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No. 18. Sonnabend, den 2. Mai 1903. V. Jahrgang. Derjfande/zgärfner. Verantwortlicher Redakteur: Hermann Pilz, Leipzig, Südstrasse 33. Für die Handelsberichte und den fachlichen Teil verantwortlich: Otto Thalacker, Leipzig-Gohlis. tCandels-Zeitung für den deutschen Gartenbau. Verlag von Bernhard Thalacker, Leipzig = Gohlis. Organ des „Garten bau = Verbandes für das Königreich Sachsen E. G." „Der Handelsgärtner“ kann direkt durch die Post unter No. 3222a der Postzeitungsliste bezogen werden. Der Abonnementspreis beträgt pro Jahr: für Deutschland und Oesterreich-Ungarn Mark 5.—; für das übrige Ausland Mark 8.—. Das Blatt erscheint wöchentlich einmal Sonnabends. — Inserate kosten im „Handelsgärtner“ 30 Pfg. für die fünfgespaltene Petitzeile. Der neue russische Zolltarif und unsere Handelsbeziehungen zu Russland. Wir haben schon mehrfach kurz auf die feindselige Haltung hingewiesen, welche Russ land in seinem neuen Zolltarif sowohl Deutsch land als auch Oesterreich-Ungarn gegenüber beobachtet. Wir haben auch bereits darauf hingewiesen, dass Väterchens allzueifrige Minister verkündet haben, dass von diesem Zolltarif nichts werde abgehandelt werden, aber wir haben auch schon erklärt, dass man mit Seelen ruhe diesen blinden Schreckschüssen entgegen sehen kann. Wenn irgend zwei Staaten auf einander angewiesen sind, so sind es Deutsch land und Russland, und wie grimmig sich auch der neue Zolltarif geberden mag, '„die Milch der frommen Denkungsart“ wird genossen werden, wenn es an die Vorbereitung eines deutsch russischen Handelsvertrages geht. In der Ver sammlung, welche kürzlich der deutsch-russische Verein in Berlin abhielt, hat der Generalsekretär des Verbandes ostdeutscher Industrieller in Danzig sehr richtig betont, dass Russland an uns ein grösseres Interesse hat, als wir an Russland. Statistisch übertrifft die Einfuhr Russlands nach Deutschland die unsrige dahin in ganz erheblicher Weise. Der deutsch-rus sische Verein hat in seiner Resolution vom 18. April 1903 ausgesprochen, dass die neuen russischen Zollsätze die Ausfuhr aus Deutsch land nach Russland, die schon unter den gegenwärtigen Zollsätzen im Gegensatz zu der stets wachsenden Einfuhr aus Russland sehr nachgelassen hat, zum grössten Teile un möglich machen. Man sprach die Hoffnung aus, dass auch der Unterschied im Zollsatz, der zwischen Waren, die über die westliche russische Landgrenze eingeführt werden und solchen, die auf dem Seewege ankommen, beseitigt wird, da durch die höhere Besteuerung der Waren, die den Landweg einschlagen, doch ganz besonders Deutschland getroffen werden soll. Aber auch Russland hat Blössen, die wir gut zu treffen wissen, wenn der wirtschaft liche Frieden gebrochen werden sollte. Der russische Weizen, das Hauptprodukt des grossen Zarenreiches, findet bekanntlich in Deutschland den besten Absatz. Er würde ihn aber auch anderswo finden. Dagegen ist der russische Roggen ganz auf Deutschland angewiesen, denn nur hier wird das schwarze Roggenbrot ge nossen, das der russische Roggen ergibt. So ist die Zollfrage für Russland in der Haupt sache die Roggenfrage. Und nicht minder die „Gänsefrage“. Es ist ganz enorm, was Russ land nach Deutschland an Gänsen über die Grenze einführt, und man weiss ja, dass es einmal bald zu einem „Gänsekrieg“ zwischen uns und unseren östlichen Nachbarn gekommen wäre. Das Frohlocken in Russland über die neuen „gerechten“ Zölle ist also sehr deplaziert. Wie steht es nun speziell um den russischen Zolltarif in den Positionen, welche unsere Gärtnerei betreffen? Dass auch hier eine Wen dung zum Nachteile für uns eintritt, haben wir schon in früheren Nummern dargetan. Wir wollen im nachstehenden zunächst einmal die Zolltarifpositionen mit den bisherigen und den geplanten neuen Zollsätzen wiedergeben: 1 Rubel Gold = 100 Kop. = Zollsatz, 3% 20. brutto per 1 Pud =16,20 kg. POS. 5. Gemüse: Neuer Tarif. Alter Tarif. 