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1836 PAPIER-ZEITUNG Nr. 89/1917 Deutsche oder lateinische Schrift? Kommerzienrat Friedrich. Soennecken in Bonn, der unermüdliche Vorkämpfer für die Beseitigung der nachteiligen Zweischriftigkeit durch Rückkehr zum alleinigen Gebrauch der Altschrift oder latei nischen Schrift, veröffentlicht als dringende Forderung der Stunde einen Aufruf an das deutsche Volk zum Eintritt in den Altschrift- Bund, dessen Vorsitzender Kommerzienrat Soennecken ist. Der Aufruf umfaßt ein Quartheft von etwa 32 Seiten mit vielen Beilagen, in dem alle Gründe für den alleinigen Gebrauch der latei nischen Schrift an Stelle der spitzen verschnörkelten, sogenannten deutschen Schrift oder Fraktur noch einmal ausführlich mit vielen Beispielen und Bildern dargelegt sind. Ein Aufruf an das deutsche Volk zur Aufhebung der unnützen Zweischriftigkeit wird begründet durch den Hinweis darauf, daß in einem Volksschuljahr 250 Millionen Lernstunden und während der Volksschulzeit etwa 2000 Millionen Lernstunden in Deutschland gespart würden, die man für nützliche Lehrgegenstände verwenden könnte. Auf den Innenseiten und der letzten Seite des Umschlages ist unter dem Titel „das Wissens werteste von der Schrift” ein mit vielen Beispielen ausgestatteter kurzer Aufsatz abgedruckt. In seiner Kürze, Klarheit und der Ueber- zeugungskraft seiner Beispiele ist dieser Aufsatz vorbildlich. Er gibt nach einer kurzen Uebersicht über die Entwicklung der römischen Schrift Beispiele für ihre Umwandlung durch das Schreibgerät, indem die breitgespitzte Feder an Stelle des Meißels tritt. Er weist überzeugend nach, daß die verschiedenen Unzialschriften nichts als römische Großbuchstaben sind, die mit breiter Feder her gestellt wurden. Eine Probe der Schrift der Ulfilas- Bibel zeigt, daß diese Buchstaben nur die mangelhaften Formen der im 5. Jahrhundert v. Chr. in Griechenland gebräuchlichen vollkommenen Schriftbilder sind. Aus der Unzial-Schrift, die nur Großbuchstaben kennt, entwickelte sich infolge Vermehrung der Schreibarbeit die Halbunziale, welche auch Kleinbuchstaben verwendet. Die gotische Schrift ist ebenso wie die Unziale durch Federzug aus den römischen Buchstaben entstanden. Sie ist demnach eine rein künstlerische Zierschrift, die den Bau formen des gotischen Stils entspricht. Als Zierschreibschrift hat sie dauernde Bedeutung, dagegen ist sie für weithin lesbare Aufschriften wegen ihrer geringeren Uebersichtlichkeit und Klar heit ebensowenig wie die Unziale geeignet. Die gotische Schrift ver änderte in Anlehnung an den Baustil die runden Formen des römischen n und u in je zwei gerade Balken, die nur oben oder unten durch einen feinen Strich verbunden sind. Die Deutlichkeit der Schrift leidet unter dieser Verböserung von zwei der häufigsten Buchstaben sehr stark, aber der Schaden wäre nicht sehr schlimm, wenn er sich auf die Zierschreibschrift beschränkte. Leider hat auch die Fraktur schrift, die aus der gotischen Schrift hauptsächlich durch flüchtiges Schreiben und mangelhaftes Verständnis der Nürnberger Schrift schneider entstanden ist und nun fälschlich als „deutsche” Schrift gelten soll, neben vielen anderen Mängeln auch die mangelhafte Unterscheidung von n und u. Außerdem sind hauptsächlich die Groß buchstaben von derart willkürlicher und absonderlicher Form, daß eine Zeile solcher Großbuchstaben schlechthin unlesbar ist und nur durch mühsames Buchstabieren entziffert werden kann. Der Verfasser beschäftigt sich dann mit den verschiedenen Auf schriften am Reichstagsgebäude, die der eingehenden Prüfung leider in keiner