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... narkotisierender Sog des ewigen Kreises .... morbide Süße von Lebenslust und Todestrieb te sein Werk als „eine Art Apotheose des Wiener Walzers“ und im Untertitel als eine „Choreogra phische Dichtung für Orchester“, in dem „durch wirbelnde Wolken hindurch Walzer tanzende Manches klingt so gar nicht nach einer Apo theose, sondern wirkt eher als ein Abgesang auf die Gesellschaft der Vorkriegszeit, wie ein „unglaublich tödlicher | Strudel", in den Träume hineingezogen werden. Und so wirkt plötzlich alles, das ganze Werk. Da bemerkt man immer wieder „einen dumpfen Untergrund .... etwas Spannendes, Geheim nisvolles, ja fast | Dämonisches... Paare schwach erkennbar [sind]“. Man könne - meinte Ravel weiter, und so ließ er es in die Partitur drucken so bald sich die Wolken zer teilt haben, „eine ungeheuer große Halle mit einer wirbelnden Menschenmenge“ sehen. „Die Szene wird allmählich heller. Das Licht der Kandelaber verbreitet sich in strahlendem Fortissimo ... Ein Kaiserhof um 1855.“ Ravels Kommentar unterschlägt den zur Katastrophe führenden Schluß, und das Stück selbst gibt auch sonst gewisse Rätsel auf. Und trotz wun derbarer Klangfarben des Riesenorchesters, das der Magier Ravel wie kein Zweiter beherrschte, trotz einer wahren Klangorgie bleibt das un wirtliche Gefühl eines gespenstischen Tanzes über den Leichen des Ersten Weltkriegs und der makabre Gedanke, der Hofstaat Franz Josephs sei von den Toten auferstanden. „Bald werden auch wir von dem narkotisierenden Sog des Plötzlich glaubt man den gleichen Festsaal öde und leer zu sehen, mit Rissen in den einst so stolzen Mauern, mit zersprungenem Kristall und blind gewordenen Spiegeln. Und doch geht die Musik weiter, aber auch sie ist gespenstisch geworden, gewissermaßen fleisch los, als bewegten sich Gerippe durch verödete Räume” (Kurt Pahlen). ewigen Kreisens mitgerissen, von der morbiden Süße dieses Walzers, in dem Lebenslust und Todestrieb sich untrennbar durchdringen. Doch dann, nach dem ersten Durchlauf des todes trunkenen Melodienreigens, kann der morsche Unterbau dem zunehmenden Druck der immer mehr außer sich geratenen Massen nicht mehr standhalten: Die mit Kostbarkeiten sinnlos überladenen Fassaden brechen dröhnend in sich zusammen und begraben die gespenstische Gesellschaft für immer unter sich. Ähnlich muß es beim Untergang der ,Titanic' gewesen sein. Während im Maschinenraum bereits das Feuer wütete und gleichzeitig der Eisberg sich in den Bauch des Luxusdampfers fraß, wurde auf den oberen Etagen weitergetanzt, bis die Wasser massen die Wände einbrachen und die Tanzenden in ihrem tödlichen Strudel in die Tiefe rissen“ (Attila Csampai). 36