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vrkoberrecktLcnutr: künk Türme-Verlag, Halle (Laaks). 4) ' Nachdruck verboten. «Was soll ich wissen, Mister Parkins?" „Aber wir haben doch das Haus meines Vetters Vai? Kostor verkauft. Hat Eva Ihnen das nicht ge schrieben ?" „Ich habe ja überhaupt keine direkte Nachricht von Eva in den ganzen Jahren erhalten. Und das hat mich aufrichtig betrübt." „Eva konnte in dem alten Hause die trüben Erinne rungen nicht loswerden. Jeder Winkel des Hauses hier war ja für sie erfüllt von dem Zusammenleben mit dem Vater. Schließlich sagte sie selbst: .Solange ich hier in der alten Umgebung bin, so lange werde ich mich mit dem Tod des Vaters nicht abfinden können.' So bedurfte es nur eines geringen Zuredens von uns, das Haus zu verkaufen. Wir haben ein Haus ein wenig abseits mehr nach Greenwich erworben. Es ist nur ein kleiner Besitz, denn Eva lebt die längste Zeit des Jahres in London selbst und wir mit ihr." Friedrich Borgloh war wehmütig zu Sinn. Da hatte er nun geglaubt, in das liebe, altvcrtraute Haus van Kosters zurückzukommen. Hatte sich gefreut auf die alt vertrauten Räume. Gewiß, auch ihm würde weh zumute gewesen sein, hätte er das alles ohne van Koster Wieder sehen müssen. Aber wiederum lebte man ja in der Erinnerung an einen Toten viel stärker, wenn die äußere Umgebung dieselbe geblieben war. Vielleicht konnte er sich eben als Mann nicht vorstellen, wie dies alles immer wieder auf die empfmölichen Nerven eines jungen Mädchens wirkte. Daß Eva fast das ganze Jahr das großstädtische Leben Londons PM idyllischen Dasein in der Kleinstadt vorzog, war ihm ganz eigentümlich. Sie hatte früher geradezu eine Abneigung gegen den Lärm Londons gehabt. Ver mutlich hing das aber auch mit ihrer Trauer zusammen. Sie wollte, sich gewiß durch die Großstadteindrücke Lon dons von ihrem Kummer ablenken lassen. Der Wagen fuhr weiter, hatte nun die Grenze des kleinen Vororts erreicht. Wellige grüne Rasenflächen tauchten auf. Das erste Gras stand auf den Weiden, üppig und jung. Wn fubrezi jie auf einer sauberen Chaussee, an deren Seiten Oostbäume ständem — ' . Tsie Knospen schwollen schon. Hier und da wagte sich schüchtern ein erstes Blütenblatt hervor. Der Weg ging mäßig aufwärts, um dann wieder abzufallen. In einer Hügelsenkc lag ein Park. Ein Haus im Stil der alt englischen Burgen wurde sichtbar. Ein Turm, von Efeu umsponnen, grüßte weit in das Helle Land. „Das'ist Berlcy Castle, unser Heim", sagte Mister Parkins und wies auf das kleine, efeuumsponnene Schlößchen. Das Auto fuhr durch ein schmiedeeisernes Gitter. Ein Hof tat sich auf. Er hatte in der Mitte ein großes Rund beet, auf dem einige wundervolle Blautanncn standen. Rechts und links der Einfahrt waren breite Rabatten von Frühlingsblumen. Die Sonne lag hell auf dem grauen Mauerwerk, ließ die Zinnen und den vergoldeten Wetterhahn oben auf dem Türmchen erglänzen. Mitten auf der Terrasse, in einem schlichten Weißen Kleid, stand eine Mädchengestalt. Ihr goldbraunes Haar flammte in der Sonne wie feuriges Gold. Sie stand da, schaute mit bangen Blicken den Ankommenden entgegen. In ihren Händen hielt sie ein kleines Veilchensträußchen. Eine tiefe Bewegung ergriff Friedrich. Dies scheue, holdselige Geschöpf, es war Eva. Und doch nicht Eva. Es hatte die braungoldenen Haare, die blauen Augen. Und doch, es war ein anderer, ein erwachsener Mensch. Hätte er nicht gewußt, wer ihm da entgegensah, er hätte Eva wohl nicht erkannt. Sie war schön, hinreißend schön geworden. Sie war eine Frau, die ein Mann heiß begehren konnte. Er fühlte, wie die brüderliche Liebe zu der kleinen Eva in ihm versank. Wie auch dieses