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434 Stahl und Eisen. Industrielle Rundschau. 26. Jahrg. Nr. 1. Industrielle Die Geschäftslage der deutschen elektrotechnischen Industrie im Jahre 1905. Der Verein zur Wahrung gemeinsamer Wirt schaftsinteressen der deutschen Elektrotechnik gibt in Heft 7 seiner „Veröffentlichungen“ einen Ueber- blick über die Geschäftslage der deutschen elektro technischen Industrie im Jahre 1905. Die Denk schrift zerfällt in einen allgemeinen Bericht und in Einzelberichte, wie z. B. über Dynamomaschinen, Elektromotoren, Akkumulatoren usw., hieran schließt sich ein Referat über „die vermeintlichen Gefahren elektrischer Anlagen“, und den Schluß bildet eine ausführlich geführte Statistik. Im allgemeinen Bericht wird u. a. folgendes ausgeführt: Während das Jahr 1904 für unsere elektrotech nische Industrie eine Zeit der Sammlung war, brachte ihr das Berichtsjahr eine bisher nicht gekannte Be schäftigung, die sogar diejenige in der Hochkonjunktur des Jahres 1900 übertraf. Bezeichnend ist es, daß diese nötige Entfaltung sich ohne Rücksicht auf ver schiedene drückende Begleitumstände vollzog, ohne Rücksicht auf die weit übergreifenden inneren Wirren in Rußland, ohne Rücksicht auf das öftere Wetter leuchten am politischen Himmel, ohne Rücksicht auf den hohen Zinsfuß und den ungünstigen Preisstand der Rohmaterialien. Diese Tatsache scheint darauf hinzuweisen, daß die Aufwärtsbewegung der mit dem Jahre 1902 begonnenen Wirtschaftsepoche auf einer gefestigten Grundlage beruht, wozu die Kartellbewe gung in den wichtigsten Industrien unseres Vater landes ohne Zweifel nicht das wenigste beigetragen hat, und daß vielleicht die günstige Wirtschaftslage länger als sonst anhalten wird, weil das Verschwinden der einen oder andern ungünstigen Begleiterscheinung von neuem belebend auf das Geschäft wirken kann. Charakteristisch ist auch die verschiedenartige Rolle, Rie unsere Industrie in den beiden letzten Wirtschafts epochen spielte: In der ersten, die ihren Höhepunkt im Jahre 1900 erreichte, hatte sie eine führende Rolle, indem sie durch ihre eigenen Unternehmungen, durch die Gründung von Elektrizitätswerken und elektrischen Bahnen, den tonangebenden Industrien belangreiche Aufträge zuführte und dadurch stimulierend, wenn nicht bestimmend auf die allgemeine Konjunktur wirkte, während sie in den letzten Jahren von den Bestellungen verschiedener aufblühender Industrie zweige des In- und Auslandes getragen wurde und mithin vorwiegend passiv an der Gestaltung unseres Wirtschaftslebens beteiligt war. Im letzten Jahre war es in erster Linie die deutsche Bergwerksindustrie, die in steigendem Um fange die elektrische Kraft sich zunutze machte, sei es bei dem Antrieb von Fördermaschinen, Pump werken, Ventilationsanlagen, sei es zur Beförderung von Menschen und Lasten unter und über Tage, sei es endlich zu Beleuchtungs- und anderen Zwecken, bei denen die Elektrizität besondere Vorteile vor den bisherigen Betriebseinrichtungen gewährt und bei denen das verhältnismäßig neue Problem, die früher unbenutzt gelassenen Abfallgase der Gasmotoren und Hochöfen zum Antrieb von Dynamomaschinen zu ver wenden, den vollen Beweis seiner praktischen Ver wendbarkeit erbrachte. Auch die gesamte Eisen industrie, vom Eisenhüttenwerk bis zur Fabrik von Kleineisenwaren, die Textilbranche und viele andere Industriezweige wurden auf neuen Spezialgebieten Abnehmer unserer Fabrikate, die in geschickter Weise den verschiedenen Verwendungszwecken angepaßt wurden. Auf den weiteren Ausbau der bestehenden