Beziehung standhalten können. Die vier Aufschriften auf den Ecktürmen nennen die vier Könige, die inDeutschland herrschten, als der Reichstagsbau vollendet wurde. Die Schriftformen für diese Inschriften sind in dem Bestreben, die Art mittelalterlicher Inschriften nachzuabmen, unleserlich, sinnlos abgekürzt und stillos. Verfasser hat sich der Mühe unterzogen, die Buchstabenformen nach ihrer Herkunft zu untersuchen, und da zeigt sich, daß in diesen vier In schriften bunt durcheinander Buchstaben der lateinischen Altschrift, der Fraktur, romanische und Rundschriftbuchstaben vertreten sind. Die Sammlung konnte also kaum buntscheckiger ausfallen, und die gewaltsamen Abkürzungen tun dann das Uebrige, um die Bedeutung der Inschriften noch dunkler erscheinen zu lassen. Die jüngste Aufschrift am Reichstagsgebäude, die seinerzeit so viele Aeußerungen für und wider die Fraktur hervorrief, ist von dem Ausschmückungsausschuß in einer Form genehmigt worden, die zwar nicht Fraktur ist, aber sich der romanischen und Unzial- Form nähert. So ist leider auch diese bedeutendste Inschrift am Reichstagshaus nicht stilrein und wird wahrscheinlich nach ver hältnismäßig kurzer Zeit wie ein Kleid von vorjähriger Mode er scheinen. Um die Bestrebungen zur Beseitigung der sogenannten deutschen Schreib- und Druckschrift, der Fraktur, zusammenzufassen, bat F. Soennecken den „Deutschen Altschrift-Bund” ins Leben gerufen, welcher allgemeine Aufklärung über die wahren Verhältnisse des deutschen Schriftwesens verbreiten will, um so für die Rückkehr zur früheren deutschen Schrift, der Altschrift oder Lateinschrift, die Wege zu ebnen. Der Deutsche Altschriftbund bezeichnet selbst als seine Ziele: 1. Allgemeine Verwendung der im Weltverkehr gebräuchlichen Altschrift, um in aller Welt das Verständnis für die deutsche Sprache und für deutsches Wesen zu fördern. 2. Stärkung des geistigen Rüstzeuges unseres Vaterlandes durch Beseitigung der überflüssigen Zweischriftigkeit. 3. Entlastung der überlasteten Schule von den vielen durch; Zweischriftigkeit bisher geopferten Schreibstunden, die künftig mehr als je für nützlichere Lehrforderungen des Lebens dringend not wendig sind. 4. Erleichterung des Erlernens der Rechtschreibung, des großen* Sorgenkindes' der deutschen Schule, durch den Gebrauch nur einer Schriftart, also auch nur einer Schreibschrift. Diese Ziele werden begründet durch einen von Friedrich Soen necken aufgestellten und wissenschaftlich begründeten Stufengang eines Schriftunterrichts; unter Heranziehung zahlreicher Beispiele wird dann bewiesen, daß bei der Altschrift die Großbuchstaben- Druckschrift mit der geschriebenen Schrift auch der Kleinbuchstaben in den Wortbildern übel einstimmt. Die Entwicklung der gegenwärtig in den Schulen allgemein gelehrten deutschen Schreibschrift aus den schlechten Vorlagen der Schreibmeister vom Anfänge des neunzehnten ’ Jahrhunderts wird an Beispielen gezeigt und schließlich nachge- wiesen, daß es unmöglich ist, die sogenannte deutsche spitze Schreib schrift nach ihren gravierten Vorlagen mit der Feder nachzuschreiben. Dieser gewichtige Einwand gegen die in der Schule gelehrte Schrift ist seit 1881, wo F. Soennecken in seiner Schrift „Das deutsche Schrift wesen und die Notwendigkeit seiner Reform” zuerst darauf hinwies, bekannt, ohne daß deshalb die Schrift verbessert wurde. Diese un richtigen Formen finden sich auch als Vorbilder in den Schulfibeln, wo sie seit etwa einem Jahrhundert immer wiederkehren, un bekümmert darum, daß kein Kind imstande ist, sie mit der spitzen Schulfeder oder irgend einer anderen Feder genau dem