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sondern träumte von seinem Kommen. Er kam aus der Nacht, er schwand in der Nacht, aber er würde wiederkom- men. Blieb er fern, so begrüßte sie den Morgen als den Lag vor jener Nacht, da er wiederkehren werde. Sie blieb heiler und machte sich schön, ja sie summte kleine alte Sehnsuchtslieder, die das Volk vom Liebsten singt. Manchmal malte sie sich aus, wo er seinen Tag verbringe, sah ihn reiten oder fischen, sah ihn seine Hunde tummeln, sah ihn seine Scheuern füllen, denn sie fühlte in ihm den Grundherrn. Sie wollte nicht fragen, sie wollte nichts haben; sie war zufrieden mit ihrem Trost, daß er kam als guter Traum. Den Freunden des Jünglings fiel es auf, daß er ihren Festen fehlte. Er fehlte im Klub, er fehlte beim Sport, er tanzte nicht mit reichen Töchtern. Er irrte mit seiner Ma schine in der Nacht umher. Er lud nicht schöne Frauen zur Fahrt. Er gab den Dienern geheime Winke. Er baute und rüstete wie zur Hochzeit. „Er wird spleenig", sagten die Freunde, „oder er sahn- ' det nach einer Braut". Eines Nachts, im quellenden Sommer, da die Sterne Fangball spielten, fand das Tankmädchen von Belfast keinen Schlaf und keine Ruhe, es trieb sie in der engen Stube herum, sie trat ans Fenster und schaute aus, aber die Straße blieb ganz still, breit und endlos unter dem Himmel. Da schlüpfte sie in die Sticfclchen, wand das Kopftuch um die Schultern, horchte, ob der Onkel schlief, huschte hinaus, über die Treppe, durch den Garten, unter den Bäumen hin wie ein Schatten, auf die Straße, und lief, lief ihm entgegen, daß er komme. Und zwei Scheinwerfer-Sonnen gingen auf, und der Blendstrahl faßte sie, und sie breitete die Arme, und er schloß sie an seine Brust! Eine gute Stunde später tutete ein Hupenschrei den verschlafenen Herbergswirt rücksichtslos aus seinen Federn. Wütend fuhr er in die Pantoffeln, trommelte an die Mäd chentür. schrie, er jage sie aus dem Hause, wenn sie sich auf die faule Haut lege, statt ihr bißchen Dienst zu tum Aber zu seinem größten Erstannen fand er sein Mün del nicht. Und noch.immer kreischte das Horn. Als er dann fluchend vor das Haus trat, um sich ge hörig auszutoben, stand da lachend ein junges Paar, wünschte nicht einmal Betriebsstoff, sondern nur noch rasch den Segen für die weitere Lebensfahrt. „Du" Skizze von Johanna von Engelmann Die kleine Gerta war früh erwacht. Die Amsel sang gar so laut im Park, verschlafene Vogelstimmchen antwor teten in Busch und Baum. Nach einem prüfenden Blick auf die ältliche, pustend in den Federn schlafende Erzieherin, schlüpfte das Kind aus der Decke und trat an das weit ge öffnete Fenster. Es war graue Lust vor Sonnenaufgang. Der kühle Wind, der drüben in den krausen Köpfen der Kugelakazien spielte, strich zu der Kleineü herüber, über ihre nackte Brust im dünnen Hemdchen, hob ein wenig das leichte Gelock über der Stirn. Der Nachttau lag schwer auf den Heliotroprabatten und erstickte den schwülen Duft der lila Blüten. Auf dem Pflaster vor den Ställen erklang Ge trappel, Gerta hob sich auf den Zehen und reckte den Hals. Zwei Pferde wurden über den weiten Kiesplatz vor die Freitreppe des Hauses geführt. Der Stalljunge mit den schiaftoten Backen stellte sich vor den Kopf des Fuchses und nestelte ihm am Stirnband. Der um vieles ältere Diener in Heller Morgenlivree führte die erregte Stute ein wenig hin und her. Ueber die Stufen der Treppe kam eine schlanke, nicht mehr junge Frau. Sie