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Klassisch oder romantisch? 83 Schöpfungen der Kunst als geschlichtet darzustellen. Wo diese Ausgabe einseitig vom Boden der romantischen Lebensstimmung aus in Angriff genommen wird, droht die Gefahr des Pantheismus. Denn der Roman tiker geht darauf aus, den Geist mit Natur zu umkleiden, während die klassisch» Kunst die Natur mit Geist zu durchleuchten, zu verklären, zu adeln trachtet, überall wo Goethe dem klassischen Ideal folgt, ist er Theist; wo er Romantiker wird, gerät er in den Pantheismus. Die Lösung, die Versöhnung dieses Zwiespalts wird in der Niederkunst des Geistes sein, nachdem er durch Leid von der Natur losgetrennt, erlöst worden ist. Wir, die moderne Welt, stehen noch in den Erlösungs wehen, aber das Ziel ist ein großer Pfingsttag des Geistes, wo dieser niederfährt, alles begreifen lehrt, erhellt, durchleuchtet. Es ist keine Frage: die Romantik steht dem christlichen Gefühl von der Unzulänglichkeit alles Irdischen näher als die klassische Kunst, welche das Ewige in die Zeit verpflanzt. Wunderbar mannigfaltig kann die romantische Poesie der christlichen Sehnsucht und dem irdischen Unbefrie digtsein Ausdruck geben. Immer von neuem wühlt sie die Seele auf und läßt sie nicht zur Ruhe kommen, so wie heiße Mondnächte aufreizend wirken, oder wie eine ferne Musik hinter Wolken hervor als ein Echo tönt, „das nicht durch rauh-treues Wiedergeben der Töne, sondern durch abschwächendes Mildern derselben entzückt". (Jean Paul.) Aber gerade da, wo sie einer Seite des christlichen Gefühls ver stärkend entgegenkommt, gelangt sie auf denjenigen Punkt, von welchem aus sie sich von dem Ideal der höchsten Kunst, wie auch die christliche Philosophie dieses faßt und durch die Jahrhunderte bewahrt, notwendig entfernen muß. Mag das Lied, die Elegie, der Hymnus aus der Er regung, der Ergriffenheit geboren sein und die Ergriffenheit auch zum Zwecke haben, so besteht die Aufgabe höchster Kunst doch gerade darin, alles Verlangen zum Schweigen zu bringen und uns für Augenblicke in jenen Zustand seliger Geister zu versetzen, die, ganz in der Anschauung und Erkenntnis deS Objektes verloren, kein Begehren kennen. Jener tiefen Ruhe des Herzens teilhast zu machen, welche die Welt im allgemeinen nicht geben kann, das will die Kunst auf ihrem höchsten Gipfel. Wir alle, nicht nur der Künstler, genießen zuweilen solch« höchsten Augenblicke. Dann sind wir ganz in Anschauung verloren, scheinen uns selbst vergessen zu haben, alles Wollen schweigt, kein Kausal bedürfnis beunruhigt unS; es ist, als ob wir wie mit Götterblick alles mit einem Male erschauten und in tiefster Erkenntnis selig wären. Hier 6*