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Faust. Erster Theil. 1. Ein Kunstwerk kann, nach Goethe'S eigenen Worten (Riemer'ö Mittheilungen über Goethe, I. Thl. S. 487), nur unter dem Beistand des Herzens von» Kopfe begriffen werden. Die Augen deS HerzenS sehen tiefer und schärfer als diejenigen des KopfeS; sie entdecken die verborgenen Lebensströmungen, welche dem Werke deS Dichters den leben digen Pulsschlag und Bewegung verleihen. Auf kein lite rarisches Erzeugniß ist diese Maxime deS Meisters eigentlich anwendbarer, als auf seinen eigenen „Faust". Betrachtet man den „Faust" auch nur als eine intellektuelle Erscheinung, so ist er in der That wunderbar, eigenthümlich an reizend, eine Encyklopädie weiser und geistvoller AuSspriiche. Er hat aber gleich den heiligen Schriften der Nationen noch einen tiefern symbolischen Charakter; er umschließt einen geheimen Schatz, ein aufgespcicherteS Geheimniß, welches nur ehrfurchtsvollem und theilnehmend mitfühlendem Studium sich erschließt. Er hat eine oberflächliche Bedeutung für den Oberflächlichen (und zwar eine sehr schöne und werthvolle Bedeutung), und eine reichere und kostbarere Lehre sür den jenigen, welcher tief genug gräbt, um sie zu finden. Die Dichtung selbst ist mit des Dichters Leben so unauf-! löslich verwoben, daß man daS letztere eigentlich als einen fortlaufenden lebendigen Kommentar zu ersterem betrachten kann. Die erste Anregung dazu datirt zurück in Goethe'S