170 Was eine Literatur bedeutet Leben den gleichen Anteil an der Religion der Katholiken"^) Das ist es, was diese auch heute noch mehr als irgendeine andere für Dichtung und Kunst fruchtbar macht oder machen könnte, wenn jener wirklich uni verselle Charakter von ihren gebildeten Bekennern wieder stärker betont, praktisch betätigt, lebhafter begünstigt oder mindestens nicht gehindert würde, sich harmonisch zu entfalten. Die kirchlich-autoritative Lehre ist stets für diese harmonische Entfaltung eingetreten. Aber in der Praxis sieht es vielfach wesentlich anders aus. Der einfache Mensch zwar findet noch seine volle Befriedigung in der Kirche, „weil das, was hier als Idee ausgesprochen ist, wenigstens als dunkel geahntes Bedürfnis in seiner Seele" liegt. Der Gebildete hat jedoch vielfach nicht mehr das gleich sichere Verhältnis. Aber auch er, so fährt Menzel fort, würde keine andere (als die katholische Religion) mehr kennen, wenn bei ihm nicht einseitig ein Organ (Menzel meint den Intellekt und seine Frucht, „den nüchternen Denkglauben") vorherrschte oder mit der Hintansetzung der anderen ausgebildet wäre, wenn die Zeit so weit vorgerückt wäre, um so viel umfassen zu können, als der vollendete Katholizismus an Bildung verlangt."*) Als der vollendete Katholizismus an Bildung verlangt! Damit ist alles gesagt! Die Notwendigkeit intensiver wissenschaftlicher Ausbildung und Betätigung sehen wir längst prinzipiell anerkannt und verteidigt. Dem Literaturleben steht man immer noch mehr oder minder gleichgültig gegenüber. Was ich schon vor zehn Jahren sagte, kann Falkenberg heute noch mit gleicher Geltung wiederholen: „Man kann ganz ruhig das Literaturleben als das Aschenbrödel unter den katholischen Interessen bezeichnen."*) Das ist nur möglich, weil man die Bedeutung einer freien und großen Literatur noch nicht erfaßt hat. Ich sage: einer freien Lite ratur im Gegensatz zu einer solchen, die in den Dienst von allerhand Nebenzwecken gestellt ist, und ich sage: einer großen Literatur im Gegensatz zu jener Verlegerliteratur zur Befriedigung des Lese- und Geschenkbedürfnisses>) 1) Ebenda S. 140. 2) Ebenda S. 141. 3) Wir Katholiken und die deutsche Literatur. S. 144. 4) Zu den Nebenzwecken gehört bis zu einem gewissen Grad auch jene Förderung der Literatur als eines Mittels zur geistigen Beeinflussung der Massen. Dem Eiser hierfür entstammt die