1. Nicht besonders ge ¬ nanntes, frisch . . zollfrei — 30 Kop. 2. Gesalzenesu.geweich tes Gemüse jeder Art und nicht in hermeti scher Verpackung . . 25 Kop. — 40 Kop. 3. Getrocknetes Gemüse äusser den besonders genannten .... 40 Kop. — 90 Kop. 4. Cichorienwurzel, auch getrocknet, aber nicht zubereitet .... 40 Kop. — 90 Kop. 5. Artischocken, Spargei, Blumenkohl, Brüsseler Kohl, grüne Erbsen, grüne Bohnen und Phaseoien, Salat, Spi nat,frisch u.getrocknet, Melonen und Wasser melonen, frisch . . 40 K. — 1 R. 50 K. Pos. 6. Früchte u. Beeren. 1. Früchte und Beeren, frische, gesalzene, ge weichte und andere; äusser den besonders genannten . . . . 60 K. — 1 R. 80 K. 2. Apfelsinen, Citronen, Pomeranzen, frisch . 70 K. — 1 R. 5 K. 3. Weintrauben, frisch 1 R. 60 K. — 2 R. 40 K. Neuer Tarif. Alter Tarif. Pos. 7. Früchteu.Beeren, getrocknet (nichtin Zucker). 1. Pflaumen . . . 1R. —4R. 5K. 2. Andere . . . . 1 R. 80 K. — 4R. 50K. Pos. 11. Nüsse. 1. Wald- und Garten nüsse aller Art mit Ausnahme von Ka stanien, Kokosnüssen und chinesischen Erdnüssen . . . 1 R. —2 R. 25 K. 2. Mandeln, Pistazien 2 R. — 4 R. 50 K. Pos. 14. Pilze. 1. Frische u. getrocknete jeder Art äusser den unter 2 50 Kop.— 85 Kop. 2. Trüffeln, Champignons und alle anderen Pilze in Essig, Oel und Salz lake, Trüffeln, frisch und getrocknet . 7 R. 20 K. — 16 R. 20 K. Pos. 62. 3. Sämereien zollfrei — 25K. „ „ 4. Lebende Pflanzen 50 K. — 85 K. „ „5. Zwiebelknollen und Wurzeln und Wur zelstöcke von Blu men u.Dekorations- pflanzen . . . 50 K. — 1 R. 50 K. „ „6. Abgeschnitt. Blu ¬ men und Blätter, frisch oder getrock net, auch gefärbt, Blumen und Blätter u. s.w.inForm von Bouquets u. Kränzen 85 K. —10 Rubel. Verboten ist nach Pos. 232 überhaupt die Einfuhr von Kompost, Gartenerde, Rebpfählen und Staketen, ebenso bewurzelter und unbe wurzelter Reben, Stecklinge und überhaupt aller Teile von Reben, mit Ausnahme von Trauben und Kernen. Die Einfuhr der anderen oben erwähnten lebenden Pflanzen, sowie von Trauben und Reben ist auch nur über bestimmte Zoll ämter gestattet und mit Beobachtung der be sonders festgesetzten Regeln. Die Zollämter werden durch den Landwirtschaftsminister be stimmt. Dem Minister ist auch freigestellt, die Einfuhr von Gemüse über gewisse Zollämter zu verbieten, wenn ihre freie Einfuhr in bezug auf Verbreitung der Phylloxera gefahrdrohend erscheint. Er hat sich nur mit dem Finanz minister in Verbindung zu setzen. Die dem Minister der Landwirtschaft frei gestellte Einfuhr von einjährigen Stecklingen amerikanischer Reben für Regierungs institutionen kann er auch auf Privatpersonen erstrecken, wenn die nötigen Vorsichtsmass regeln, die er zu bestimmen hat, eingehalten werden. Der Minister der Landwirtschaft kann nach eigenem Dafürhalten die Einfuhr einjähriger Stecklinge von Reben europäischer Sorten ge statten. Auch Kartoffeln amerikanischer Her kunft dürfen nicht eingeführt werden. Andere bedürfen eines Certifikates, dass sie aus einer Gegend stammen, in welcher der Koloradokäfer nicht vorhanden ist. (Pos. 232, 233.) Diese schon früher bestehenden Sicherheits massregeln berühren uns nicht, wohl aber die oben ersichtlichen exorbitanten Zollsätze, die den österreichischen gleichkommen, ja sie teil weise überbieten. Russland ist also in der Erschwerung der deutschen Einfuhr Oesterreich- Ungarn auf dem Fusse gefolgt. Ein zweites grosses Absatzgebiet soll uns verloren gehen, während wir den Nachbarn leichtes Spiel lassen und