erste Zärtlichkeitsgefühl des Mannes, das er am Abschieds abend vor drei Jahren gespürt, nichts war gegen das, was nun in ihm auflohte: Liebe. Verlangen. Leiden schaftliches Begehren. Noch ehe das Auto richtig hielt, hatte er schon den Schlag geöffnet. War herausgesprungen. Mit zwei Sätzen war er die alten, grauen Steinstufen emporgesprungen. Stand nun vor dem weiß gekleideten Mädchen. „Eva, kleine' Eva", sagte er. Heiße Glut lag in seiner Stimme. Heiße Gmi in »einen Augen, die die lichte Mädchengestalt leidenschaftlich umfingen. Eva van Koster hatte den Blick gesenkt. Sie schien von tiefer Scheu erfüllt. Ihre Stimme zitterte, als sie leise sagte: „Willkommen bei uns, FriedrichI" Die Hände, die dem Hcimgekchrten das duftende Veil- .yensträußchen entgegcnstrcckten, beb»-» Eln Jahr war vergangen. Professor Friedrich Borg loh saß mit sorgenvollem Gesicht vor seinem Schreibtisch. Ein vaar wissenschaftliche Broschüren lagen aujgeschlagen vor ihm. Er hielt noch den Bleistift in der Hand, um j < auf das daneben liegende Konzepipapier einige Noüze. Au machen. Aber er arbeitete nicht. Er zog gedankenlos Schnittke und Striche mit dem Stift. Der Ausdruck seines Gesichlc zeigte: er war mit seinen Gedanken bei ganz anderen Dingen, und bei nicht sehr erfreulichen. Und wirklich, er hatte keinen Grund, freudig gestimnu zu sein. Was war das nur mit Eva? Was war aus ihr in den Jahren seiner Abwesenheit geworden? Anders, ganz anders hatte sich sein Leben mit ihr gestaltet. Sehr bald nach seiner Rückkehr hatte er um sie geworben. Es hatte nicht des Wunsches von Evas Vater, seines ver ehrten, väterlichen Freundes, bedurft, um ihn zu dieser Werbung zu bestimmen. Er hatte sich kopflos in Eva verliebt. Und sie hatte ihm sehr schnell ihr Jawort gegeben. Seine Zukunft schien sonnig vor ihm zu liegen. Seine wissenschaftlichen Erfolge wurden mehr und mehr an erkannt. Eine auswärtige Universität ehrte ihn durch die Verleihung des Professorentitels. Schon kamen auch aus seiner Heimat Deutschland Anfragen, ob er nicht für immer nach Deutschland übersiedeln wollte. Eine An stellung an dem Hamburger Tropeninstitut, zugleich an der dortigen Universität, wurde ihm angetragen. Es zog ihn nach Deutschland. Aber er-mußte noch warten. Es waren noch zuviel Arbeiten abzuschließen, die er in Gemeinschaft mit van Koster begonnen hatte. Die Ausbeute seiner wissenschaftlichen Arbeiten und seiner wissenschaftlichen Unternehmungen am Sambesi gehörte überdies in erster Linie den englischen Instituten, die ja auch die Expeditionsgelder zur Verfügung gestellt hatten. Auch Eva hatte erklärt, sich nicht so schnell von England und ihren Verwandten Parkins trennen zu können. Er selbst hätte es ja sehr begrüßt, wenn er sich von den Parkins hätte etwas entfernen können. Er liebte sie nicht. Sie hatten auch nach seiner Rückkehr keinerlei Anstalten getroffen, das Haus zu verlaffen. Da Eva nichts sagte, war er viel zu feinfühlig, um selbst irgendwelche Wünsche zu äußern. Schließlich war ja alles Evas Eigentum. Berley Castle war ihr Haus und, auch das elegante Heim im Londoner Hyde-Park-VierkLl. Eva schien sich in den Jahren zwischen dem Tod des Vaters und seiner Rückkehr aufs engste an die Parkins angeschlossen zu haben. Friedrich begriff das nicht recht. Der alte Parkins war ein trockener, kalter Mann, klug, aber eigentümlich verschlossen. Frau Parkins, äußerlich eine Dame von Welt, sehr groß, sehr hager. Stets tadellos gekleidet. Aber mit einem schmalen, etwas bösartigen Mund. Sic paßte so gar nicht zu der weichen, schwärmerischen Eva van Koster, wie er sie von früher her kannte. Aber wer konnte wissen, was in den Jahren der