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1. April 1906. Ue-ber die Konstitution des Roheisens. Stahl und Eisen. 897 Mitteilungen aus dem Eisenhüttenmännischen Institute der Königl. Technischen Hochschule in Aachen. Ueber die Konstitution des Roheisens.* Von Dipl.-Ing. M eine Herren! Bevor ich zum eigentlichen Thema meines heutigen Vortrags über gehe, möchte ich in einigen Worten auf die Gründe hinweisen, aus welchen die Kenntnis des Aufbaues, der Konstitution irgend eines Materials wünschenswert ist. Was wir in letzter Linie von einem solchen verlangen, ist je nach dem Zwecke, zu welchem es bestimmt ist, Festigkeit, Geschmeidigkeit, Härte, Dehnbarkeit, elektrische Leitfähigkeit, Widerstandsfähigkeit gegen chemi sche Einflüsse u. a. m. Für den Verbraucher sind naturgemäß nur diejenigen Zahlen maß gebend, welche ihm das Verhalten des Materials bei der gegebenen Beanspruchung bekannt geben, sagen wir z. B. die Zerreißfestigkeit eines Draht seils usw. Schwieriger ist die Lage des Er zeugers. Dieser muß wissen, wie er dem Material jene gewünschten Eigenschaften verleihen kann, mit anderen Worten, er muß das Material studieren und feststellen, welche Mittel ihm zu Gebote stehen, um auf möglichst billige Weise ein hoch wertiges Material zu erzeugen. Zu diesen Mitteln gehört zunächst die geeignete chemische Zu sammensetzung. Da diese für die Gütezahl von ausschlaggebender Bedeutung ist, wird eine regelmäßige Kontrolle der Menge auftretender Fremdkörper am Platze sein, und so sind die Erzeugungsstätten des wichtigsten Konstruktions materials, die Stahlwerke, stets mit Betriebs laboratorien verbunden. Als zweites Mittel folgt die chemische und mechanische Behand lung des Materials. Durch diese werden die vorhandenen Elemente in geeigneter Weise gruppiert, das heißt, das Gefüge wird so ver ändert, daß es dem gewünschten Zwecke am besten genügt. Um zu kontrollieren, ob die thermische und mechanische Behandlungsweise auch den gewünschten Erfolg hatte, darüber wird ja in letzter Linie der direkte Versuch entscheiden. Fällt dieser jedoch negativ aus, trotz einer anscheinend richtigen Zusammen setzung und Behandlung des Materials, so ist man gezwungen, durch das Studium des Auf baues desselben näheren Aufschluß zu erlangen. Durch die Feststellung des Vorhandenseins bezw. Fehlens irgend eines Bestandteils, des Verhält nisses, in welchem die einzelnen Komponenten vertreten sind, ihrer Form und Verteilung mittels geeigneter Methoden, welche die Metallo- * Vortrag, gehalten auf der Versammlung des Vereins deutscher Eisengießereien am 18. September 1905 in Eisenach. P. Goerens in Aachen. (Nachdruck verboten.) graphie zur Verfügung stellt, kann man häufig auf die Gründe für das abnorme Verhalten des Metalles schließen. Freilich sind die Erfahrungen, welche diese junge Wissenschaft bisher hat sam meln können, viel zu gering, als daß ihr in allen Streitfragen die Entscheidung zustehen könnte. In dem Maße jedoch, wie ihr die Möglichkeit geboten wird, die charakteristischen Gefüge der verschiedensten Materialien von bekannten Ar beitseigenschaften zu vergleichen, was nur durch die gemeinschaftliche Arbeit mit der Praxis ge schehen kann, wird auch der Wert der metallo- graphischen Untersuchungsmethoden für die Praxis wachsen. Ich möchte Ihnen nun über die Ar beitsweise der Metallographie in ihrer Anwendung auf das Roheisen Einiges vortragen, wozu ich verschiedene theoretische Erörterungen voraus- schicken muß. Unter Roheisen verstehen wir bekanntlich alle diejenigen Legierungen des Eisens, welche mehr als 2 °/o Kohlenstoff enthalten. Es gehört unter diese Kategorie nicht nur das im Hoch ofen erzeugte, sondern auch das bereits um- geschmolzene, als Gußeisen bekannte Produkt der Eisengießereien. Außer dem Kohlenstoff sind darin eine Reihe von Fremdkörpern ent halten, deren Gegenwart das Verhalten des Kohlenstoffs stark beeinflußt. Wir wollen uns an dieser Stelle jedoch darauf beschränken, nur das reine, also nur kohlenstoffhaltige Roheisen zu untersuchen. Solange das Roheisen sich im geschmolzenen Zustande befindet, ist der Kohlen stoff in der Eisenmasse gleichmäßig verteilt, wir haben eine flüssige Lösung vor uns. Wieviel Kohlenstoff geschmolzenes Eisen zu lösen vermag, ist noch eine offene Frage, jedenfalls steigt der Sättigungspunkt mit der Temperatur; bei 1200° C. kann das Eisen nur etwa 5°/0 Kohlenstoff aufnehmen, während bei einer Tem peratur von 3000 " C. nach Beobachtungen von Moissan 40 °/o in Lösung gehen sollen. Was geschieht nun, wenn eine Eisenmasse, welche z. B. bei 1400 ° C. mit Kohlenstoff gesättigt ist, sich abkühlt? Entsprechend der verminderten Löslichkeit wird in dem Maße, wie die Tempe ratur sinkt, so viel Kohlenstoff als Graphit sich ausscheiden, daß die übrige Lösung gesättigt bleibt; der ausgeschiedene Graphit steigt rasch an die Oberfläche und schwimmt als Gar schäum auf dem Metallbade. Ist die Temperatur auf etwa 1130° C. gesunken, so sind noch etwa 4,3 °/o Kohlenstoff in Lösung, die Schmelze ist homogen und flüssig.