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DRESDNER PHILHARMONIE Tod Es kommt der Tod, doch fraglich ist die Stunde, ich weiß nur: kurz bemessen ist die Zeit; den Sinnen tut es um das Dasein leid, die Seele fühlt sich mit dem Tod im Bunde. Blind ist die Welt: wen mag es denn schon sorgen, wenn böses Beispiel beß'res Tun verdrängt? Wie hoffnungslos uns Dunkelheit umfangt: Die Lüge herrscht, die Wahrheit bleibt verborgen. Wann kommt, o Herr, wofür wir er gewagt, dir gläubig zu vertraun? Dies Darauf-Harren verstärkt das Unheil, bringt der Seele Tod. Was hilft uns Licht, wenn längst bevor es tagt der Tod hernaht, und wenn wir jäh erstarren, wie er uns trifft, in Schande und in Not? Di morte certo, ma non giä dell’ ora; La vita e breve, e poco me n’ avanza; Diletta al senso e non perö la stanza A I' alma, ehe mi priega pur ch’ i’ mora. II mondo e cieco, e ’l tristo esempio ancora Vince e sommerge ogni prefetta usanza; Spent’ e la luce, e seco ogni baldanza; Trionfa il falso, e ’l ver non surge fora. Deh quando fie, Signor, quel ehe s’ aspetta Per chi ti crede? ch’ ogni troppo indugio Tronca la speme, el’ alma fa mortale. Che val ehe tanto lume altrui prometta, S' anzi vien morte, e senz' alcun refugio Ferma per sempre in ehe stato altri assale? Eines der letzten und tiefsinnigsten Gedichte Michelangelos, nach 1556 entstanden und in der zittrigen Schrift des Alters niedergeschrieben. „Der Monolog eines Achtzigjährigen, der es noch vermag, seine Kraft gegen die Welt zu stemmen." (Edwin Redslob) Unsterblichkeit Es sandte mir das Schicksal frühen Schlaf. Ich bin nicht tot, ich tauschte nur die Räume: Ich leb’ in euch und geh’ durch eure Träume, da uns, die wir vereint, Verwandlung traf. Ihr glaubt mich tot. Doch daß die Welt ich tröste, leb’ ich mit tausend Seelen weiter dort im Herz der Freunde. Nein, ich ging nicht fort: Unsterblichkeit vom Tode mich erlöste. Qui vuol mie Sorte c’ anzi tempo i’ dorma; Ne son giä morto: e ben c’ albergo cangi, Resto in te vivo, c’ or mi vedi e piangi; Se I’ un nell’ altro amante si trasforma. Qui son morto creduto; e per conforto Del mondo vissi, e con mille alme in seno Di veri amanti: adunche, a venir meno, Per tormen’ una sola non son morto. Diese beiden köstlichen Epigramme zählen zu den fünfzig Grabschriften, die Michelangelo 1544 auf das Hinscheiden des sechzehnjährigen Cecchino Braccio für seinen Freund Luigi del Riccio dichtete. Riccio hatte in dem überaus schönen Knaben nicht nur seinen Neffen, sondern auch den Geliebten verloren. Es sollten eigentlich nur fünfzehn Sprüche werden, wofür Michelangelo Leckereien empfing (für die er sich am Rande der Gedichte in scherzhaftem Ton bedankte). Er ließ sich aber durch weitere schmackhafte Sendungen zum Abfassen immer neuer Epigramme bewe gen. - Dennoch: Romain Rolland und viele Michelangelo-Kenner rechnen gerade diese Verse zum Tiefsten, was er geschrieben hat.