Einsamkeit in einem Mädchen herzen vorgegangen sein mochte? Vermutlich hatte sie sich mit dem ganzen Ueberschwang einer vereinsamten Seele den einzigen Menschen genähert, die ihr nahe standen. Er konnte es nicht übers Herz bringen, seine Abneigung gegen die beiden irgendwie deutlich zu zeigen. So hatten sie denn immer bei ihnen gelebt. Sowohl Berlcy Castle wie auch das Haus hier in der Victoria Street war groß genug dazu. Die Parkins hatten hier wie dort einen Flügel ganz sür sich allein, aber das hinderte nicht, daß Eva jede freie Minute mit ihnen zusammensteckte. Er hatte zunächst freilich darauf bestände», daß er wenigstens das Abendbrot mit Eva zusammen allein cinnchmen konnte. Zum Lunch war er meistens nicht da, da er in London in wissenschaftlichen Instituten arbeitete. Aber Frühstücks- und Abendbrot wollte er wenigstens mit Eva allein verbringen. Im Anfang hatt^ sich Eva auch seinen Wünschen gefügt. Aber immer öfter war wie durch einen Zufall das Ehepaar Parkins „nur auf einen Augenblick", wie sie sagten, zur Zeit ihrer Mahlzeit erschienen. Friedrich hätte kein verliebter junger Ehemann sein müssen, hätte er seine entzückende Frau nicht sür sich allein haben wollen. Allmählich aber wurde er beinah froh darüber, daß er mit Eva nicht mehr zukiel allein war. Eva zeigte sich, sowie sie verheiratet waren, von einer ganz anderen Seite. Statt des stillen, feinen Mädchens, das sich für geistige und künstlerische Dinge interessierte, fand er plötzlich eine vergnügungssüchtige junge Frau. Sie wäre am liebsten jeden Abend äusgcgangen, und zwar nicht zu wertvollen Theaterstücken, sondern zu seichten Possen, Operetten, in Kabaretts und Tanzlokale. Sie interessierte sich nur für Toiletten und Modcschauen und gab dafür viel Geld aus. Was Friedrich aber weit mehr bekümmerte, war der geistige Zustand, der sich in all diesen« ausprägte. Wo war die Eva van Koster, die mit glänzenden Augen zu hörte, wenn er mit dem Vater die wissenschaftlichen Dinge besprach? Jene Eva, die den lauten Lärm und die äußer lichen Vergnügungen Londons stets abgelehnt hatte? Die ihr Glück und ihr Genügen fand in einem guten Gespräch, einem guten Konzert, schöner Musik und der Freud» an der Natur? Naturfreude hieß bei Eva jetzt nur noch daS Dahin ten in immer schnelleren Antos, Hetzjagden zu Pferde, ?Aotorboot-Kchlkurrenzen, Segeljachten, wobei es immer nur darauf ank'aM, die schönste Jacht zu haben und den ! ersten Preis ^'erzielem ' Forderte er sie einmal auf, mit ihm einen Spazier gang durch die liebliche Umgebung vock^Berley Castle zu machen oder einett AMlng Wachs dkei Dhcmse aufwärts, dorthin, wo idyllische kleine Dörfchen lagen, so lehnte sie ab. „Was sollen wir dort?" sagte sie dann und zuckte ab-, fällig die Schullern. „Dort ist ja nichts los. Dort ist ja j niemand von der Gesellschaft." Die „Gesellschaft" war für Eva plötzlich ein Götze ge- vorden, den man anbetete. Ihm opferte sie mtt immer euen Kleidern, mit immer neuen Vergnügungen. Um er Gesellschaft willen wurde ihr Haus zu einer Art Hotel, i dem immer neue Menschen kommen und gehen, iienschen, die auch keine anderen Interessen zu haben .Heinen als Kleider, Sport, Geld und Klatsch. Friedrich Borgloh war verzweifelt. Er mit seinem Sinn für die feineren Genüsse des Lebens litt tief unter der Oberflächlichkeit seiner Frau. Er hatte es mit allen Mitteln versucht, Eva wieder zu dem zurückzuführen, was sie früher gewesen. Ihm als Arzt war ja nicht unbekannt, daß gerade in den Jahren zwischen vierzehn und siebzehn sich Vic Menschen entscheidend wandeln konnten. Aber es wollte und ging ihm nicht in den Sinn, daß Eva sich von einem tief fühlenden, geistig