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Sonn tags-Settsge Nr. 4 Äilsckrutter Ssgrbkatt so. I. wrr Lie hausgestandenen Männer der Gemeinde Finkenzell trafen sich zufällig einmal beim Oberen Müller und machten unter sich aus: Bei einer Versteigerung läßt sich künftig keiner mehr blicken. Ohne Steigernde könne man nicht versteigern. Sie hatten's monatelang so gehalten, und man fuhr leidlich gut dabei. Da geschah das Unerhörte: Der Gerlhof stand nnterm Hammer, und der Girglhöferer sein Nachbar, steigerte ihn. Steigerte ihn um ein Schandgeld. Die Leute vom Gerlhof gehörten zu den Angesehensten in der Gemeinde. Vom Gerlhof ging niemand üngetröstet weg. In der Kirche war das meiste von der Gerlhof-Mutter gestiftet. Der geschnitzte Kreuzweg, die seidene Muttergottes- Fahne, die neuen Meßklingeln, die so wunderlieblich klangen, wie man vordem nie gehört, und vieles andere. Und jetzt sollten die Leute von Haus und Hof gejagt werden. Und noch dazu von einem der Ihrigen. Wer hätte das auch dem Girgl höferer zugetraut! Ein Sonderling war er wohl sein Leben lang, und ein Knauser ist er, daß man seine Werk- und Feiertagshose bald nimmer auseinander kennt. Aber so einen Schurkenstreich, nein, das hätte ihm von den Finken zellern doch keiner zugetraut. Nicht einer. Nachdem das Ergebnis der Versteigerung in der Gemeinde umgelaufen war, trieb es den einen um oen anderen zum Gerlhof hinauf. Am späten Nachmittag hatte sich fast die ganze Gerlhof-Stube mit Finkenzeller Männern gefüllt. Der Gerlhöferer holte alten Nutzschnaps aus dem Keller. Der war in der Gegend bekannt und beliebt. Trotzdem blieb die Stimmung gedrückt. Die Bäuerin schlich mit verweinten Augen herum, und die Kinder starrten aus eiuer Ecke ab wechselnd auf die vielen Männer oder auf die niedergeschlagene Mutter und verstanden noch nicht, daß man im Begriffe war, ihnen den Heimatboden unter den Füßen wegzuziehen. Man rückt im Herrgottswinkel enger um den groß mächtigen, blütenweißen Ahorntisch. Gegen den Girglhöferer, den verdruckten Ruach, muß etwas unternommen werden. Einen meuchlings so von hinten niederrennen! Der Wastlbauer hebt seine pfundige Faust, um sie auf Sen Tisch zu dröhnen — da geht die Tür auf. Eine hohe, etwas vornüber gebeugte Gestalt steht auf der Schwelle: der Girglhöferer. Im Augenblick hörte man in der Stube eine Feder fallen. Der Wastlbauer sitzt noch immer mit erhobener Faust im Herrgottswinkel. Jeder hat sich nach der Tür gewendet, und jedes Auge verschlingt den Mann, der zwischen Tür und Angel steht. Der hat offenbar so zahlreiche Gesellschaft nicht erwartet. Rot läuft das scharfgeschnittene Gesicht an. Die auffallend großen, dunklen Augen nehmen dem Gesicht die Schärfe seiner Züge wieder. Wie zwei warme braune Sonnen leuchten sie unter den buschigen Brauen. Und das ist der Mann, der seinen Nachbar von Heimat nnd Scholle weg in Elend und Verzweiflung treiben will. Offen vor den Augen der Men schen, mit Venen ihn enge Schicksalsgemeinschaft seit jeher verbindet. Man merkt's dem Mann auf der Schwelle an, daß er am liebsten wieder die Türe im Rücken hätte. Aber er ermannt sich, tritt ein und bietet den Gruß: „Guten Abend allerseits!" Eisiges Schweigen. Keiner erwidert. Der Girglhöferer hört nur die Kinder flüstern und die Fliegen brummeln. Es cheint, als ob ihn die, mit denen er ein Menschenalter zu- ammen gelebt hat, einfach ausgelöscht hätten. Keine Hand -ebt sich, kein Wort wird gesprochen. Der Wastlbauer nimmt langsam seine Faust herab. Das ist alles. Der Gerlhöferer selber schaut durchs Fenster über den Fluß seiner braunen Sturzäcker und grünen Feldbreiten. Die Gerlhöferin sitzt auf einem Schemel Vorm Ofen und starrte mit heißen Augen in die rote Glut. Die Augen geben keine Tränen mehr. Der Mann mit dem bleichen Gesicht und den großen, braunen Augen tritt zu seinem Nachbar hin, dem Gerlhöferer, rüttelt ihn an der Schulter, als