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Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt und Anzeiger : 01.12.1927
- Erscheinungsdatum
- 1927-12-01
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841112631-192712015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841112631-19271201
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841112631-19271201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1927
-
Monat
1927-12
- Tag 1927-12-01
-
Monat
1927-12
-
Jahr
1927
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Handel und Wirtschaft Beilage zum Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt und Anzeiger Nr. 279 Donnerstaq. den 1. Dezember 1927 Zwischen Echlla Die Bedrohung unserer Währung durch Von A. W. Heinrich Heine hat in einer seiner Pariser Konzertkritiken die Bemerkung gemacht: „Die Sängerin L wurde sehr gelobt — sie hat es aber auch sehr nötig!" Wenn verantwortliche deutsche Staatsmänner immer und immer wieder die ungefährdete Stabilität der deutschen Währung betonen, so wird man an diesen Heineschen Ausspruch peinlich erinnert. Selbstverständlich müssen die verantwortlichen Hüter der deutschen Währung uferlosen Krisengerüchten entgegen- Ucten, wie es uns selbstverständlich erscheint, daß jede Beunruhigung der öffentlichen Meinung unverantwortlich ist, wird sie nicht von ernster Sorge diktiert und auf unwiderlegbare Tat sachen gestützt. Der Reichsbankpräsident und die Staatsminister, welche die Wührungssrage wie derholt öffentlich behandelten, beschränkten sich aber immer auf sehr kategorische Erklärungen: „Die Währung ist ungefährdet". Statt diese Behauptung sachlich zu stützen, tat man die Zweifler als unverantwortliche Krisenmacher und Schädlinge ab. Vesser wäre es, die unbe quemen Warner, an deren Spitze neuerdings ein Fremder, Parker (Silbcrt, treten mutzte, von der Grundlosigkeit ihrer Befürchtungen zu über zeugen. Das ist bisher nicht geschehen und wird, wie wir fürchten, auch fernerhin nicht der Fall sein. Die Antwort der Neichsregierung an Gilbert enthielt im Kern Versicherungen des offiziellen Optimismus und der loyalen Erfül lung der Dawes-Verpflichtungen, ohne jedoch die Grenzen zwischen dem guten Willen der Re gierung und dem künftigen Vermögen der Nation auch nur anzudeuten. Kluge Voraussicht mutzte den Gläubigern schon heute die alte Wahrheit sagen: „Vesser ein Gericht Kraut mit Liebe als ein gebratener Ochse mit Hatz!" Statt dessen werden Versprechungen gemacht, an deren Er füllbarkeit jeglicher Zweifel berechtigt ist. Aus wirtschaftspolitischer Hossnungsseligkeit wird politische Fahrlässigkeit, die uns, je näher wir der Krise kommen, um so stärker den bekannten ehrenrührigen Vorwurf einträgt, das deutsche Volk habe sich durch katastrophale Bankrottpoli tik planmäßig den immer wieder feierlich aner kannten Verpflichtungen und deren restloser Er füllung zu entziehen versucht. Enthüllt sich dann die Undurchführbarkeit des Dawes-Abkommens vor aller Welt, so ist nicht der Wahnwitz dieses wirtschastlichen Turmbaus zu Babel der Grund, sondern diese,Welt sieht erneut ein schuldhaftes Bolt als rünkekundigm Betrüger. Das wird das Ergebnis einer Staatskunst sein, die den Schein der autzcrpolitischen Loyalität höher wer tet als die lebensnotwendige Verteidigung der nationalen Unabhängigkeit. Die Unterlassung der außenpolitischen Verteidigung mutz und wird sich gerade an einem Volke besonders schwer rächen, dessen ganze Wehrhaftigkeit in der Er haltung seiner selbständigen Wirtschaft und Finanzhoheit besteht, nachdem es aller anderen Machtmittel bis zur Nacktheit entkleidet wurde. Die Kontributionen bedrohen unsere Wäh rung tatsächlich aus das gefährlichste, denn sie fließen nicht als Ueberschüsse aus einer aktiv bilanzierenden Wirtschaft, sondern sie werden aus der fortschreitenden Verpfändung unserer Wiltschaftssubstanz und der damit verbundenen Preisgabe der Wirtschaftsselbständigkeit gewon nen. Die