trug die Schleppe des Reit kleides über dem Arm und schloß, langsam herabsteigend, die Handschuhe. „Guten Morgen, Herr Stetten!" Sie nickte dem sie erwartenden jungen Offizier zu. „Guten Morgen, gnädigste Baronin!" Er küßte ihr respektvock die Hand und trat dann lächelnd zurück, um dem alten Diener das Vorrecht zu lassen, die Dame in den Sattel zu heben. Dann saß er auf, im Schritt ritten beide in den grauen Morgen hinaus. „Darf ich bitten, gnädigste Baronin, zum Abschied noch einmal den Moorweg?" „Abschied? Sind die drei Urlaubswochen schon herum?" „In zwei Tagen — es war eine wundervolle Zeit!" „Ich werde meinen fröhlichen Kameraden sehr ver missen, der ss nachsichtig mit c ncr alten Frau sürlirb nahm!" „Alt? Baronin sind doch inchr alt?" „Doch, doch!" Sie lachte. „Bedenken Sic: Ich habe eine fünfjährige Enkelin. Nun kommen Sie!" Sie trabten auf dem weichen Sommerwege neben der Landstraße, das Sattelzeug knirschte, bisweilen sülug «in Hus an einen Stein. Die Lust begann rosig zu flimmern, dann brach das strahlende Gestirn hervor. Sie bogen in die sich dehnende Moorheide; die Sonne sog Nebel aus dem feuchten Grund, die 'n rauchenden Schwaden über den Boden schleiften. Die Baronin wies mit der Gerte vorai s: „Sehen Sie, Herr Slcucn, dort liegt ein herrlicher Galopp — den müssen wir anfuchmcn!" Seite an Seite flogen sie üb'r die wüte Fläche, durch knisterndes Heidekraut, durch Wolken winziger, hellblauer Schmetterlinge. Der schwankende Boden wais die Hufe empor, daß sie ihn kaum berührten, die Pferde schülletirn wiehernd die Köpfe, ihr Atem dampfte aus den Nüstern, der scharfe Luftzug riß Schaumslockcn von der Kandare. Tonn nahm der Wald sie auf. Seine besonnten, herbstlich«» Wipfel funkelten, unten war eS dunkel und kühl. Die Pferde fielen von iclbst in Schritt. Sie senkten tief die Köpfe, ihre Flanken flogen, und auch in den Rei tenden stürmte das Blut von den, milden Jagen. Langsam, schweigend zogen sie dahin mit lockerem Zügel. Unvermutet schnürte ein brennrotec Fuchs über den Weg dicht vor dem Huf der Pferde. Die ersehn ekle Stute legte die Ohren an — stieg — die Reiterin schwankte — glitt seitwärts. Mit scharfem Ruck sein Pferd herondrängend, riß Stetten sie mit dem linken Arm hoch. Alles ging vor sich mit Gedankenschnelle und — war vorbei, das Tier be ruhigt. Die Baronin noch ein wenig blaß, streckte die Hand aus: „Dank, Herr Stetten!" In ihm zitterte noch die Angst nm sie nach. Er hielt im Weiterleiten ihre Hand, beugte sich herab und krißte sie leidenschaftlich: „Wenn Ihnen was geschehen wä.e! ' Da zog sie seinen Kopf empor und küßte ihn auf den Mund, mit einem lieben, gütigen Kuß, mit ein wenig zucken den Lippen. „Du törichter Bub!" Fassungslos vor Glück stammelte er: „O, du — du!" Preßte den Kopf an ihre Schulter und hob die Linpen zu ihrem Munde. Sanft und lnslumm schob sie ihn fori und sagte heiter: „Jetzt geben Sie nur acht auf Ihr Pferd!" — Zwölf Jahre später warteten wieder im Morgengrauen zwei Pferde vor dem Herrenhanse, bü rhuen c melde nun ganz alte Diener. Ueber d.e Ficiiripge kamen lachend in großen Sprüngen zwei junge Bu scheu un Rcuhabu. Mah nend legte der Alte den Finger an den Mund „Ach, Bill, Großmama!" flüsterte ewe Mädchenslimme. Also — der eine Bub ist ein Madel! „Du bist unverbesserlich, Braun! Statt ruhig im Bett zu dünsten, krabbelst du mit deinem Ischias in die Morgenkälte!" schalt Gerta besorgt. „Ich habe die gnäd'je Frau Varonin G « ßmutter in den