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Hohenstem-ErnsUhüler TsHÄZM un-LuMer Nr. 279 Donnerstag, den I. Dezember 1927 1. Beilage SWWer LMM 52. Sitzung Dresden, 30. November Die heutige Landtagssitzung begann wieder cin- mal erst mit einigen persönlichen Erklä rungen. Zunächst versuchte der Abg. Eöttling von der Aufwertungspartei den in der letzten Ple narsitzung gegen die Abgeordneten dieser Partei er hobenen Vorwurf zu entrrästen, dab sic bei der Be handlung ihrer Anträge im Ausschub weitestgehende Gefetzesunlenntnis verraten Hütten. Abg. Dr. Frucht (Dtsche. Vp.) wandte sich in einer Erklärung gegen die von dem Abg. Enterlcin lWirtsch. Vgg.) in der vorhergcgangcncn Sitzung in I Sachen des Streikes der Teppicharbeiter in Oelsnitz i. V. abgegebene Erklärung und stellte fest, dab nicht wegzulcugncn sei, dab der Abg. Enterlein als wirt- MMlsparteilicher Stadtverordneter in Oelsnitz i. V. für die Ucbernahme der Krankenkassenbeiträge für Lie Streikenden auf Etadtkojten cingetreten ist. Es folgte dann die Beratung von Anträgen auf Strafverfolgung von Abgeodrnetcn. Einstimmig abgelehnt wurde der Antrag des thürin gischen Amtsgerichts Altenburg auf Genehmigung zur Strafvollstreckung einer Ersatzgcfängnisstraje gegen den nationalsozialistischen Abgeordneten T i t t- in a n n. Zu längeren Eeschäftsordnungsdebatten führte der Antrag, die Strasvollstreckung der kommunisti schen Abgeordneten Schreiber- Oberwürschniü, Noscher und Bleier zu erteilen, die in der Ple narsitzung vom 2V. März 1927 tätlich gegen den Abg. Bethke vorgegangen waren. Die Strafverfol gung dieser Abgeordneten wurde gegen die Stimmen der Kommunisten und Sozialdemokraten genehmigt, dagegen die Strafverfolgung des Abg. Renner ghgeichnt, weil hier die Altjozialisten und National sozialisten mit für Lie Ablehnung stimmten. Einstimmig abgelchnt wurden zwei Anträge auf Strafverfolgung gegen die Abg. Nebrig (Soz.) und Müller-Chemnitz (Alljoz,). Ein Antrag der Kommunisten wegen Aushebung der Strasversolgung von Abgeordneten durch den Obcrreichsanwalt wurde ohne Aussprache dem Nechtsausschub überwiesen. Auf eine Anfrage der Kommunisten, in welchem Umfange die sächsische Negierung die aus Anlab des H i n d c n b u r g t a g e s erlassene Amnestie durchzuführen beabsichtige, wurde von dem Rcgie- rungsvertrctcr Ministerialdirektor Dr. Wulffen cniärt, dab das Justizministerium bei seinen Ent- schliebungen besonders berücksichtige 1. die Persön lichkeit des Täters, insbesondere sein Alter, sein Vor leben, seine Verdienste um die Allgemeinheit (z. B. Kricgsteilnahme, Kricgsbeschüdigung usw.), 2. die Umstände und die Beweggründe der Tat, 3. das Ver halten des Täters nach der Tat; insvcsondere seine Bemühungen um Wiedergutmachung des Schadens und seine Führung im Strafvollzug, 4. die wirt- smaftliche Lage des Täters und die sonstigen Vcr- bältnisfe seiner Familie. Von der Begnadigung nehme das Justizministerium in der Regel solche Personen aus, die dem Gewerbs- oder Eewohnhcits- n rbrechcrtum »»gehören oder die aus Roheit, Ge winnsucht oder einem sonstigen niedrigen Beweg grund die Tat begangen haben oder an denen Zucht ¬ hausstrafe zu vollstrecken ist. Zur Durchführung der von ihm beabsichtigten Mabnahmen habe das Justiz ministerium die Strasvollstreckungs- und Strafoerfol- gungsbchörden angewiesen, ihm alle Sachen cinzu- berichten, in denen ein Enadenerweis nach Mabgabe seiner Verordnung vom 2. Oktober angezeigt