Einrichtung einer Anleihe- und Nepa- rauonskommission bei der Berliner Negierung und die Vorgänge, die zu der Einrichtung dieser Kontroll- und Beratungsstellen geführt haben, müssen nachdenklich stimmen und geben Auf schlüsse von weittragender Bedeutung. Schacht hat die Einschränkung der Anleihen beim Aus land aus Sorge um die deutsche Währung ge fordert, weil er die Deckungsmittel der Reichs- MOM als GO Von Dr. Rudolf Beim Ausgang des Weltkrieges befand sich London, das lange Zeit hindurch den finan ziellen Mittelpunkt der Welt bildete, in einer schwierigen Lage: das Pfund war entwertet, die Berbindung der City mit den alten Ge schäftsfreunden gelockert oder ganz zerrissen, der Geldmarkt stark erschöpft. Damals glaubte Neuyork den Augenblick gekommen, die finan zielle Stellung Londons zu übernehmen. Die amerikanischen Großbanken eröffneten in der ganzen Welt Zweigstellen, vor allem in Europa und Süd-Amerika. Doch der Versuch schlug febl Tie Vereinigten Staaten verfügten zwar über bas erforderliche Kapital, aber nicht über das Personal mit der eingehenden Geschäftserfah rung und jener Kenntnis der internationalen Veziehungen, welche die Engländer in so hohem Matze besitzen. So gingen die Zweigstellen eine nach der anderen wieder ein. Aber Amerika mit seinen ungeheuren Kapitalien mußte trotz dieses Men Fehlschlages der Bankier der Welt wer- und Sharybdis Anleihcwirtschaft und Kontributionen Silgradt > bank bedroht sieht durch die Beschaffung der Devisen zur Verzinsung der Anleihen. Er for dert weiter die Beschränkung einer Einfuhr, wie sie sich ein Volk mit passiver Wirtschastsbilanz nicht leisten kann. Schacht fürchtet, daß die Scheinblüte der deutschen Industrie, die sich auf geborgtem Geld aufbaut, schwere Gefahren für die Währung in sich trügt. Er bezweifelt die Möglichkeit einer Aussuhrsteigerung in einem solchen Maße, daß wir zu einer aktiven Außen handelsbilanz kommen könnten. Mit Recht, denn die Schutzzollpolitik der Mächte wird wie bisher unsere Bemühungen um Ausfuhrsteige rung auch weiter verhindern, wie auch die abge schlossenen Handelsverträge, besonders der neueste mit Frankreich, eine Erhöhung des Im portes und eine empfindliche Verringerung der deutschen Ausfuhr mit sich brachten. Die Akti vierung Ler deutschen Zahlungsbilanz ist aus dem Anleiheweg nicht zu erreichen, die fort schreitende Verschuldung und die Erhöhung unse rer Zinspslicht aber bedrohen die Währung, oie nur durch die Erhaltung Ler Deckungsmit tel der Neichsbank gesichert werden kann. Die Erhaltungsmöglichkeit sieht Schacht nur in der Erhöhung des Diskontsatzes, die selbstverständ lich der industriellen Konjunktur Abbruch tut. Der Neichswirtjchastsminister hingegen hofft, aller Schwierigkeiten durch die weitere Hebung Ler industriellen Pumplonjuntiur Herr zu wer den. Er behauptet, daß die Grenze der Auf nahmefähigkeit für Auslands-Anleihen noch lange nicht erreicht sei. Er erwartet eine Ge sundung des inländischen Kapitalmarktes von den Ueberschüssen der mit geborgtem Geld ar beitenden Wirtschaft. Er sürchtet von einem Rückgang der Industriekonjunktur mit Recht eine neue Welle der Arbeitslosigkeit, damit verbun den erhöhte soziale Lasten, Verminderung der öffentlichen Einnahmen und Erhöhung der Aus gaben. Die öffentliche Hand müßte sich dann die Mittel zur Verwaltung von der Reichsbank kreditieren lassen, die nun zu einer Vermehrung der Zahlungsmittel gezwungen würde. Das Ende wäre die Zerstörung der Währung, die Inflation. Den Befürchtungen des Reparationsagenten pflichten wie ersichtlich zwei verantwortliche Männer aus Wirtschaft und Finanz bei. Es ist von Nachgeordneter Bedeutung, daß beide in verschiedener Weise die Gesahren für die Wäh rung sehen: Schacht kann einer ungesunden, weil auf gepumptem Geld stehenden Industriekon junktur keine Kredite ohne Eesährdung der Währung geben, und Curtius erblickt die Ge fährdung der Währung in eben dieser Kredit verweigerung sowie der damit verbundenen