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7962 Börsenblatt s. d. Dtschn. vuchhanbet. Nichtamtlicher Teil. ^ 150, 1. Juli 1912. Der Zentralverband der Schulbuchhändler, Papier- uud GchreibwareN'Detaillifteu Deutschlands wird seinen 6. Verbandstog vom 6. bis 8. Juli in Dresden abhalten. Neben den fachtechnischen und wirtschaftlichen Fragen der Branche, auf welchem Gebiete der fast 1000 Mitglieder zählende Verband in den fünf Jahren seines Bestehens immer tätig gewesen ist, stehen insbesondere der Schulbücherbezug und das Zugabeunwesen an erster Stelle zur Beratung. Durch die beabsichtigte und beantragte Gründung eines Einigungsamtes und einer Schutzstelle gegen Preisunterbietungen in den eigenen Reihen hofft man gesündere und geordnetere Verhältnisse zu schaffen. «ewinnbetelliguug der Künstler. — Der unter dem Protektorat der französischen Regierung kürzlich in Paris ver anstaltete internationale Künstlerkongreß hat beschlossen, daß fortan die Künstlergenossenschaften und Künstlervereinigungen aller Länder übereinstimmend darauf hinarbeiten sollen, daß die Regierung ihres Landes ein Gesetz erlasse, nach dem den lebenden Künstlern bei Versteigerungen und Wiederverkäufen ihrer Werke ein bestimmter Prozentsatz an den erzielten Ge winnen gewährleistet wird. An der Beratung beteiligten sich unter anderem im Namen Frankreichs alle Vertreter der großen Kunstorganisationen, so auch Rodin, im Namen Deutschlands E. Berger, für Rußland der Bildhauer Bärenstamm, für Öster reich Otto Wagner, für Schweden Karl Larson und Karl Mobler, für Holland Van Hove, für Belgien De Vreese und Julian de Briendt, und ebenso die entsandten Delegierten der führenden dänischen, spanischen, italienischen Kunstgenossenschaften. Der fran zösischen Kammer liegt übrigen- ein Antrag vor, der in gleichem Sinne gefaßt ist. Postscheckverkehr. — Zur weiteren Förderung des bargeld losen Zahlungsausgleichs wird das Postscheckamt in Hannover am Juli der daselbst bestehenden Abrechnungsstelle der Reichs bank als Mitglied beitreten. In dem Abrechnung-verfahren werden auch Postschecks ausgeglichen, die einer der Abrechnungs- stelle angehörenden Bank zur Einziehung übergeben werden. Die Schecks müssen mit dem quer über die Vorderseite gesetzten Vermerke »Nur zur Verrechnung« versehen sein und dürfen auch über höhere Beträge als 10 000 lauten. Umzug. — Die Buchdruckerei Ramm L Seemann in Leipzig, die das Börsenblatt herstellt, hat vorigen Sonnabend die alte Stätte ihrer Wirksamkeit, den Anbau am Deutschen Buch händlerhaus auf dem Gerichtswege, wo sie über 24 Jahre unter gebracht war, verlassen, um gegenüber in dem an der Ecke der Hospitalstraße errichteten großen Neubau ihre weitere Tätigkeit zu entfalten. Das bisherige Druckereigebäude wird nun nieder gerissen, und an seiner Stelle wird der beschlossene Neubau für Bureauräume usw. der Geschäftsstelle erstehen. Pers onaluachrichten. Jnhaber-Jubiläum. — Am 1. Juli d. I. sind 25 Jahre verflossen, seit Herr Ludwig Ungelenk Inhaber der alten Firma Justus Naumann's Buchhandlung in Dresden ist. Der Herr Jubilar, ein Sohn des Schlesierlandes — in Strehlen stand seine Wiege —, hat den Buchhandel bei C. F. Weig- mann in Schweidnitz erlernt und ist von der Lehre weg in das Geschäft eingetreten, dessen Inhaber er nun seit 25 Jahren ist. Nachdem der langjährige Geschäftsführer des Geschäfts Bernhard Schindler dieses im Juni 1884 übernommen hatte, wurde Ungelenk im Februar 1887 Prokurist der Handlung, die ihm Schindler, veranlaßt durch seine zunehmende Kränklich, keit, am 1. Juli 1887 käuflich überließ. Seitdem hat Herr Un- gelenk die alte Firma mit Fleiß und Erfolg geleitet. Am 16. Oktober 1901 erwarb er den Verlag von Friedrich Richter in Leipzig, den er mit seinem Verlag vereinigte. Dem fleißigen, tüchtigen Kollegen seien zu seinem Jubeltage die herzlichsten Glückwünsche