ist. Dem Justizministerium seien daraufhin bisher 2100 Strafakten zur Entschliebung vorgelcgt worden. Bis, jetzt seien insgesamt 348 Begnadigungen ausgespro chen worden. Mit einer erheblichen Erhöhung die ser Zahl sei noch zu rechnen. Zu einem weiteren Anträge der Kommunisten, der ihre schon so oft im Landtage gestellten Forde rungen auf Erlab einer allgemeinen Amne stie wiederholt, wurde von demselben Regierungs- Vertreter erklärt, dab die Regierung an ihrer im Landtage schon häufig aus gleichem Aniab erklärten Auffassung festhält, dab Einzelbcgnadigungen auch auf dem Gebiete der politischen Strajsachen einer allgemeinen Amnestie vorzuzichen seien. Soweit der Antrag auch Straffreiheit für die Abtreibungen ver lange, müsse die Regierung den Antrag ablehncn. Im übrigen stellte der Regierungsvertreter aus drücklich fest, dab das Verhältnis der wegen Abtrei bung bestraften weiblichen Gefangenen in Waldheim zu der Gesamtzahl nur 8 Prozent beträgt. Die bei den kommunistischen Anträge wurden gegen die Stim men der Kommunisten und Sozialdemokraten abgs- lchnt. Weiter wurde nach längerer Aussprache ein An trag der Mehrheit des Rcchtsausschusses angenom men, die Regierung zu beauftragen, auf die Reichs regierung cinzuwirken, Lab 1. eine grundlegende Reform des Ehescheidungsrechtes in An griff genommen wird und 2. gleichzeitig eine Reform des ehelichen EUterrechts in die Wege geleitet wird, wobei insbesondere gesetzlich estzulcgen ist, dab das in der Ehe gemeinsam cr- oorbene Vermögen den Ehegatten zu gleichen Tei len gehört. Viel Zeit wurde dann nutzlos vertan mit der Er örterung einer Anfrage der Sozialdemokraten, denen es nicht gefiel, dab bei einer Ruhetagsfeier in der Ecfangencnanstalt Hoheneck ein Mitglied der Heilsarmee einen Vortrag gehalten hat. Ebenso nutzlos und breit waren die Erörterungen über einen kommunistischen Antrag, der sich mit der Auslegung der Hoch- und L a n d e s v e r r a t s p a r a g r a- phen bcfabte. Schließlich kamen noch die Sozialdemokraten mit einem Anträge, dab die sächsische Regierung bei den weiteren Beratungen des Strafgesctzentwurscs für Abschaffung der Todesstrafe eintrcten solle. Mit den Antragstellern nahmen die Kommu nisten natürlich die Konkurrenz in leidenschaftlicher Bekämpfung der heutigen Form des Strafvollzuges auf, selbstverständlich in stundenlangen Reden. Der Vertreter des Justizministeriums gab eine Statistik über die Vollstreckung der Todesstrafe in Sachsen von 1855 bis heute. Aus dieser Statistik ging her vor, dab wiederholt längere Zeit Todesurteile nicht vollstreckt worden sind. Auf Grund dieser Statistik stellte der Rcgierungsvcrtrctcr fest, dab bei Voll- prcckung von Todesurteilen in der nachfolgenden Zeit die Zahl der Verurteilungen zum Tode abnahm, während diese Verurteilungen in außerordentlichem Maße von 1919 ab stiegen, weil seit dieser Zeit kein Todesurteil mehr vollstreckt worden ist. Der Antrag wurde angenommen, weil mit Len Sozialdemokraten und Kommunisten die Altsozia listen und Demokraten mit Ausnahme des Abg. Dr. Dehne stimmten. Die Verhandlungen dauerten bei Schlub des Be richts noch fort. Nächste Sitzung: Donnerstag, den 1. Dezember, Tagesordnung: Sächsische Landcspfandbriefunstalt, Streik der Eisenbahner in Dresden und Schulfragen. Gächstsches Hohenstein-Ernstthal, 1. Dezember 1927 LSie Natur im Dezember Der Dezember scheint in diesem Jahre sei nem Rufe als der eigentliche Wintermonat Ehre zu machen. Schon