Konjunkturdrosselung. Im Vordergründe steht die Tatsache, daß unsere Volkswirtschaft passiv arbeitet. Den Erwartungen auf Aktivierung durch neuen Zufluß teurer fremder Gelder, durch eine Steigerung der industriellen Pro duktion trotz größter Absatzschwierigkeiten, stehen alte nüchternen ökonomischen Ueberlegungen entgegen. Stellt man in oies Bild der zuneh menden deutschen Anleibeverjchuldung, einer hoffnungslos passiven Handelsbilanz, einer passiven Zahlungsbilanz und einer passiv arbei tenden Volkswirtschaft die gewaltigen Kontri butionslasten, die von 1928 an nach Ablauf der ^genannten Schonzeit jährlich 2,5, Milliarden betragen, jo wird sich auch der rosigste Optimist nicht der Erkenntnis verschließen, daß die Wur zel alles Uebels in dem Irrtum liegt, der da wähnte, daß man durch die völlige Preisgabe der Unabhängigkeit und der Wehrkraft und den Verzicht auf außenpolitische Verteidigung die erträgliche Existenz der Nation erkaufen könne. NM kt der ZMO Hildebrand den. Die Vereinigten Staaten liehen zunächst Milliarden an andere Länder aus. Bis zum 1. Juli 1927 waren in der Union 299 fremde öffentliche Anleihen aufgelegt mit einem Ge samtbeträge von nahezu zwanzig Milliarden Mark. Diese Betätigung des amerikanischen Kapitals dauert auch heute noch an; allein in der zweiten Dekade des Oktober wurden in Neu york für 800 Millionen Mark ausländischer An leihen gezeichnet. Es braucht nicht besonders betont zu werden, daß diese Anleihen der ameri kanischen Hochfinanz einen außerordentlichen Einfluß auf alle europäischen Angelegenheiten verschaffen. Akan denke nur an den Repara tionsagenten in Deutschland, Parker Gilbert. Ebenso erhielt Polen kürzlich eine ähnliche Ein richtung. Wenn auch London in nicht unbedeu tendem Umfange am internationalen Markt als Geldgeber auftritt, so liegt der Schwerpunkt heute unzweifelhaft in Nenyork. Die amerikanische Hochfinanz denkt nicht daran, ihre Beteiligung an der ausländischen Emissionstätigkeit einzuschrünken. Sie strebt auch danach, ihren Einfluß auf die Industrie, die Banken und den Handel Europas auszu dehnen, indem sie an der Neuyorker Börse eine gewisse Anzahl von Aktien und Schuldverschrei bungen der wichtigsten Unternehmungen unv Banken des alten Erdteils zulätzt. Ler Neu yorker Börsenvorstand hat Ende Oktober einen dahingehenden Beschluß gefaßt. Darin muß man den Ausgangspunkt für eine neue Epoche im internationalen Wirtschaftsleben erblicken. Der Beschluß entstand nach reiflichem und ein gehendem Studium der einschlägigen Verhält nisse. Ein besonderer Studienausschuß bestand schon seit 1920, der sich mit den Märkten Euro pas unter den hier in Frage kommenden Ge sichtspunkten beschäftigte. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen wurden in einem Memoran dum niedergelegt, das die Unterschriften so be kannter Geldleute wie I. M. B. Hoxay, I. Ed ward und N. L. Redmond trug. Es spricht sich entschieden für die Zulassung von Industrie-, Bank- und ähnlichen Werten an der Neuyorker Börse aus. Der Beschluß des Börsenvorstandcs erfolgte daraufhin einstimmig. — Die Aktien und Schuldverschreibungen der bedeutendsten europäischen Unternehmungen werden in Zu kunst also auch in Neuyork gehandelt werden können. Sie finden hier zurzeit einen unge wöhnlich aufnahmefähigen Markt, der flüssige Mittel im Uebermaß besitzt. Die Folge wird sein, daß die amerikanischen Geldleute ein weit gehendes Interesse am Wirtschaftsleben Europas nehmen und weitere amerikanische Gelder über Len Atlantik strömen werden. Das ist die eine Seite der Angelegenheit. Die Kehrseite bilden die Bedingungen, die der Neuyorker Börsenvorstand jenen Gesell schaften auferlegt, die ihre Werte drüben notieren lassen wollen. Soweit man bisher er kennen kann, wird man sie in Europa nur un gern annehmen. Tie Zulassung erfolgt näm lich nur nach Erfüllung zahlreicher Formali täten und Las betreffende Unternehmen muß zuvor ins Einzelne gehende Auskünfte über