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Nr. 261. Pulsnitzer Tageblatt. — Freitag, den 8 November 1829. Seite 6 Dresdner Brief Herbstfreuden in und «m Dresden Brrr, — ungemütliches Wetter! Im Zimmer prasselt das erste Feuer im suschpekehrttn Ofen, traulich brennt die Lampe, während draußen die Httbstnrbrl wallen und die Straßen in unwirsches Grau hüllen. Berüchtigt sind unsere Elbncbel! Alle Halserkiankungen werden auf sie geschoben, als ob die gute alte Elbe an allem Ungemach schuld sei. Sie kann sich j« nicht verteidigen. Früher sagte man, der Hauch des Wassers sei gesund, jetzt will man sogar winzige Sandsteinparlikel, aus der Sächsischen Schweiz mitgebracht, in der Elblust finden. Wie dem auch sei, es ist draußen gar nicht so schfimm in diesen Novemb Nagen, als cs vom Zimmer aus den Anschein Hot. Die Nebel lösen sich im Wald in ein wunderbares Violett auf, gegen dessen Hintergrund das leuchtende Gold der noch immer zart belaubten Birten einen wunderbaren Kontrast bildet. Ach, und die Buchen mit ihrem feurigen Rot, das Goldbraun der Eichen und das satte Grün der Nadelbäume! Es ifi eme Farbensinfonte von ungeahnter Schönheit. Am Souniog- bin ich vergnügt nach Moritzburg gewandert. Herrlich war es! Wenn man am zeitigen Vormittag die Stadt verläßt, dis zum Wi den Mann fährt, dann ist man um die Mittagszeit nach herrlicher Waldwaudrrung aus der so reizvoller Hochebene angelangt, kann das Schloß brsichtigen, der Wüdsütterung beiwohnen und, wenn zum Rückmarsch richt mehr frisch genug, mit Autobus oder Ersenbahn hrtmfahre,, sodaß man zum Dunkelwerden wieder in der Stadt ist. Oder man nimmt eine andere Richtung, etwa dsn Kaitzgrund aufwärts bis zur Goldenen Höhe und durch den Potseuwalü hinab nach Freiial Auch tue.Richtung nach Pillnitz kann zu schönen Herbstaus- flögen ausgesucht werden, die Dresdner Heide, das idyllische Rödertal, der Zscho-er Grund, die Tharandter Wälder. Walde-stille, der reine Hauch der Berge, wie stärkt und erfrischt er die Brust! Wie gibt er frohen Mut und Kraft zur Alben! Wardessttlle? O w-h, die Stille der Natur wird zerrissen durch das Knattern der Motorräder, der Autos. Aengstlich muß der Spa ziergänger b-ifine lpiingcu, wenn in sausender Fahrt das Ungetüm eines Autobusses herankommt, bereit, olcks was im Wege siegt unter seinen breiten Rüden zu zermalmen. Reine Lust? Wo ken br-chen auS den Auspuffrohren hervor, Staub wirbelt aus in dick.m Schwaden, dle ein Hohn sind auf den Dust der Walder und Wiesen Rücksichts lose Fahrer, d>e ihr dem Wanderer den reinen Gmuß ftö.t! Aber tarn man diesem Uebel der Neuzeit, des^gesteigerl.n Verkehrs nicht ausweicheu? Lockt da nicht ein schmaler Pfad mitten hinein in die Stille deS Waldes oder quer über Wiesen und Felder und die im lichten Grün sprießenden Wintersaaten? Ei, so wählen wir den schmalen Steig, wenn wir auf der breiten Straße nicht mehr sicher sind! Und wieder umgibt uns die unverfälschte Schönheit der Natur. Gern bleibe ich stehen bei meinen Wanderungen, hier und da, lasse die Stille ringsumher auf meine Sinne wirken, schaue um mich nach oben, nach unten, in den glitzernden Bach, wo Forellen lustig hin schießen, auf den Boden, wo ein emsiger Käfer seinen Weg verfolgt oder hinein kn die dichten Zweige der Bäume, um den Flug des Eichelhähers zu belauschen. Nie ist es tot in der Natur. Und auch