Ende des Vormonats hat eine empfindliche Kälte eingesetzt, und die Flu ren haben sich, allerdings teilweise nur vorüber gehend, in ein weißes Wintergewand eingehüllt. Dem Landmann ist es so willkommen, weil er mit Recht der Ansicht ist, daß eine Schneedecke der beste Schutz gegen das Ausfrieren der Saaten ist. Für ihn ist dieser Monat, wo die Feld arbeit gänzlich ruht, das, was für den Städter der Erholungsurlaub im Sommer bedeutet. An den langen Winterabenden bietet sich ihm reich lich Gelegenheit, in der Familie und mit den Nachbarn Geselligkeit zu pflegen. Als Lhrist- monat bringt der Dezember eine Reihe von Fest tagen, an denen gut Essen und Trinken eine große Nolle spielen, zumal Küche und Keller gefüllt sind. Draußen in der Natur ist zwar das Leben fast gänzlich erstorben, aber auch sie hat trotzdem ihre besonderen Reize. Freilich ist das Leben nicht vollständig erloschen, denn bei mildem Wetter zeigt sich in der Pflanzenwelt noch der schwarze Nieswurz, der aber auch weiß erblüht und daher den ehrenden Namen Christwurz oder Weihnachtsrose verdient. Insekten zeigen sich draußen jetzt kaum noch, wenn nicht einmal ein Frostspanner oder Mistkäfer auftaucht. Drin nen im Ziminer aber summt wohl die „Vrot- fliege", die als Wintergesellschaftler nach altem Volksglauben geschont und gepflegt werden muß. Reptilien und Amphibien liegen im Winter schlaf. Für die Vögel ist eine Notzeit gekommen und die Menschen, die sie in der schönen Jahres zeit mit ihrer lieblichen Stimme und ihrem munteren Treiben in Wald und Flur ergötzen, sollten darauf bedacht sein, sie darüber hinweg zubringen. Das Singen ist allen vergangen. N: r der kleine Zaunkönig läßt seine Stimme erK :en und ebenfalls die Wasseramsel. Den Wald durchhallt das laute Hämmern der Spechte, als wenn Holzhauer an der Arbeit sind. Wie die Vögel, hat es auch das Wild jetzt schwer, nicht nur, daß ihm der Jäger nach stellt, sondern auch der Hunger es bedroht. Jetzt muß sich daher der Jäger zugleich auch als He ger erweisen. Die Schwarzkittel halten jetzt Hochzeit. Die Keiler sind hinter den Bachen her und Grimmbart, der Dachs, verschläft die harte Zeit. Träume... Wer zuerst unser irdisches Sein des Meeres Abbild nannte, der war ein weiser Mann' und wie recht er geschaut hat, das spüren wir Sterb lichen je länger desto mehr. Denn der Menschen Leben in der Freude Tagen, da eitel Lust und Wonne ohne Ende wie die Sonne scheinen gleicht es nicht der windstillen, harmlos in ihrem Schlummer lächelnden See? Die rasen den, verderblichen Wetter des Ozeans, sind sie nicht ein Abbild der Stürme des Schicksals und der Leidenschaft, die tobend und erbarmungslos in Abgrundtiefen menschliches Glück, menschlichen Stolz begraben? Auf schwankendem Kahne gleiten wir über die Fluten dahin, vom Hauch der Hoffnung die Segel geschwellt, auf den Lippen ernste und heitere Lieder. Fern im Duste verschwimmend winkt der Ewigkeit Gestade dem rüstigen Schiffer — wird er's erreichen? Aber mitten in den Fluten erhebt sich ein Glas Die Tragödie eines Sportlers Der Schützenhaussaal war vollbesetzt. Etwa 800 Personen mochten dagewesen sein. Nach dem Beifall, dem Lachen und der Stille während des letzten Bildes zu urteilen, hat auf alle die Tra gödie eines unglückseligen jungen Menschen tief gewirkt. Wie hätte es auch anders sein können .' Die Darsteller spielten ein Stück Menschenleben, das der Dichter ergreifend gestaltet. Die Tragödie erinnert mich lebhaft