seine Dmger — einst m Von Friedr Durch den von Italien kürzlich unternom menen Versuch, bei einer Neuregelung des Ab kommens über die neutrale Zone der marokka nischen Hafenstadt Tanger seine Ansprüche gel tend zu machen, ist die Langerfrage wieder akut geworden. Eingeweihte wollen wissen, daß Italien sich des Einverständnisses Englands ver sichert hat, ehe es diesen Vorstoß unternahm, der ja eine offene Verletzung Frankreichs be deutet. Zweifellos wacht man in London mit Argusaugen über die Gefahr, die für England in der Tangersrage beschlossen liegt. Tanger im Besitz einer fremden, englandfeindlichen Mach: wäre ein zu gefährliches Gegenstück zu Gibraltar and würde die bisherige Beherrschung der Meer enge durch die Engländer hinfällig machen. Wenig bekannt in diesem Zusammenhang ist es, daß Tanger schon im 17. Jahrhundert eure en>, lische Besitzung war und daß die Engländer nur einen Akangel an Weitsichtigkeit in ihrer da maligen Politik büßen müssen, wenn es für sie überhaupt noch eine Tangerfrage gibt. Tanger als englische Kolonie, das ist keine iltopie, sondern geschichtliche Tatsache. Jnfolgc- seiner günstigen Lage an der westlichen Mittel- meerpförte hatte Tanger schon eine bewegte und wechselreiche Geschichte hinter sich, als die Siad! in englischen Besitz kam. Sic war im Laufe der Jahrhunderte von Phöniziern, Römern, West goten, Vandalen, Berbern, Mauren, Spaniern und Portugiesen besiedelt, verloren, belagert, erobert, zerstört und wieder aufgebaut worden. Unter den Portugiesen sah sie gute, glanzvolle Tage. England erhielt Tanger als Geschenk aus den Händen der Portugiesen. Als König Karl II. von England sich 1062 mit der Prin zessin Katharina von Braganza vermählte, brachte ihm di.> portugiesische Königstochter nicht nur eine gehörige Mitgift, sondern auch die bis herigen portugiesischen Besitzungen Bombay in Indien und Tanger in Marokko. Der Besitz dec afrikanischen Hafenstadt wurde in England mit Jubel begrüßt. Tanger, verkündete der König im Parlament, sei ein Juwel von unschätzbarem Wert in seinem Krongeschmeide. Mit Eifer ging man an den Ausbau und die Befestigung des Ortes. Die Verlegung eines ganzen Regi ments Besatzung nach Tanger lockte viele Eng länder, Juden, Spötter und Italiener herbei. Beträchtliche Summen wurden für Fcstungs- und Rcgierungsbauten, für Kirchen und Schulen an gelegt wie für einen Ort von unzweifelhafter Zukunft. Die kostspieligste Anlage war der Hafendamm, der einige hundert Meter weit in die See hinansreichte und auf dem angeblich gegen 1000 Kanonen aufgefahren wurden. — Die weitere Entwicklung der neuen Besitzung entsprach aber durchaus nicht diesen vielver sprechenden Anfängen. In jenen ersten Tagen überseeischer Betätigung galt in England noch allzusehr die Meinung, daß für den Dienst über See die Schlechtesten gerade gut genug wären. Der militärische Ausschuß ging in die Kolonien. Fragwürdige Gestalten kamen nach Tanger, selbst die Verwaltungsbeamten bis zum Statt wirtschaftliche Lage erteilen. — Hier erhebt sich die Frage: Wollen die Amerikaner an ihren Börsen nur die besten europäischen Papiere zu lassen, um ihre Kapitalien unterzubringen, oder verfolgen sie noch ein anderes Ziel? Näm lich eine Art von Wirtschaftsspionage! Wahr scheinlich wollen sie beides zugleich. Bekanntlich hat die amerikanische Regierung schon früher nach allen europäischen Ländern, die nach den Vereinigten Staaten exportieren, Vertreter ge schickt, um unter dem Vorwande einer Erhebung über die tatsächlichen Gestehungskosten der ein zelnen Ausfuhrgüter nichts anderes als Indu strie-Spionage zu treiben. Verschiedene Regie rungen haben hiergegen Einspruch erhoben. Nun stehen die Bundesbank und die amerika nische Hochfinanz in inniger Wechselbeziehung zu der Regierung in Washington. Es ist daher nicht unwahrscheinlich, daß letztere versuchen wird, sich durch den Börsenvorstand über euro päische Unternehmungen zu unterrichten. Der artige weitgehende