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Jean Sibelius: Sinfonie Nr 2 D-Dur, op. 43 Als Sibelius anläßlich der Weltausstellung 1900 in Paris mit seinen Werken an die Weltöffentlichkeit trat, hatte sein Ruf als erster be deutender finnischer Komponist sich bereits gefestigt; nun aber gelang dem 35jährigen, der, seit 1897 durch ein jährliches staatli ches Stipendium materieller Sorgen enthoben, als künstlerischer Repräsentant seiner Heimat finnisches Nationalbewußtsein ver körperte, der entscheidende internationale Durchbruch. Finnland, seit Jahrhunderten Zankapfel zwischen Schweden und Rußland, begann erst im 19. Jhd. seine nationale Identität zu finden und gelangte schließlich 1917 zu politischer Unabhängigkeit. Der nationalgeschichtliche Kontext, der das Image des Komponisten mitbestimmte — im musikalischen Werk finden sich zahlreiche programmatische Bezüge auf historisches und mythologisches Gedankengut — hatte für das Verständnis und die Beurteilung sei ner Musik vielfach negative Einflüsse. So wird die desavouierende Zuordnung als Folklorist und „nationaler Romantiker“ seiner tat sächlichen Position als Tonschöpfer, der im Spannungsfeld unter schiedlicher musikalischer Zeitströmungen, von Spätromantik über Impressionismus und Neoklassizismus bis zur Atonalität, zu einer unverwechselbaren individuellen Ausdrucksform fand, bei weitem nicht gerecht. Sibelius selbst wehrte sich, indem er klarstellte: „Es herrscht die irrige Ansicht, daß meine Themen oft Volksmelodien seien. Aber bis jetzt habe ich nie ein Thema verarbeitet, das nicht meine eigene Erfindung gewesen wäre“. Der nationale Charakter, der seiner Musik immanent ist, beruht nicht auf oberflächlicher Folkloreromantik, sondern besteht viel mehr in einer betont epischen Haltung, die Dramatisches und Lyri sches gleichermaßen einschließt und als indirekter Reflex auf die Weite der finnischen Landschaft verstanden werden kann. Da sich der Komponist vor allem als Schöpfer von Tondichtungen im Bewußtsein des Publikums festgesetzt hatte, kam es zur An nahme, daß auch seinen Sinfonien heimliche Programme zugrun delägen. Dem hielt Sibelius allerdings entgegen: „Meine Sinfonien sind Musik, die als musikalischer Ausdruck ohne jedwede literari sche Grundlage erdacht und ausgedrückt worden ist. Ich bin kein Literaturmusiker. Für mich fängt die Musik dort an, wo das Wort aufhört.“ Die Zeit nach der Jahrhundertwende markiert den Beginn einer neuen Schaffensperiode. Nach den besonders vom Nationalepos „Kalevala“ programmatisch bestimmten Tondichtungen orientiert