ausgesprochen. HariS Ne«ert -j-. — Der bayrische Hofschauspieler Hans Neuert, der hervorragende Charakterdarsteller der »Münchener« und ihr Mitdirektor auf ihren Gastspielreisen durch zwei Kontingente, der Verfasser zahlreicher zugkräftiger oberbayrischer Volksstücke, ist in Baden bei Zürich, wo er zurzeit zur Kur weilte, vierundsiebzig Jahre alt, einem Schlaganfall erlegen, der ihn vor wenigen Tagen betraf. Neuert war einer der stärksten Darsteller der Münchener Bühne in den letzten Jahrzehnten und auch außerhalb seiner Vaterstadt als solcher geschätzt. Literarisch ist er am bekanntesten geworden durch sein gemeinsam mit Gang- Hofer verfaßtes berühmtes Bühnenwerk »Der Herrgottschnitzer von Ammergau«. Auch seine Dramen »Der Prozeßhansl« (mit Ganghofer), »Der Geigenmacher von Mittenwald«, »Almenrausch und Edelweiß«, »'s Liefert von Schliersee« und »Im Austrag, stübl« werden von den oberbayerischen Wandertruppen noch heute gern aufgeführt. Sprechsaal. Zu dem Artikel: Buchhändlerische Neiseeindrücke in Rußland in den Nrn. 12S und 127. Das Börsenblatt bringt in neuerer Zeit so viele interessante Artikel aus Rußland und dem russischen Buchhandel, daß ich von vornherein um Entschuldigung bitten möchte, mich hier auch noch zum Wort gemeldet zu haben. Aber der Artikel des Herrn Ernst Waldmann fordert doch zu einer Klarstellung bzw. Warnung heraus. Wenn es Herrn Waldmann gelang, ohne »Patent«, d. h. ohne kaufmännischen Gildeschein, in Rußland seine Reise zu beenden, so kann er von Glück sagen. Auch Reisende anderer Zweige der deutschen Industrie, die Hunderttausende in Rußland umsetzen und denen es auf die 200 Rubel Jahressteuer nicht ankommen kann, versuchen immer wieder, und zwar oft ebenfalls mit Erfolg, diese Handelssteuer zu umgeben. Ich habe auf meinen Reisen aber auch schon mehrere Male erlebt, und zwar in Dorpat, Charkow, Kiew, daß solche ohne Patent reisende Herren bei Nacht und Nebel unter Zurücklassung ihrer Reisekoffer verdufteten, weil die Steuerbehörde und Polizei hinter ihnen her war. Und welchen Vorteil hat Herr Waldmann durch Nichtzahlung des Gildenscheins gehabt? Er hat 2 Wochen in Petersburg auf seine Musterkoffer warten müssen. Mit dem Patent hätte er diese Koffer als Passagiergut mitnehmen können, die Verzollung an der Grenze besorgt und seine Bücher am zweiten Tage von der Zensur in Petersburg abholen können. Die 14 Tage Zeitverlust und Spesen allein wiegen die 200 Rubel Patentkosten auf. Und noch zu einem zweiten Punkte möchte ich das Wort nehmen. Die Herren Sortimenter und Verleger in Rußland, die nach westeuropäischen Begriffen als Buchhändler in Frage kommen, werden nicht wenig erstaunt gewesen sein, zu hören, daß das »solenne Frühstücken« und der tiefe Trunk nach jedem größeren Geschäftsabschluß der schwierigste Punkt beim Reisen in Rußland sei. Ich reise seit zwölf Jahren in Rußland (ich glaube: auch nicht ganz resultatlos) und bin zu manchem der Herren in freundschaftliche Beziehungen getreten, aber zu Zechereien nach größeren Geschäftsabschlüssen, denen der West europäer kaum gewachsen sei, bin ich noch nicht veranlaßt worden. Auch daß der russische Geschäftsmann, soweit er nicht Jude ist, kein Kaufmann sei, möchte ich bestreiten. Ich halte im Gegen- teil den richtigen Russen für einen sehr verschlagenen Kaufmann, vor dem der deutsche Reisende stets auf der Hut sein sollte. Auch ich könnte hier noch manches Erlebte, Erfolge und Enttäuschungen, zum Besten geben, denn bei siebzehnjährigem Landesaufenthalt mit zwölfjähriger Reisetätigkeit hat man ja einen Sack voll Erfahrungen und Erlebnissen gesammelt. Aber ich glaube, dem deutschen Buchhandel in Rußland ist mit dem Erörtern seiner starken und schwachen Seiten gar nicht gedient, denn er selbst hat das Wort in sehr seltenen Fällen ergriffen — und er wird dafür wohl seine Gründe haben. Riga. Karl Lenz.