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Nr. 94 Buchgewerbe Buchdruck *** Buchbinderei * * * * * Steindruck *** Buchhandel Eingesandte Werke finden Besprechung Mitarbeiter und Berichterstatter erhalten angemessene Bezahlung Sachliche Mittheilungen . finden kostenfreie Aufnahme Nationale Schrift? Nr. 46 der »Woche« bringt unter »Unsere Schrift und unsere Kurzsichtigkeit« einen Aufsatz von Professor Heinrich Winkler in Breslau, dem wir Folgendes entnehmen: Wir sind gegen andere Kulturvölker im ungeheuren Nachtheil durch unsere unglückselige sogenannte deutsche Schrift, die keine deutsche ist. Diese Schnörkelschrift, besonders die Druckschrift, ist der wahre Ruin für die Augen. Wenn ich nach meiner blossen Empfindung abschätzen sollte, so erfordert das Lesen deutscher Druck schrift bei einem geübten Leser mehr als das Dreifache an An spannung der Sehnerven gegenüber dem Lesen lateinischer; bei un geübten Lesern, die sich das ganze Buchstabenbild erst rekonstruiren, vergegenwärtigen müssen, vielleicht noch mehr. Man vergleiche: A A GG H $ K& TT W W Z 3 Das blosse Hinmalen der deutschen Zeichen hat mich fast sechsmal soviel Zeit gekostet wie das der lateinischen. Aber noch mehr — und das steigert den Eindruck des Missverhältnisses ins Ungeheuer liche — sowie ich mich bemühe, irgend einen Buchstaben deutscher Druckschrift wiederzugeben, muss ich mir eine gedruckte Vorlage nehmen und Strich für Strich nachmalen; bei den lateinischen Buch staben kann ich in keinem einzigen Fall auch nur einen Augenblick im Zweifel sein, das Bild steht in voller Klarheit vor meinem geistigen Blick. Dabei habe ich die einfachste Gestalt der deutschen Zeichen im Auge; wie oft aber kommen uns Formen vor wie: 888 •8 Sehen wir von den Kurzsichtigen der genannten Art ab, so zeigt das deutsche Volk im Durchschnitt eine sehr beträchtliche Sehschärfe, die Leute an unserer Seeküste sogar eine geradezu erstaunliche, ebenso die auf dem Lande, im Walde, in den Bergen usw. Am deutlichsten aber habe ich mich im Felde davon überzeugt, dass fast alle gemeinen Soldaten eine für mich unfassbare Sehschärfe besassen; unter vielen Hunderten habe ich auch nicht einen Kurzsichtigen ge funden, und diese Wahrnehmung habe ich bei vielen militärischen Hebungen im Frieden gemacht. Aber ich gehe weiter und behaupte, dass auch die Kurzsichtigkeit der Studirten im Verschwinden be griffen ist; ist ja doch heute die körperliche Ausbildung und die Schonung der Augen eine ganz andere wie vor 30 und 40 Jahren. Thatsache ist z. B., dass ich vor Kurzem bei der Prüfung der Augen von 39 jungen Leuten im Alter von 15—20 Jahren bei den meisten, 28, eine Sehschärfe von über 10 Meter (nach dem bekannten Schema, wobei 6 Meter als normal gelten) gefunden habe, bei 18 (= 1/3) aber von über 20 bis 26 Meter. Die Meisten meinen, unsere Schrift sei beizubehalten, weil es unsere nationale Schrift sei, und das wird denn mit vielem Pathos als hochwichtige Angelegenheit behandelt. Es wäre traurig, wenn die deutsche Nationalität ein so wenig charakteristisches Gepräge hätte, dass sie sich an solche Nichtigkeiten klammern müsste; und wenn Bismarck sich einmal sehr scharf in diesem Sinne ausgesprochen hat, so brauchen wir ihm doch diesen Irrthum nicht sofort nach zubeten; es ist das unveräusserliche Menschenrecht auch eines grossen Mannes, einmal einen Irrthum zu begehen. Ausserdem aber ist diese Schrift bekanntlich eine verschnörkelte lateinische Schrift, während vieler Jahrhunderte von den Mönchen in lateinisch geschriebenen Manuskripten, Codices, angewandt. Von daher haben die ver schiedensten Völker diese Schrift bezogen, so die Magyaren, deren älteste Denkmäler sie aufweisen, aber nicht etwa nach deutschen Vorbildern, sondern nach italienischen des 12. und 13. Jahrhunderts; die Finnen, die Skandinavier; noch jetzt erscheint die schwedische Bibel mit Vorliebe so gedruckt; selbst Polen und Tschechen; ich habe noch viele slawische Gebetbücher in dieser Schrift gesehen. Auch die älteren lappischen, esthnischen Drucke zeigen dieselbe Schrift, aber nicht nach deutschen Mustern. Was für ein Gewinn an Zeit für die Lernenden und an Sehkraft, welcher ökonomische und kulturelle Vortheil würde uns daraus er wachsen, wenn wir uns von dieser fürchterlichen Schrift endgiltig lossagen und die angelsächsische, romanische, slawische Welt so in unser Geistesleben einführen wollten! Millionen würden unsere Litteratur und unser Leben studiren und würden uns ganz anders be- urtheilen, wie sie es jetzt thun, wo sie uns nicht kennen und blind nachbeten, was ihnen vorgebetet wird. Eine thörichte Redensart ist es, wenn da, wie ich so oft gehört habe, gesagt wird, sie müssten eben unsere Schrift lernen — thöricht darum, weil wir uns durch unsere exklusive Schrift so vieler Vortheile berauben und durch solche Redensarten praktisch nichts an der Thatsache ändern, dass wir eben nicht verstanden werden, wo es so leicht wäre, Abhilfe zu treffen — thöricht auch deshalb, weil es eine unvernünftige Forderung ist. Nach meinen Erfahrungen nämlich dauert es Jahre, ehe Jemand, der die leichte lateinische Schrift zu lesen gewohnt ist und nur neben bei, in Mussestunden, die unsrige übt, mit Genuss deutsche Werke lesen kann, und darauf kommt es doch an. Wir brauchen uns hier garnicht aufs hohe Pferd zu setzen; die russische Druckschrift ist mit ihren einfachen, runden Zügen ungleich leichter zu erlernen als die deutsche, und doch schrecken die meisten Deutschen wegen der unbequemen Schrift davor zurück, russisch zu lernen; bezeichnender weise auch viele solche, die polnisch verstehen oder doch wenigstens lesen, d. h. das Gedruckte verstehen. Ich persönlich bin fest davon überzeugt, dass die Schätze des deutschen Geisteslebens erst wirkliches Gemeingut der Kulturwelt werden können und auch werden müssen, wenn wir diese unheilvolle Schrift zu anderm überlebten Zopfwesen in die Rumpelkammer werden gethan haben. Welche Summen von Arbeit und Kapital erspart werden könnten, wenn unsere Kinder nur eine Latein- oder Antiqua- Schrift lernen müssten und die Druckereien nur diese brauchten, weiss jeder Fachmann zu schätzen. Die Beseitigung der ebenso unnützen wie schädlichen Fraktur würde dadurch angebahnt, dass jeder Einzelne beim Schreiben nur Antiqua benützte. Durch solche allmälige Beseitigung der gothischen oder Schnörkel-Schrift würden auch die Verleger der Tagespresse instand gesetzt zur Antiqua überzugehen, und Schulen sowie Behörden müssten nachfolgen. Typographische Gesellschaft München Die Gesellschaft hielt am 6. November ihre Monatsversammlung im Orpheum ab. Nach Verlesung des Protokolls, geschäftlichen Mit theilungen, sowie der Aufnahme einer Reihe neuer Mitglieder erhielt Herr Reinhold Bammes das Wort zu seinem Vortrage Der Werksatz« II. Theil In Anbetracht des längeren Zeitraumes, der seit dem ersten Vortrage (vgl. Nr. 75, S. 2818) vorflossen ist, wiederholte der Redner das damals Gesagte in den Grundzügen und behandelte dann den Einzug und Ausgang im Werksatze. Um dem Leser ein Merkmal zu bieten, dass ein Gedanke zu Ende sei und ein neuer anhebt, unterbricht man den Text durch Absätze, die auch schnelleres Erfassen des Stoffes ermöglichen. Bis her war es beim Werksatze Gebrauch, den Absatz durch Einziehen der ersten Zeile zu kennzeichnen und am Schlüsse den verbleibenden Raum der letzten Zeile offen zu lassen. Diese Regel begegnet seit Aufstellung der Forderung, dass die Buchseite eine geschlossene Fläche darstellen soll, einem Widerspruch, indem man anführt, Einzüge und Ausgänge stören die Ruhe der Fläche durch weisse Streifen und Lücken. Man knüpft damit an eine Gepflogenheit der alten Buch drucker an, welche durch Ausfüllen solcher Lücken mit Ornamenten diese Unterbrechungen beseitigten. Redner streift sodann die »Alt deutsche sogen. Münchener Richtung«, die in dem verstorbenen Buchdruckereibesitzer Dr. Max Huttier in München einen eifrigen Förderer fand. Wenn auch bei diesem Stil die Zeilenfüll-Ornamente wieder in Aufnahme kamen, so blieben sie doch auf Accidenzarbeiten beschränkt und wurden als entbehrliches Beiwerk betrachtet. Heute aber, wo die Buchästhetiker die Lehre von der geschlossenen Fläche verkünden, sei man ängstlich bemüht, jede Lücke zuzustopfen. Dies wird auf jede mögliche Art versucht. Bald wird Einzug und Ausgang gleichmässig mit Ornamenten gefüllt, bald nur der Ausgang, während der sehr kleine Einzug bleibt. Bei dem seinerzeit vielbe sprochenen Jessen’schen »Führer« war anstelle des Einzuges ein stumpfer Anfang gesetzt, die Ausgangszeilen blieben jedoch offen. In der Festschrift zur Eröffnung der Darmstädter Kunstausstellung sind die Ausgangszeilen frei bis zum Ende und dann ist ein einzelnes Ornamentstück, gleich einem Pfropfen, aufgesetzt. Auch die alte Sitte, den Beginn eines neuen Absatzes durch ein kleines Initial zu kennzeichnen, taucht wieder auf. Man hat auch versucht, Einzug und Ausgang durch Einschalten eines Ornaments (Blatt, Rosette oder dergl.) zu umgehen. Der folgende Satz beginnt dann in der gleichen Zeile. Charakter und Tonwerthe der Füllornamente sind sehr ver schieden, da einerseits das fortlaufende Ornament, anderseits ein Anein- anderreihen der gleichen Figuren Verwendung findet. Aus all diesen Versuchen geht die allgemeine Unsicherheit hervor. Ausserdem ver langen nicht alle Bücher Schmuck und Zeilenfülle. Solche Bücher, die schnell gelesen und erfasst werden sollen, lasse man frei von