unsere Wanderungen sollen belebt, immer neu und eigenartig fein. Die herrliche Umgebung Dresdens macht uns solches Wandern leicht; aber jeder einzelne muß auch seinen Teil dazu beisteuern. Der bunte Waid, die klare Last, Berge und Wiesengründe, wir haben es in reicher Fülle. Aber zum rechten Genuß gehört auch eine frohe Laune, eine unbeschwerte Seele und Augen, welche die Schönheiten ringsumher sehen wollen. Uerma Sortdolck Die Regierungsparteien fordern den Rücktritt Weckels Dresden, 6. November. Die Regierungsparteien haben den Landtagspräsidenten am Mittwoch alsbald nach der mißlunge nen Plenarsitzung ersucht, unverzüglich den Aeltestenrat einzuberu fen, um zu dem neuerlichen Verhalten des Landtagspräfidenten Weckel Stellung zu nehmen. Es ist anzunehmen, daß die Regie rungsparteien den Rücktritt Weckels dringend sordern werden, da er da» in ihn gesetzte Vertrauen gröblich enttäuscht hat. Wann die Sitzung des Aeltestenrates stattfindet, ist zur Zett noch ungewiß, da der Präsident Weckel baldigst nach seinem sonderbaren Schluß der Vollsitzung das Landtagrgebäude verlassen hat und trotz aller Bemühungen nirgens auszufindeu gewesen ist. .,i - MMWLM Zu'der Angelegenheit schreibt uns die Landtagsfraktion der Deutschen Volkspartei: Der Landtagspräfident Weckel hat gegen die bürgerlichen Parteien des Landtags dieser Tage wiederholt den gänzlich ungerechtfertigten Vorwurf erhoben, sie erschwerten durch ihre Durchführung der Geschäftsordnung die orbnungsmähige Arbeit des Parlaments Dieser Behauptung entspricht in keiner Weise den Tatsachen Sabotage am Parlament haben lediglich die Sozialdemokraten und Kommunisten getrieben, die mit allen Mitteln der Obstruktion, durch Pultdcckclkonzerte und unwürdigen Lärm, versucht haben, die von der Regierung beantragte Aushe bung des Revolutionsseiertager zu hintertreiben und dies mit will kürlichen Budeutungen der Eeschäftsoidnung zu bemänteln. Hierbei hat der Landtagspräfident seinen sozialistischen Par teifreunden immer wieder Hilfestellungen geleistet, Dem hat Herr j Weckel heute dadurch dir Krone ausgesetzt, daß er von seinen Machtmitteln als Präsident des Landtages gegen den von ihm aus der Sitzung ausgeschlossenen kommunistischen Abgeordneten Opitz keinen Gebrauch machte und die Sitzung einsach aushob. Der Landtagspräfident hat damit den Terror der Minderheit gegen die Landtagsmehrheit sanktioniert und sich daran mitschuldig gemacht. Dem Ansehen des Parlaments, das zu wahren die Verfassung» mässige Ausgabe des Präsidenten ist, ist so durch die Schuld des Präsidenten schwe er Abbruch getan worden Weiter ist dadurch die Arbeit des Landtags wiederum sür einig, Zeit lahmgelegt wor den, so daß die rechtzeitige Verabschiedung der Regierungsvorlage über die Aushebung des Feiertagscharaters der g. November jetzt unmöglich geworden ist und die dem Landtag vorliegenden An träge — u. a. zu Gunsten der Arbeitslosen - nicht behandelt werden können. Wir stellen dies vor dem Lande fist und erklären, daß wir uns mit allen uns zu Gebote stehenden gcs glichen Mitteln gegen diese Vergewaltigung der LondtagswehrheU und gegen die Lahm legung der Arbeiten der gesetzgebenden sächsischen Kö-perschast zur Wehr setzen weiden. Das sächsische Bürgertum aller Parteien wird sich angesichts der bevorstehenden Gemeindewahlen mit uns des großen Ernstes der Lage bewußt