Auskünfte sind kaum erfor derlich, um eine Vorstellung von dem inneren Werte der betreffenden Papiere zu vermitteln. Es würde sich vielmehr nur um eine Fortsetzung der Industriespionage auf anderem Wege han deln. Man verlangt z. V. von der betreffenden Unternehmung zunächst nur unverfängliche Aus künfte; sie werden vielleicht bereitwillig gegeben. Mit dieser Bereitwilligkeit dürfte es aber ein Ende nehmen, wenn nach einiger Zeit weitere, weniger unverfängliche Angaben verlangt wer den, die dem bctrefsenden Unternehmen oder auch der Wirtschaft seines Landes zum Nachteil gereichen. Die fragliche Gesellschaft steht in einem solchen Falle vor der bitteren Wahl, ent weder Geschäftsgeheimnisse preiszugeben oder ihre Werte an der Neuyorker Börse gestrichen zu sehen. In London ist etwas derartiges nicht zu befürchten, denn die britische Negierung mischt sich nur selten in die Angelegenheit der City, falls sie nämlich der Ueberzeugung ist, daß neben großen finanziellen Interessen auch wesentliche politische Belange auf dem Spiele stehen. englische Msme Frank Hatter hinauf waren nicht besser als die zucht lose Rotte der Söldner, und innerhalb der Ver waltung Tangers griff eine wüste Korruption um sich; eins der traurigsten Kapitel der eng lischen Kolonialgeschichtc spielte sich ab. Sei es nun, daß diese Zustände wirklich unhaltbar wurden, sei es, Laß sich die englische Weltpolitik damals an anderer Stelle, nämlich in Indien, tiefer gebunden fühlte — es kam der Tag, an dem Las Unterhaus alle weiteren finanziellen Bewilligungen für Tanger verweigerte. Eng land beging einen Karöinaftehler. Vielleicht waren die cngliscben Interessen zu einseitig auf Indien selbst gerichtet, als daß man schon die Notwendigkeit erkannt hätte, sich auch den Weg nach Indien zu sichern. Tanger wurde 1084 sang- und klanglos den Mauren zurückgcgeben, nachdem beinahe 200 Millionen Pfund — eine für damalige Zeiten stattliche Summe — nutzlos ausgegeben worden war. Die Engländer zer störten bei ihrem Abzug alle von ibnen errich teten Bauten, und auch der schöne Hasendamm wurde in die Luft gesprengt. Mit diesem klein lichen Vernichtungswerk fand die englische Herr schaft ihr unrühmliches Ende. Aber schon nach wenigen Jahrzehnten be reuten die Engländer die voreilige Räumung Langers; denn nun erkannten sie nachträglich die große Bedeutung der Meerengenbeherr schung. Als Ersatz besetzten sie den gegenüber Hegenden Felsen mit der Stadt Gibraltar, die sie zu einer der stärksten Festungen der Welt ansbauten. Die Meerengenfrage war radikal gelöst — für die Dauer von mehr als 200 Jahren. Jetzt sind es die bisher ungelösten Schwierigkeiten der Tangerfrage, die den Eng ländern Kopfschmerzen bereiten. Seine Weltpolitik verbietet dem Jnselreich Langers Zugehörigkeit zu einer fremden, eng- landfeindlichen Macht zu dulden. Da keine Aus sicht besteht, Tanger der britischen Krone zurück- zugewinncn, so muß es entweder neutral blei ben oder einer englandfreundlichen Macht zu fallen — das ist der Kern der englischen Tanger politik. Durch diese unglückliche Konstellation ist die wirtschaftliche Entwicklung Tangers vor läufig zum Stillstand verurteilt; Tanger wäre durch seine günstige Lage berufen, der erste Hafen Marokkos und eine der ersten Städte Nordafrikas zu sein, aber es ist längst hinter der französischen Hafenstadt Casablanca zurückge blieben und wird im Laufe der Jahre auch von den anderen kleineren Städten überholt werden. Denn heute wie vor zwanzig Jahren ist Tanger eine marokkanische Stadt mit europäischer Tünche und Halbkultur. Amphitheatralisch auf gebaut, an einer schönen Bucht gelegen, mit seinen flachen, weißen Häusern, den gewaltigen Festungsbautcn und vielen Kanonen, die sc drohend ausschen und ganz harmlos sind — rührend und unbedeutend und dennoch ein Brennpunkt der politischen Interessen, das ist das Tanger von heute, die ehemalige englische Besitzung
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