an das Drama „Blaue Jungen" von Leo Herzog, das jetzt am Bußtag im städtischen Schauspielhaus in Chemnitz seine Uraufführung erlebte und über die auch in diesem Blatte berichtet wurde. Neides sind Tendenzstücke. Ich weiß es, die Kritik lehnt sie mehr oder weniger stark ab Tendcnzstücke, die irgend einer politischen Idee, einem bestimmten politischen Zweck dienen und Verwirrung unter das Volk tragen, lehne auch ich ab. Tendenzstücke aber, die der Volksaus- tlnrnng gewidmet sind, rückhaltlos für volle Aufklärung auf dem Gebiete der Hygiene kämp fen, erkenne ich voll und ganz an. Beide Stücke — „Olaf" und auch „Blaue Jungen" - lasse ich gelten. Ja, ich sage: sie gehören auf die Bühne, sie gehören vor das Publi- k u m. Unserer Zeit tut Aufklärung gerade in hygienischer Hinsicht not. Unsere Volksgesund heit ist schwer geschädigt. Einmal durch die Kriegsernährung — die in vielen, vor allem bei den Kindern, den Keim zur Krankheit legte — und zum anderen durch die Folgen des Krieges, nämlich: in moralischer, sittlicher und religiöser Hinsicht. Gerade hier zeigt sich die Not unseres Volkes am furchtbarsten! Innerlich haltlos und leer, ohne Erkenntnis des wahren Sinns des Lebens, taumelt alt und jung von Genuß zu Genuß. Wenige nur sind es, die in diesem Cinnentaumel beiseite stehen, die warnen. Die meisten wollen von diesen Warnungen nichts wissen, wollen sie gar nicht Horen — sie wollen nur genießen! Man habe ja während des Krieges auf jedes Vergnügen verzichten müssen, nichts als Not kennen gelernt, für die man sich jetzt schadlos halte. Mit diesen Worten entschul digt man sich, entschuldigt man seinen nur noch auf Vergnügen eingestellten Sinn. Erst dann, wenn es meist zu spät ist, erkennt man die Fol gen eines solchen Lebens. Und dann ist es immer noch nicht zu spät. Auch dann ist noch ein Weg zur Rettung frei. Dieser Weg aber führt — zum Arzt. Doch den gehen die meisten nicht. Aus falscher Scham. Oder, die den Arzt ausge sucht haben, kommen nicht wieder. Weil es ihnen lästig ist, sich seinen Anordnungen zu fügen. Eie wouen ohne Hemmungen, ohne Bin dungen sein! Lieber vertrauen sie sich einem Kurpfuscher an, der sie nicht „graulen" macht, der ein langes Leben in Gesundheit und Kraft verspricht. Und der harmlose Pflästerchen und Tränklein für „harmlose" Krankheiten hat. Olaf Jungs Tragödie hat sich in den ver gangenen Jahren schon oft abgespielt. Noch in der Gegenwart erleben wir dieses Drama. Biele unvollendete Symphonien haben wir zu be klagen. Möchte die Zukunft hierin einen Wan del schaffen! Dies zu bewi'ten, ist die Pflicht des Elternhauses, der Schule und — des Theaters. Oder anders gesagt: Eltern und Schule müssen den Akut finden, den Kindern die Wahrheit zu sagen! Und die Theater müssen den Mut haben, auf ein, zwei moderne Stücke (siehe „Der Dieb" von Henry Bernstein) in ihrem Spielplon zu verzichten, dafür aber Dra men wie „Olas" und „Blaue Jungen" auf die Bühne zu bringen. Wir müssen unterscheiden lernen zwischen Scham und falscher Scham. Denken wir doch einmal daran: der weitaus größte Teil der bisherigen Jugend erhielt seine „Aufklärung" durch die Straße. Wohin diese Aufklärung geführt, zeigen die unglückseligen Opfer der Straße. Wollen wir, daß dies auch in Zukunft so bleibe? Ein weiteres Wort gilt aber auch denen, die Aufklärung suchen und erhalten. Beachtet sie! heißt das Wort, das wir ihnen zurusen können. Hört sie nicht nur, die Aufklärung, sondern be haltet