sein und am 17. November einhellig und geschlossen mit dem bürgerlichen Stim mzettel dieser neuen Drehung des roten Terrors enlgegentreten. „Zimmy" bleibi New-Uorks Gtadi- oberhaupt. Das Ergebnis der New-Yorker Bürgermeisterwahl. New Jork. New Jork, die weltbeherrschende Stadt, hatte am Dienstag einen ganz großen Tag. Die Stadt hatte ihren Bürgermeister zu wählen. Ihr bisheriges Stadtober haupt Walter, kurz „Jimmy" genannt, stand mit zwei Riva len, dem Republikaner La Guardia und dem Sozialisten Thomas im Wahlkampf. Jimmys Steg war keinen Augen blick zweifelhaft, und, wie erwartet, ging er mit vielen Län gen vor seinen Gegnern durchs Ziel. Nach den bisher aus 3411 Wahlbezirken vorliegenden Stimmenergebnissen haben Bürgermeister Walker, der Kandidat der Demokraten, 838 636 und La Guardia 358 773 Stimmen erhalten. Der sozialistische Kandidat Thomas konnte mit insgesamt 166 564 Stimmen zwar nicht in den Wahlkampf eingrcifen, dock) ist das Anwachsen der sozialdemokratischen Stimmen seit der letzten städtischen Wahl bemerkenswert. — Auch in den Wahlen für die an deren Posten der Stadtverwaltung errangen die Demokraten einen überwältigenden Sieg; sie haben damit New Jork als Hochburg der amerikanischen Demokraten behauptet. Tagungsn in Sachsen Technikcrtagung in Zwickau. Der Bund der Technischen Angestellten und Beamten häk. in Zwickau am S. und 10. November seinen 10. Gautag ab. Auf dieser Tagung, wird . der Geschäftsführer des Bundes, Die Kathedrale von Ppern wieder aufgebaut. Die Wiederherstellung der historischen Kathedrale und der berühmten Rathaushallen in Ypern, der im Weltkrieg« hetßumkämpften flandrischen Stadt, erfolgte nach sorg- fältiger Vorbereitung in An. lehnung an die ursprünglichen Bauformen. Wie unser Bi!» zeigt, ist das Kirchenschiff be reis so gut wie fertiggestellt wahrend die Vollendung des Turmes noch einige Zeit dauern wird. """."Nonio-mkloubonä rloppslksvy Die kleine Studentin Roman von P. Wild ^opvrtedt dv klarie LrHemsnu. Uüncken. 13 „Eine junge Dame bittet Herrn Kommerzienrat um einen Augenblick Gehör", meldete ein jüngerer An gestellter. „Ich habe keine Zeit. Wissen Sie noch immer nicht, daß ich ein für allemal für unangemeldete Besucher nicht zu sprechen.bin? Wie kommen Sie dazu, mich zu stören?" „Verzeihung, die junge Dame machte es jedoch sehr dringend." „Dringend? Das tun sie alle, das könnten Sie mittler weile auch wissen", herrschte er den Erschreckten an. „Dringlich oder nicht, merken Sie sich ein für allemal, Eigenmächtigkeiten meiner Angestellten dulde ich nicht. Ich bedaure. Wenn die Dame etwas will, mag sie schreiben " Die entlassende Handbewegung unterblieb Plötzlick sah er das Jungmädchengesicht von vorhin vor sich. „Ihr Name?" „Fräulein Koelsch." „Das ist das junge Mädchen, von dem ich Ihnen soeben sprach, Herr Kommerzienrat. Sie hat sich auf eigene Faust aus den Weg gemacht." t Er zog die buschigen Augenbrauen hoch, sah Vie Sekre tärin finster und mißtrauisch an. Trieb sie ein abgekartetes ! Spiel mit ihm? Sie hielt den Blick ruhig aus. Nein, sie sprach die Wahrheit, die Kleine handelte selbständig. Es wäre auch das erste Mal, daß ^räulein Benger unaufrichtig gegen ihn gewesen wäre. Diese Aufrichtigkeit hatte er stets be sonders an ihr geschätzt. Schade, daß sie ging. Je älter er wurde, desto schwerer fiel es ihm, sich an neue