Vorbild nachzuschreiben. Häufig wird von mangelhaft Unterrichteten gegenüber der Forderung auf Einführung der Alt- oder Lateinschrift der Einwand erhoben, daß andere Völker, die nur Alt- oder Lateinschrift schreiben, trotzdem die Frakturschrift lesen können, da sie ja als Ueberschrift in Zeitungsköpfen angewandt werde.. Um diesen Einwand zu ent kräften, sind neun verschiedene ausländische Zeitungstitel bildlich, vorgeführt, und da zeigt sich, daß nur ein Titel, in spanischer Sprache, aus Fraktur gesetzt ist, während die anderen englischen und fran zösischen Zeitungstitel ausnahmslos in gotischer Schrift, nicht in Fraktur, erscheinen. Diese Verwendung der Gotisch und der Fraktur beweist, daß sie im Ausland nur als Zierschrift aber nirgends als deutsche Schrift gelten. Um die alleinige Einführung der Altschrift in der Schule den beteiligten Kreisen recht nahezulegen, hat Soennecken sowohl die Altschrift wie auch die Fraktur in ihre einzelnen Formenteile zer- Ngt und weist nach, daß die einfache Altschrift aus wenigen Bogen und Strichen gebildet ist, während die Fraktur aus einer Unzahl von Bogen und Häkchen zusammengesetzt ist, die auch noch für die Groß- und Kleinbuchstaben verschieden sind. Auch die Altschrift hat sich in Deutschland nach und nach in den letzten 100 Jahren verschlechtert, weil man sich zu sehr nach französischen Vorbildern richtete, bei denen die senkrechten Schriftbalken nur durch haar feine Verbindungsstriche Zusammenhängen. An ihrer Stelle wird die kräftige Mediaeval-Altschrift empfohlen, deren Zeichen in allen Teilen besser durchgebildet und daher auch leichter zu lesen sind. Von gegnerischer Seite hat man dem Kommerzienrat Friedrich Soennecken nachgesagt, daß es ihm nur auf den Absatz seiner Rundschriftfedern ankomme, und daß seine Bestrebungen für Einführung der Altschrift nur geschäftliche Bedeutung für ihn selbst haben könnten. Demgegenüber kann der Angegriffene auf seine eingehende Beschäftigung mit der Schrift und auf seine schriftgeschichtlichen und kunstgeschichtlichen Untersuchungen so wie auf seine praktischen Schriftforschungen in den bedeutendsten Büchereien im In- und Ausland verweisen. Er beweist, daß sein praktisches Eintreten für die deutsche Altschrift in eine Zeit zurück reicht, in der er an Errichtung einer Fabrik für Schreibfedern und Schriftlehrmittel noch nicht denken konnte. Für die frühzeitige Neigung zur Schrift überhaupt kann der Verfasser außerdem Schrift zeichnungen abbilden, die aus seinem 13. Lebensjahr stammen, und eine lange Reihe von Zeugnissen angesehener Fachleute bestätigt die Richtigkeit und den Wert der angestrebten Schriftverbesserung. Buchdrucker-Löhne. Die in unserer Nr. 88 auszugsweise mit geteilten Beschlüsse des Tarifausschusses der Deutschen Buch- drucker in bezug auf Lohnerhöhung und Erhöhung der Entschädi gungen aus den §§ 6, 7 und 53 des Tarifs haben schon jetzt beim Tarifamt der Deutschen Buchdrucker zu einer Unmenge von Anfragen geführt, die sich brieflich nicht alle beantworten lassen. Deshalb wird in der Woche vom 12. bis 17. November eine tabellarische Auf rechnung aller Streitfälle den Fachblättern zur Veröffentlichung zugehen. Arbeitskräfte für Zeitungsbetriebe. Auf eine Eingabe des Ver eins Deutscher Zeitungs-Verlegers kam dieser/Tage vom Kriegsamt (Kriegsarbeitsamt) eine Mitteilung, wonach „in steter Würdigung der Bedeutung der Presse die Stellvertretenden Generalkommandos im September d. Js. darauf hingewiesen worden sind, Verlagen, Schrift leitungen und Betrieben der Zeitungen die als unbedingt erforderlich festgestellten Arbeitskräfte zu belassen.“