sie auch. Viele hören wohl, vergessen aber schnell. Auf die Handlung der Tragödie brauche ich nicht näher einzugehen. Sie ist allen unseren Lesern bereits durch die Hinweise auf die Auf führung bekannt. Beherzige man die Worte, die ich niederschrieb. Sie sind ehrlich gemeint, wie auch die Absicht des Verfassers der Tragödie ehrlich ist: an seinem Teile zur Wiedererstarkung unseres Volkes mitzuarbeiten. Diese Wieder erstarkung — ich muß das ganz besonders be tonen, denn man könnte mich mißverstehen — sehe ich weniger in der politischen Kräftigung (die kommt erst an zweiter Stelle), als vielmehr in der seelischen und körperlichen. Wenn wir Deutschen allesamt wieder wahre, echte Menschen , geworden sind, die mit beiden Füßen auf der Eroe stehen, sittlich und moralisch in sich ge- ! festigte Persönlichkeiten darstellen, dann wer- ! den wir frei sein aller Fessel, die uns jetzt bin- I den. Befreien wir uns also von den unsicht baren, aber um so furchtbareren Fesseln, dann zerbrechen auch die äußeren, sichtbaren Ketten! Noch ein Wort Uber die Darstellung. Die verdient die Note 1, denn es wurde — wie ich schon eingangs sagte — glänzend gespielt. Man merkte es den Künstlern an, daß sie sich hervorragend eingespielt haben. In erster Linie ist Witty Gallwitz zu nennen, der Pro fessor. Schlichte Menschlichkeit sprach in seinen Worten und ein Helges Sehnen, helfen zu wollen. Dieser Arzt war verkörperte Liebe. Eine darstellerische Mcisterleistung war auch sein alter, abgetakelter Lebegreis in der Var. Die meisten werden ihn nicht erkannt haben. Dann ist Olaf Bach — der Olaf Jung — zu nennen. Er müßte sich nur noch ein wenig straffer halten, daß man dem Sportsmann in ihm glaubt. Aber sonst war sein Spiel sauber und im letzten Bild direkt erschütternd. Eine solche reale Dar stellung eines langsam Verblödenden sah ich schon einmal, bei Rudolf Schürer in Ibsens „Gespenstern". Ferdinand Steinhofer als Tom Eyben war der gute Freund. Im ersten Bild brach seine Freundschaft schön durch: als er mit aller Macht um seinen Freund kämpfte. Ernst Laskowski, der als Verfasser der Tra gödie zeichnet, unterstrich den eitlen, aber gut mütigen Dick. Ewald Delmar als Bubi war eine getreue Kopie des heutigen Großstadtjüng- lings: etwas blasiert, mit allen Wassern und Wässerchen gewaschen. Der Kurpfuscher Winkel mann wurde von Eberhard Wrede dargestellt. Etwas groteskenhaft herausgeputzt, wirkte er aber. Nor allem war das erreicht, worauf es gerade ankam: das Publikum lernte den Unter schied kennen zwischen einem wirklichen Arzt von wirklichem Können und einem Scharlatan, der lediglich mit Phrasen und Hokuspokus die Leute verblüfft. Kurt Menzel als Präsident der Sportverbünde hätte ich mir nur ein wenig ruhiger gewünscht. Irene Martens als Thea Jung und Tilly Wötzel als Gerda Eyben spielten beide prächtig. Sie waren der Aus bund der Jugendlust und -freude. Erinnert sei nur an ihre „Liebeserklärung". Im letzten Bild war Tilly Wötzel die stille Dulderin. Ihr Spiel blieb nicht ohne Wirkung. Ellen Tietz war Amanda, die Dirne. Eie war bei nahe zu bürgerlich als solche. Sie hätte noch einen Schuß Raffiniertheit mehr vertragen. Das Girren um die Männer war nur ange deutet. Der Beifall nach jedem Bild war stark. Er galt aber lediglich dem Spiel. Beifall hätte auch der Versager der Tragödie verdient. Neh men wir an, daß diese trotzdem verstanden wurde und — ihre Mahnung von allen beherzigt und befolgt wird! Zu