auf dem Papier einen Zoll stehen haben werden, der weder im Osten noch im Westen oder Süden fühlbar sein wird. Wir haben im Jahre 1902 insgesamt 9499 dz, im Jahre 1901 sogar 17571 dz frisches Ge müse nach Russland ausgeführt. Jetzt soll der dz 5 M. 75 Pf., bei feinem Gemüse aber 28 M. 80 Pf. Zoll tragen. Das ist ein Ding der Un möglichkeit. An Früchten und Beeren betrug die Ausfuhr nach Russland im Jahre 1902 aller dings nur 1017 dz, fällt also weniger ins Ge wicht. Auf dem dz liegen hier nach dem neuen Tarif ziemlich 35 M. Zoll. Bei Trüffeln, Cham pignons u. s. w. steigt der Zoll für den dz bis zu 311 Mk. 1 Das sind lächerliche Prohibitiv zölle. Wenden wir uns der eigentlichen Pflanzen ausfuhr zu, so hat die Ausfuhr frischer Blumen gegenwärtig nur noch wenig Bedeutung. Auch als Durchfuhrland französischer und italienischer Ware kommt Deutschland nicht mehr in Be tracht. Die Ausfuhr bewegt sich in der Menge von 20—30 dz pro Jahr. Bei getrockneten Feuilleton. Frühlingsstürme. Gärtner-Roman aus der Gegenwart von Alfred Beetschen. 17. Fortsetzung. Nachdruck untersagt Seltsam überhaupt, philosophierte Heinz, dass ich mich in solchen Stickluftlokalen, in dieser eigentümlichen Patchouli- Atmosphäre, nicht wohl fühlen kann. Das macht wohl, weil ich von Hause an gute und vor allem an reine Luft ge wöhnt bin. Das grelle Licht der elektrischen Kronleuchter verviel fältigte sich in den grossen Spiegelgläsern, die den marmor imitierten Wänden entlang liefen. Bordeaux-roter Plüsch und Goldleisten, wohin man blickte. Aus einem Boskett, das von Palmen überragt war, klangen die feurigen, in Galopp dahin stürmenden Czardas-Klänge einer Zigeunerkapelle. Aus allen Ecken des mit lebensfrohen Menschen gefüllten Prachtsaals erklang silbernes Lachen und heimliches Gekicher. Protzen, elegant ge kleidete Roues, Börsenmänner, Matrosen, friedliche und harm lose Spiessbürger, — alles sass einträchtiglich beisammen und freute sich — jeder auf seine Weise — seines so kurzen Daseins. Petrenz machte sich nicht lang Gedanken über das farbenschillernde Bild, das sich ihm bot. Ihm war diese schwüle, parfümgeschwängerte Luft unentbehrlich. Wäre jetzt ein Engel vom Himmel heruntergestiegen und hätte ihm einen Tausendmarkschein in die Hand gedrückt, er hätte sich als Schah von Persien gefühlt, war doch sein einziger Schmerz, dass er nicht als Freiherr zur Welt gekommen war. Er hätte, bildete er sich ein, das Zeug zu einem feinen Herrn und auch die Passionen eines solchen gehabt. Nun hockt man da und hat nicht 'mal ein Glas Kribbelwasser. So nannte er den Schaum wein. Seinem Gefährten, der, nach seiner Meinung, die „Visage eines Moralfatzke“ aufgesetzt hatte, wagte er nicht, mit einem so freventlichen Wunsche zu kommen. Ein Streikender, der Sekt schlürft! Die Genossen hätten sie gesteinigt, wenn’s ruchbar geworden wäre. Als ob der Mensch nicht mal äusser dem Sylvester über die Schnur hauen dürfte. Sie tranken Kaffee und dann Grog und dann Pilsener, bis sie in den bei Kaffeehausstammgästen üblichen Stumpfsinn verfielen. Sie überliessen sich, den Arm über der Sessellehne, dem dahinrauschenden Tonflutgewoge und träumten in süssem Selbstvergessen vor sich hin. — Plötzlich sah Heinz, wie Freund Petrenz mit seinem Glas auf Entfernung jemandem zutrank. Es war eine schick ge kleidete Dame mit einem mächtigen Federhut, die neben einem Herrn in Gehrock und Cylinder sass und Petrenz wie einen alten Bekannten anlächelte. Das Weib repräsentierte einen rassigen fast südlichen Typus, trug grosse goldene Ohrringe und liess ein paar wundervolle schwarze Augen im Saal herumspielen. Wo in aller Welt, fragte sich Heinz, hab’ ich das Ge sicht schon gesehen? Endlich erinnerte er sich; das konnte niemand anders sein als die von Fritz Liermann angesungene Büfettmamsell von der Saxonenkneipe. „Du kennst die Dame dort drüben? warf Heinz anscheinend uninteressiert seinem Cicerone zu. Der lächelte pfiffig: „Und ob! Ein feines Mädchen, — hat die besten Beziehungen, verkehrt nur in den vornehmsten Kreisen.