diese dringenden Fragen durch Zwischenakte immer wieder in den Hintergrund schiebt und statt prak tischer Arbeit die Welt durch irgendeine Sensation in Spannung hält. Die Reichsregierung ist entschlossen, diese Wiederaufbauarbeit zu leisten, sie sollte es sich des halb verbitten, daß ihre Pläne immer wieder von irgend einer Partei, die nicht einmal mehr den Anspruch auf ehrliche Mitarbeit erheben kann, durchkreuzt werden. Bezüglich der Kriegsschuldfrage genügt uns vorläu fig die Erklärung des Kanzlers, wie sie in der Presse be- kanntgegeben wurde. Wenn aber diese Erklärung dazu beitragen sollte, daß die historische Erörterung der Frage weiter betrieben, und das Beweismaterial gesam» melt werde, so wäre das zu begrüßen. Vorläufig hat die Regierung abzuwarten, bis sich eine geeignete Ge» legenheit, etwa bei der aktuell werdenden Frage der Auf» nähme Deutschlands in den Völkerbund, für die Noti fizierung bieten wird. I. A.