ob er ihn aufweckrn wollte, unv lagt sasi bittend: „Nachbar — ich hätt' was z' reden mit Dir!" Der Angeredete nimmt langsam die Augen von den braunen Sturzäckern und den grünen Feldbreiten zurück, die eh schon nicht mehr ihm gehören, erhebt sich schwerfällig und geht, ohne die dargebotene Hand zu beachten, über die Stube sind aus der Tür. Draußeu in der Flöz hört man ihn in die Holzschuhe fahren und dann über die Gred hinunter stapfen. Wie mag dem Mann zumute sein? Die Bäuerin Packt's anfs neue. Wie eine Klammer liegt es um ihre Kehle. Ein nach innen gerichtetes Schluchzen erschüttert die Kräftige von Grund aus. Dann wird ihr so rngstig um den Bauern. Rasch eilt sie ebenfalls aus der Stube. Die Kinder drücken sich im Herdwinkel wie erschreckte Schafe zusammen und schauen mit scheuen Augen auf den Girglhöferer, vor dem Vater und Mutter davon gelaufen sind. Die Männer haben noch immer kein Wort gesprochen. Wie die Gerlhöferin aus der Stube flüchtet, wird ein Wort stoischen den Zähnen zerbissen. Ein bitterböses. Nur die Nächstsitzenden haben es gehört und der Girglhöferer auch, der nicht weit abseits steht: Judas! Eine Bewegung geht durch die Versammelten. Ein Auge hebt sich zum Girglhöferer auf und noch eins. Dem hat's einen Ruck gegeben nnd er ist noch einen Schatten bleicher geworden. Wieder jagt eine rote Welle über sein Gesicht. Es ist eine andere Röte als die von vorhin, die des Zornes, und Sie braunen Augen blitzen ans: „Manner !" Er nimmt ein Wort zurück, das ihm schon halb entflohen ist. Dann schnauft er ganz von unten auf. Seine Stimme ist wieder ruhig, fast heiter: „Der Judas bin wohl ich?" Und doch läuft unter den Worten ein leises Zittern hin. Das zwingt zum erstenmal die Blicke aller zn ihm auf. Der das böse Wort gesprochen, tut als erster den Mund auf: „Ich hätt's vielleicht nicht sagen sollen, aber darfst Du mir's verübeln?" Und zu der Gemeinde gewendet: „Manner, wenn ich zuviel gesagt habe, nachher nehm' ich's zurück auf der Stelle. Mit aufgehobenen Händen nehm' ich's zurück. Manner, jetzt sprecht Ihr!" Nicht gleich hat einer das rechte Wort zurechtgelegt. Jeder fühlt die Schwere des Augenblicks. In die Augen des Girglhöferers fließt wieder das warme Leuchten. Er findet als erster das Wort: „Manner, machen wir's kurz! Den Gerlhof habe ich sür'n Gerlhöferer eingesteigert und für sonst niemand!" Zum dritten Mal steht eine reine Stille in der Stube. Dann hastet der auf, der das schlimme Wort gesprochen. Der Girglhöferer wehrt ab. Er schaut sich um: Die beiden Gerlhof- leut sind noch nicht zurück. Wieder hebt er an: „Manner, machen wir's kurz, den Leuten möcht's das Herz abdrucken. Ich habe in der Sache alles ausspekuliert, und mein Bruder, der Advokat, gibt seinen Segen dazu. Also stimmt's. Es handelt sich nur mehr um eins. Die zwanzigtausend Mark, die ich hineingehetzt hab, die laß ich stehn. Das Geld ist von meinem verstorbenen Bruder, dem geistlichen Herrn. Das witzt's ja eh. Aber das langt noch nicht. Es braucht noch zwanzigtausend Mark. Und ich frag Euch jetzt, Manner, wollt Ihr die zwanzigtausend Mark zusammen für den Gerlhof auf bringen? Wer einverstanden ist, hebt d' Hand auf." Keine Hand, die fich nicht aufgestreckt hätte, wie zu heiligem Schwur. Wieoer hebt der Girglhöferer an: „Viel Schultern tragen's leicht. Was da auf einen fällt, reißt noch kein Hauseck ein, und der Gerlhof bleibt dem Gerlhöferer/' Das letzte Abendrot strahlt durch die niederen Fenster in die Stube, und auf jedem Gesicht liegt ein unwirkliches Leuchten. Der Girglhöferer hat'S auf einmal eilig: „Ich suche bloß dir zwei Gerlhof-Leut'. Denen wird ein Stein vom Herzen fallen. Und daS kein kleiner." Und zieht schon di« Tur hinter sich zu. In der Flöz läuft ihm's Kuchlmensch in dm Wes. Durch die läßt er dem Gerlhöferer eine Bot schaft sagm. Sr selbst akr schlägt sich Mich in die Büsche. Skizze von Lu d w i g W a ldw e b e r.