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DRESDNER O PHILHARMONIE andererseits saß ihm auch hier wieder Beethoven im Nacken, ein Vorbild, an dem niemand vor beikam. Vor längerer Zeit bereits hatte Brahms zwar mit viel Geduld und mit einem enormen geistigen Aufwand ein Solokonzert komponiert, sein erstes Klavierkonzert (1856/57) in d-Moll op. 15, und aller Welt gezeigt, daß er einen ho hen Anspruch auf gedanklichen Tiefgang für sich reklamierte. Doch jetzt mußte er einen neu en Anlauf nehmen und für ein Instrument schreiben, das er weniger gut als das Klavier kannte. Und schließlich war es keineswegs seine Absicht, jemals ein brillantes Virtuosenstück zu schreiben, etwas, das leider immer noch in Mode war und ihn einfach ärgern mußte. Denn Brahms hatte sich ein sehr eigenständiges Verständnis für das traditionell gewachsene Konzertprinzip zurechtgelegt: Beethoven ver stand es seinerzeit als Dialog zwischen Solist und Orchester, vergleichbar einem Verhältnis von Individuum und Gesellschaft. Im 19. Jahr hundert (von Paganini bis Sarasate) wurde der Solist aber derart in den Vordergrund gerückt, daß allein gefordert wurde, den individuellen Auftritt des Solisten wirkungsvoll zu gestalten. Dagegen wendete sich Brahms demonstrativ und präferierte das sinfonische Miteinander: Solist und Orchester ergänzen sich und steigern sich so gegenseitig in ihrer Wirkung. Aber Brahms wußte auch, daß das Soloinstrument klingen sollte und somit Aufgaben erhalten mußte, die dem Spieltrieb genügend Geltung zu verschaf fen hatte. Aber Virtuosität war eben nicht alles; sie mußte sich der „gedanklichen Tiefe“ unter ordnen, und dazu bedurfte es eines sinfonischen Gewands. Wie aber sollte der Komponist jemals die recht zart klingende Violine einem großen romantischen Orchester gegenüberstellen. Als Brahms damals aus seinem Klavierkonzert eine „Klaviersinfonie“ gemacht hatte, war das unver gleichlich einfacher, weil dieses Soloinstrument volltönig und kraftvoll eingesetzt werden kann. | Es mag uns zwar erstau nen, daß Brahms, der Meister absoluter Musik, | insgesamt nur vier I Konzerte komponiert hat, doch die Schwierigkeiten, ein | Soloinstrument in seine sinfonische Denkungsart einzubeziehen, erschie nen ihm ungeheuer | schwierig. So entstanden tatsächlich nur zwei Klavierkonzerte, ein | Violinkonzert und das Doppelkonzert für Violine und Violoncello a-Moll op. 102 (1887).