Rundschau. und die Anlage von neuen Elektrizitätsanlagen, be sonders in kleineren Orten, übten bedeutende Ver besserungen in der Oekonomie der Heißdampf maschinen, Sauggasmotoren und Wasserturbinen einen fördernden Einfluß aus, doch weisen verschiedene Umstände darauf hin, daß unsere Wasserkräfte, sowohl die natürlichen als auch die durch Talsperren gesam melten, noch in bedeutend stärkerem Maße als bisher für elektrotechnische Zwecke ausgenutzt werden können. Mit dem inländischen Konsum hielt auch unser Ausfuhrverkehr gleichen Schritt, denn er umfaßte im letzten Jahre, soweit elektrotechnische Erzeugnisse in der amtlichen Statistik nachgewiesen werden, rund 73 Millionen Mark, gegen 65 Millionen Mark im Jahre vorher. Würde man aber die amtlicherseits nicht aufgeführten Fabrikate, namentlich Starkstromappa rate, Meß-, Zähl- und Registriervorrichtungen, Bogen lampen, durch Gespinste isolierte Drähte, Heiz- und Kochapparate, Isoliermaterialien usw. hinzurechnen, so würde man auf eine Summe von weit mehr als 100 Millionen Mark kommen, der die vom Reichs amte Res Innern für das Jahr 1898 gelegentlich der produktionsstatistischen Erhebungen festgesetzte Ex portsumme von 57 Millionen Mark gegenübersteht. Dabei ist nicht zu vergessen, daß der Durchschnitts wert unserer Artikel im Laufe der Zeit sehr gesunken ist, mithin sich das quantitative Verhältnis noch be deutend vorteilhafter entwickelt hat. Eine größere Aufnahmefähigkeit für unsere Produkte war haupt sächlich bei einigen europäischen Staaten festzustellen, die sich gleich uns in einem wirtschaftlichen Auf schwünge befanden, sodann aber auch in den mittel- und südamerikanischen Staaten sowie in Südafrika, wo überall die Einführung des elektrischen Stromes zu Kraft- und Beleuchtungszwecken sich unausgesetzt steigert. Allerdings darf man nicht außer acht lassen, daß unsere Ausfuhr einen starken Impuls durch die am 1. März 1906 in Kraft tretenden neuen Zolltarife in verschiedenen Ländern erhielt. Die dort zu er wartenden erhöhten Zölle veranlaßten die Kundschaft, ihre Bestellungen über das gewöhnliche Maß hinaus auszudehnen und auf Lieferung vor jenem Termin zu dringen. Mit Rücksicht hierauf kann unser letzt jähriger Ausfuhrverkehr nicht als ganz normal an gesehen werden und wird zweifelsohne in nächster Zeit einen merkbaren Rückschlag erleiden, da einer seits die in Betracht kommenden Märkte für längere Zeit mit Waren versehen sind, anderseits die erhöhten Zollsätze unsern Absatz dort einschränken werden. Die starke Produktionsvermehrung unserer In dustrie hatte naturgemäß auch eine entsprechende Erhöhung der Arbeiterzahl im Gefolge, und zwar ist aus den produktionsstatistischen Erhebungen zu er sehen, daß im Jahre 1900 die gesamte Arbeiterzahl der elektrotechnischen Industrie auf 26 321 Köpfe im Jahre 1895 und auf 54 417 Köpfe im Jahre 1898 fest gesetzt wurde, gegenüber der heutigen Ziffer von 82 000. Ebenso waren Kapitalserhöhungen und Be triebsvergrößerungen weitere Folgeerscheinungen des letztjährigen Aufschwunges. Man kann annehmen, daß im Jahre 1905 etwa 625 Millionen Mark in der elektrotechnischen Fabrikation tätig waren, so daß, unter Hinzurechnung der in Elektrizitätsanlagen unter- gebrachten Gelder, die gesamte Elektrotechnik rund 21/2 Milliarden Mark unseres Nationalvermögens in Anspruch nahm. — Bei den Betriebserweiterungen wurde keineswegs so waghalsig vorgegangen wie vor sechs und sieben Jahren, sondern man paßte die Ver größerung nur den dringendsten Bedürfnissen an und suchte mit den vorhandenen Einrichtungen den ge-