Sattel gehoben und die sel'jc guod'je Baiomu Mutter-- nur Varoneßchen brauchen mich nicht" — mn e ncm miß billigenden Blick auf Gertas Kleidung — „aber das Pferd kann ich wenigstens halten." — „Und mir Feuer geben, Braun!" Wie eine Katze war Ge«la im Sattel. Ter Alte holte Zigaretten aus der Rocktasche und schlug mit zweindec Hand Feuer — Streichhölzer liebte Gena nicht. „Weiß tcc Deubel, Alter," sagte sie anrauchcud, „du hast die b sleu Zigaretten zehn Meilen im Umkreis." Braun schmunzelte geschmeichelt. „Fertig Nill! Zwei Zigaretten lang Schritt — dann los!" Vor der Einfahrt drehte sie sich um und winkte mit der Gerte „Daraus wartet er!" Ja, darauf wartete der alte Mann Als er die Gerte wippen sah, glitten die runzligen Hände gcwohnheitsgemäß an die Hosennaht — er lächelte. „Wie findest du übrigens Großmama?" „Einfach sabelhast!" „Gelt? Sie muß wahnsinnig schön gewesen sein, ist's noch jetzt. Etwas altmodisch in manchem — so mit den langen Kleidern! Und dann: Sie kann's nicht leiden, daß wir Jungen von heute uns gleich beim Vornamen und D^ nennen. Sie sagt immer: Das „Sie" zieht eine gewiss? Grenze, und Grenzen sind ein Schutz!" „Gegen was?" — „Na, gegen Uebergriffe. Ich weiß eigentlich nicht genau, was sie damit meint —" Sie ritten gemächlich, plaudernd durch deu Wald. „Hast du das Pastell von Großmama gesehen? Zu Pferde, im Zylinder — knapper Taille — langem Rock — natürlich! Welch ein Unsinn das damals war, dieser Sitz ui der Gabel" — sie sprach fachmännisch und wichtig — „mit der schwankenden Gewichtsverteilung! Diese zugerit tenen Damenpserde ahnten ja zum Glück nicht, daß die Rei terin gar keine Eimvükung auf sie haben konnte. Da sind j wir heute doch viel besser daran. Wenn man den Gaul fest zwischen die Schenkel nimmt, spürt er seine Herrin und läßt sich nicht so leicht Dummheiten einfallen —" Da lachte es über ihnen — hell und spöttisch kreischte ein Häher. Gertas dösendes Pferd sprang jäh zur Seite, und ehe sie sich dessen versah, lag sie im Sande. Jur Nu war Bill aus dem Sattel, Gerta ebenso schnell auf den Füßen. Als er sah, daß ihr nichts geschehen war, lachte er unbändig: „Gerta, das war die Probe aufs Exem pel!" und weil sie gar so hübsch aussah, wie sie ärgerlich verlegen mit einer Hand die Hose abklopfte, während die andere die Zügel hielt, legte er den Arm um sie; er fühlte ihr Herz unter der dünnen Bluse flattern, und zwischen zwei Pferdeköpfen küßte er sie herzhaft ab. Zornrot stieß sie ihn vor die Brust: „Was erlauben Sie sich, Herr von Herder? Das sind — das sind — Uebergriffe!" Nicht gut, nicht schlimm ist, was die Götter geben, Und der Empfänger erst macht das Geschenk. So wie das Brot, das uns die Erde spendet, Den Starken stärkt, des Kranken Siechtum mehrt. So sind der Götter hohe Gaben alle Dem Guten gut, dem Argen zum Verderben. Grillparzer HerZlsiöen durch schlechte Zahne. 28 Prozent aller Menschen zahnleidcnd. Es ist in weiten Kreisen der Bevölkerung noch wenig be- «nnt, daß von allen Organen des menschlichen Körpers die Zähne weitaus am meisten erkranken. 