Gesichter > zu gewöhnen, alle Menschen schienen ihm gegen früher jo verändert. Die Kleine von vorhin war rein äußerlich sympathisch. Aber ein halbes Kind als Privatsekretärin? „Machen wir eine Ausnahme, lassen Sie die Dame im Empfangszimmer warten, bis ich Zeit für sie habe. Weitere Eigenmächtigkeiten Ihrerseits aber verbitte ich mir." Der Mann war entlassen. Stille. Dann begann vas Diktieren. Bries um Brief. Seine Bemerkungen waren kurz, präzis. Es war Sache der Sekretärin, die Antwort zu formulieren und sorg fältig fertigzustellen. Nur besonders wichtige oder persönliche Briefe diktierte er vollständig, wie jetzt die Antwort an den General direktor Sünder. Er erklärte sich im Prinzip mit der Fusion einverstan den, machte nur verschiedene Einwendungen und Vor behalte. Fräulein Bengers Stift flog über das Papier, denn der alte Herr sprach schnell und ohne Pause. In be stimmten Worten, knapp, anschaulich, klar, reihte sich Ge danke an Gedanke, Satz an Satz. Die Aufgabe, ihm zu folgen, war nicht immer leicht, und Fräulein Benger atmete erleichtet auf, als er einen Stotz weiterer Briefe zurückschob. „Machen Sie zunächst Vie Vurchgegangene Post zur Unterschrift fertig. Hernach das Weitere. Noch eins", hielt er sie zurück, als sie an der Tür zum Nebenzimmer stanv, „lassen Sie dies Fräulein ..." „Koelsch, Herr Kommerzienrat", ergänzte sie. „Ganz recht. Lassen Sie Fräulein Koelsch rufen." Der alte Herr belächelte sich selbst. Warum verspürte er ehrliche Neugier auf dieses junge Ding, das sich nach allen Seiten durchgesetzt hatte und zum Ziel gelangt war? Ehrlich gestanden imponierte ihm ihr Tun. Die Mitteltür wurde geöfsnet. „Fräulein Koelsch." . - „Bitte." ' Nun stand sie vor ihm, eine Helle Stimme grüßte ihn ' in höflicher Bescheidenheit. „Guten Morgen, Herr Kommerzienrat." Da wendete er den Sessel leicht zu ihr hin, winkte mit der Hand auf den Stuhl ihm gegenüber und unterwarf sie einer kurzen, eingehenden Prüfung. Sie war zart, mittelgroß, das Gesicht sehr bleich, die Figur schmal und fast schwächlich. Die Züge waren in telligent, die Augen hell und klar. Ruhig hielt sie seinem Prüfen stand. „Also Sie sind Fräulein... Verzeihen Sie, Ihr! Name ist mir entfallen." „Helga Koelsch, Herr Kommerzienrat." „Fräulein Koelsch, Sie sind stuck, cüem. und suchen hier Stellung als Sekretärin, wenn ich recht unterrichtet bin?" "Ja-" „Bitte geben Sie mir die Gründe an, die Sie zur Auf gabe des Studiums veranlassen." Sachlich, nüchtern, ohne Beschönigung, Klage und Be klagen erzählte sie, was er durch Fräulein Benger zum Teil erfahren hatte. Sie ließ alle Nebensächlichkeiten fort, betrachtete den Fall unpersönlich, objektiv. Ihre Dar stellung war in der Form überaus anschaulich und zeugte von scharfer Selbstbeobachtungsgabe. Sie sprach von ihren Vorzügen und Schattenseiten vollkommen sachlich; auch lag in ihrem Selbstbewußtsein, wo es zum Ausdruck kam, nichts Ueberhebliches. Kommerzienrat Merder machte sie aus die Schwierig keiten einer Stellung bei sich aufmerksam. — „Arbeiten müssen Sie, Fräulein Koelsch, nichts als arbeiten. Bindungen an Stunden, Feiertage und Organi sationshemmungen gibt es bei mir nicht. Ich fordere rückhaltlose Hingabe an die Notwendigkeit, die ich auch von mir verlange. Sie sehen zart aus, ich fürchte, daß Sie gesundheitlich solcher Anforderung nicht gewachsen sind." --—