erwähnen ist noch, daß vor Beginn der ! Aufführung das Wort Herr vr. mell. Strey als Arzt des hiesigen Wohlfahrtspflegeaus- schusses ergriff, der kurz ausführte: ES ist sicher richtig. das? mancherlei Krankheiten. ins besondere die soacnannten Infektionskrankheiten, durch an sie re Anlässe, etwa durch Bakterie» e milchen, die zur Unsektio» oder Ansteckung des Patienten fübreii. Eben so wichtig ist cs aber auch, zu wissen, das dies nicht die alleinige Ursache ist. sondern tn gleicher Peciie sunväch- liche Körver- oder Ebaraklervcranlayung. Leichtsinn. U»- wtncnbcit. schlechte soziale Lage. Vcnühru»g. Verantwor tungslosigkeit mit z»r Entstellung einer Krankheit bei tragen tonnen, ia oft das allein Ausschlaggebende sind. Dies gilt insbesondere non den Volksscuchcn, wie sic in allcr Form dcs Alkolwlismus. der 'Tuberkulose oder der Geschlechtskrankheiten an unserer Volksgcsunühcit nagen. ES ist ein Trngschluy. zu glauben, das, diese innerhalb der wirtschaftlichen und gesundheitlichen Lage unseres PolkcS nur eine untergeordnete Bedeutung besthcn. Wer einen Einblick tu dte Erfahrungen ciues Arztes, eines Wohlfahrtsamtes, einer K ranlenkabe tut. der erfährt mit erschütternder Gcwihhctt, wie gras, das Elend ist. wie hoch dte Hctlnngskvsten, die Sicchcngelder sich bc- lanfcu. Dieser Berlnst an Vollkraft und BolkSvermiigen ist vor allem deshalb Io bedauerlich, weil cr vermeidbar ist. wenn durch Kenntnisse und Verantwortung des Einzelne» diese Senchen nicht weiter getragen werden. Kenntnisse: mau muh wissen, wer der Feind ist und wo cr sicht: Vercntwnrtnng: man darf nicht die Gesellschaft, die Familie leichtsinnig schädigen um eigener Schuld wil len. So sind gerade die Geschlechtskrankheiten nusrott bar und mit ihrer Beseitigung zöge viel Leid und Kum mer aus mancher Familie. Man muh die Art an die Wurzel legen. Diese Wurzel dcs Büscn liegt aber im Einzelne,, in erster Linie: dte Ansleckn»gSmbnltchke:t anderer durch leichtsinnige Kranke muh mimdglich ge macht werden Dem will das neue Gesetz znr Bekämp fung der Geschlechtskrankheiten dienen. Sic haben man cherlei davon gehört. licher mehr Falsches als Richtiges. Richt gegen die arme erkrankte Person will man Vor gehen, sondern der Krankheit ivill man habhaft werden. Dan um der Gesellschaft willen, um der Gesundheit des ganzen Volkes willen es bei VcranIwortnngSlafcii nicht S abgehcn darf ist selbstverständlich, So ist diese« Gesetz, mehr als manches andere tn dic Oände und Verantwortung des Arztes und der Bevölkerung ne- lcgt, Krankhc t darf nicht weiter verbreitet wer- den! Dann ist ihr baldige« AuSsterbcn auch sicher, wenn «rankc geheilt werden und Gesunde dic Gefahren ken- neu und he meiden. Dies alles will daß Stiick. an einem Beispiel — der VolkSaeihcl der Siwbilts — Flmc» vor Augen führen. „ES ist ein Ausschnitt au« dem Leben, ein Fall, der möglich ist. Bedenken Sic. dah lclbsl bin. tcr den leichten, zum Sachen verführenden Szenen hinter allem glanzenden Schct» schon das Böse lauert. Gi„„j und Lust sind dic änhcrcn Schcinklctdcr dlcscr Dtvgc. aber hohl und lccr. zernagt, vcrscncht sicht cs im Innern aus. Lassen Sic mit Ernst und Verantwor tung diese Szene» an sich vmttbcrzicbcn. vergessen Sie aber nicht, das, dranhcn dem Gcslmdcn dic Sonne ichcint. Leider, weih mir der Kranke, was dic Gcsnndhctt dcm Menschen bcdcntct. Beugen Sie der Krankheit vor und wissen Sic auch als Geluude, weich' Gut dte Gesund- Helt ist. Walter Steeger