28 Prozent aller Menschen leiden auch heute noch an schlechten Zähnen. Zwar hat die behördliche Einrichtung von Schulzahnärzten rnd Schulzahnkliniken und die hygienische Volksbelehrung ins diesem Gebiete schon erfolgreich Wandel geschaffen; allein, chwchtr gähne haben nicht nur, wie viele glauben, einen un nittelbaren Einfluß auf den Mund und die Ver- > a u u n g s t ä t: g ke i t, sondern sie bilden häufig auch >ie Ursache von Erkrankungen der verschiedensten anderen Argane des menschlichen Körpers. In unserer Mundhöhle indct sich stündig eins Reihe von Krankheitserregern, dis «ine Zeitlang als harmlose Parasiten dann Hausen. Ein chlechter Zahn, eine faule Wurzel gibt für solche Krankheit»- rrcger eine willkommene Brutstätte ab, und bei erster bester Lelegenheit, z. B. bei einer Erkältung, wie sie ja in der eßigen Jahreszeit an der Tagesordnung ist, schlüpfen die S Batterien aus diesen Nestern heraus und finden Eingang ! n den Körper. Manche Mandelentzündung, manches Herzleiden, mancher G e l e n k r h e u m a - i s m u s/Diphtherie, Tuberkulose und viele andere soge- rannt« „Fernleihen" finden ihre Ursache in einer Erkrankung »er Zähne. Schließlich aber sei mit besonderem Nachdruck auf die Andeutung der täglichen Zahn- und Mundpflege Ungewissen. Schon das Kind muß dazu ungehalten wer- -m, sich morgens und abends seins Zähne zu putzen. Tölzer Leonhardisahri. Fast jeder Landmann im Süden Deutschlands hat für alles, was ihn angeht, seinen Schutzheiligen. Noch heute stehen in jedem altbayerischen Bauernkalender neben den offiziellen Feiertagen des Jahres eine ganze Anzahl „kleinerer" Feiertage, diesem oder jenem Heiligen geweiht, der der Pfarrei, dem Landstrich, dem Gau besonders wert ist. Unter diese Rubrik der Schutzheiligen ist auch Sankt Leonhard zu rechnen, der November-Heilige, Schutzpatron der „Rösser". Denn gerade das Roß ist dem Berglands bauern besonders ans Herz gewachsen. Das Pferd ist seine Liebe. Am Tag des heiligen Leonhard führt er seine Pferde gleichsam in Parade vor und bittet um Schutz und Gedeihen im Stall. Die Bauern halten ihre ,Zeonhardifa»)rt". Die größte und sehenswerteste dieser Leonhardi- Fahrten" begibt sich zu Tölz, dem alten, malerischen Markt im Isarwinkel. Am 6. November, dem Leonhardi-Tag, treffen in aller Frühe die ersten Fcstwagen ein, aus den Höfen und Dörfern der Umgebung, denen später die Gäste aus den abgelegenen Ortschaften des Gebirges folgen. In der Regel sind es an die fünfzig Wagen, die aus etwa dreißig Orten stammen. Es sind alles Bauern von Rang und Ansehen, die da anfahren, denn Prachtgäule stehen im Viergespann, wie sie sich ein Kleinbauer gar nicht leisten kann. In den Wagen zeigt sich eine große Mannigfaltigkeit: vom einfachen, bekränzten Leiterwagen bis zum althistorischen „Truhen wagen" mit frommen Bildern und Sinn- sprüchen ziehen'sie einher. Schwere Festrvagen mit kleinen Kiräwn und Bauernhäusern, mit Kinoergruppen dabei, die Held- und Hausarbeit verbildlichen. Auch der Heilige selbst wird im Bilde häufig Mitgefühl, in brauner Kutte sitzt er vor einer Waldklause, die Tiere friedlich um ihn gelagert. Die Truhenwagen sind mit Fichtengrün und bunten Bildern reichlich geziert. Dom Sattelgaul aus lenkt der Fahrer mit rxtra tanger Peitsche das Viergespann. Ein Vorreiter und nn Nachreiter begleiten den Wagen, der mit hübschen Dirndln in der Festtracht dicht besetzt ist, wobei jedes Dorf seine kleinen Besonderheiten der Tracht beim Hut oder Mieder säuberlich wahrt. Die Madeln halten unter der Bank ver steckt die „Labung" für die Burschen: saftige Stücke Ge selchtes und bauchige Schnapsflaschen. Hinten am Wagen steht als eine Art Ehrenwächter der „Brettlhupfer". Die Truhen sind bunt bemalt, und kräftige Sinnsprüche erklären die Bilder, die zum Teil sehr alt sind. Auch das Geschirr der Pferde, der eigentlichen Festgäste des Heiligen, ist mit