“ Der Weltumsegler räusperte sich, als ob er auch sich zu den vornehmsten Kreisen zählte und hüllte sich in undurchdringliches Schweigen. Dann schmunzelte er vergnügt vor sich hin. Heinz lächelte auch, aber es war ein über legenes Lächeln, das mit dem Grinsen seines Genossen — so grundverschieden war ihr ureigenstes Wesen — keinen Ver gleich aushielt. Bald darauf verschwand das elegante Paar, der Herr im Cylinder und die Dame mit den Tollkirschen augen. Auf einen Moment fragte sich Heinz: war das wohl ihr Bräutigam, von dem sie mir damals im Bahncoupe erzählte? Na, schliesslich, was kümmerte es ihn! Er gedachte der da maligen Reise und der Hoffnungen, die er sich von Hamburg gemacht. Wie bitter war er im Grunde doch enttäuscht worden! Ja, er war so sehr enttäuscht, dass es ihm sogar gleichgültig war, als ihm Petrenz plötzlich anvertraute, dass in seiner Kasse eine bedenkliche Ebbe eingetreten sei. Als Gärtnerssohn glaubte er, gutmütig wie er war, sich nicht lumpen lassen zu dürfen, und stopfte das Finanzloch seines Genossen blindlings mit einer für seine gegenwärtigen prekären Verhältnisse ganz respektablen Summe. Herr Petrenz war dann so nobel, Cigarretten kommen zu lassen, die er mit dem geliehenem Gelde bezahlte und seinem Freunde, grossmütig genug, eine sogar anbot. Nach und nach verflüchtigte sich bei Heinz die leichtsinnige Laune, in die er sich wieder seine bessere Natur verrannt hatte. Die tempera mentvolle Zigeunermusik, die noch immer aus dem Palmen überragten Boskett ihre dahinstürmenden Weisen erklingen liess, war ihm schliesslich nichts weiter als die rhythmische Arbeit fix besoldeter Fiedler. Auf manchem Gesicht sah er Puder und Schminke, die ihm noch vor einer Stunde als Naturfarben wie Milch und Blut erschienen waren. Die ganze Umgebung in dem mit falscher Zierat, imitierten, inwendig mit roten Backsteinen aufgebauten Marmorsäulen ausstaffierten Prunksaale widerte ihn an, während Petrenz, ein Bein über das andere geschlagen, vergnügt vor sich hinträllerte. Nachts um die zwölfte Stunde hätte er also wieder einmal, kalkulierte er, einen guten Fischfang getan. Er durfte mit seinem Pump genie zufrieden sein und nahm es nicht übel, dass Heinz in seinen Augen sich allmählich immer mehr zum Stockfisch verwandelte. Gott, solchen Leuten ist nicht zu helfen, resümierte er, indem er sein Glas auf einen Zug leerte; fidel sein und sich den Teufel um die Gegenwart mit ihren hundert Sorgen fangeisen scheren ist auch eine Kunst, die freilich hinter keiner Domgärtnerei-Hecke zu erlernen ist. Keine Ahnung von Leben hat so ein Provinzhuhn, — keine Ahnung 1 Wohl ihm, er döst sich so durch und ist zufrieden, wenn er ein Ehegespons kriegt, das ihm nach dem Essen eine mit der schönen Drohung „Nur ein Viertelstündchen!“ bestickte Schlummerrolle unters Ohr schiebt. „Gehn wir?“ fragte Heinz ziemlich unwirsch, da er von den Freuden St. Paulis gerade genug hatte. „Jetzt schon? Erst zwölfe durch!“ bekam er zur Antwort. „Die Geschichte wird erst jetzt recht interessant! Immer toller! Ich sage dir, Freundchen, sehenswert!“ „Mir war der ganze Rummel, aufrichtig gestanden, interessant genug. Was darüber ist, das ist vom Uebel. Wenn Du aber noch länger aushalten willst, — ich will dich nicht abhalten!“ Petrenz, der in seinem Beutel die geliehenen Taler klingen hörte, wusste in diesem speziellen Fall, was sich schickte.