strebenden Kind zu einer äußer lichen, herzenskalten Weltdame entwickelt haben sollte. Jedenfalls — seine Ehe war genau das Gegenteil von dem, was er sich einst in den einsamen Nächten drüben in dem fremden Erdteil erträumt hatte, »Vas er zu finden geglaubt, als Eva in vor kleinen, romantischen Torfkirche von Berley Castle ihre Hand in die seine gelegt. Gerade erst war es wieder beim Frühstück zu einer unerquicklichen Szene gekommen. Eva wollte durchaus mit einer größeren Gesellschaft nach Schluß der Londoner Saison im Juli für mehrere Wochen hinauf nach Schott land reisen. Der junge Lord Brendford hatte eine größere Anzahl Personen zur Lachsfischerei auf sein schottisches Besitztum eingeladen. Eva hatte angenommen, ohne ihren Mann vorher zu befragen. Heute beim Frühstück hatte er es so beiläufig erfahren. Zuerst hatte er heftig auffahren wollen. Aber dann hatte er sich bezwungen. Eva war die Tochter seines väterlichen Freundes, von dem er nur Gutes erfahren. Sie war die Frau, die er sich gewählt. An ihm »var es, sie so zu formen, wie er es sich erträumt. Er wollte nicht schroff und hart sein. Er wollte sie überzeugen von dem, was er für richtig hielt, aber nichf zwingen. So hatte er denn so ruhig wie möglich gesagt: „Du weißt, liebes Kind, daH es mir unmöglich ist, im September auf längere Zeit von London sortzugehen. Wir haben den internationalen Kongreß der Aerzte sür Tropenkrankheiten im Oktober hier. Ich bin hervorragend an den Vorbereitungen für diese Tagung beteiligt. Außer dem habe ich nach sehr viel zu tun, wenn ich meinen großen Vortrag richtig vorbereiten will. Es ist also un möglich, daß wir so lange nach Schottland gehen. Es wird mir schon schwer, im Juli mit dir für vier Wochen zu verreisen. Aber das habe ich dir versprochen, das will ich halten. Damit muß es dann bis zum Winter genug sein." Da hatte Eva heftig erwidert: „Genug! Immer genug! Vier Wochen! Es ist ge radezu lächerlich. Alle meine Freundinnen reisen, sowie die Saison hier vorüber ist, und kommen erst zum Winter wieder. Die ganze gute Gesellschaft Englands kennt das nicht anders." „Du mußt es dir abgcwöhncn, Eva, dein Vorbild immer nur in dem zu sehen, was die sogenannte .gute Gesellschaft,' tut. Wir sind Menschen für uns und müssen uns nach unsern eigenen Gesetzen richten." Mit blitzenden Augen hatte Eva erwidert: „Das will ich aber nicht. Das mag bei euch Deutschen gelten. Aber für uns ist die gute Gesellschaft immer noch das Vorbild. Im übrigen — wenn du nicht mitkommen willst, bleibe doch ruhig in London. Dann reise ich eben allein nach Schottland." Friedrich hatte verletzt erwidern »vollen, als sie dies „das mag bei euch Deutschen so sein" in scharfer und ver letzender Form gesagt. Aber als sie nun damit drohte, allein nach Schottland zu fahren, erschrak er. Dieser junge Lord Brendford war ihm nie sympathisch gewesen. Ein ziemlich oberflächlicher Mensch, der glaubte, mit seinem Reichtum und seinem hübschen Gesicht die ganze Welt erobern zu können. Er hatte keinen besonders guten Ruf in der Londoner Gesellschaft. Verschiedene Affären mit Frauen waren von ihm bekannt. Er hatte sich in der letzten Zeit Eva sehr auffallend genähert. Und Eva mit ihrer unersättlichen Neigung zu Flirt und Bewunderung hatte ihn nicht i» zurückgewiesen, wie Friedrich Borgloh cs von seiner Frau gewünscht und gehofft. Wenn auch Eva mit vielen anderen Gästen zusammen für die Herbstsaison nach Schloß Brendford Castle ge laden war — sie war doch damit nicht unter dem Schutze ihres Mannes. Unmöglich, daß sie dieser Einladung solgtc. So hatte Friedrich da^ Gespräch mit den Worten be endet: „Nun, d»i bist heute in schlechter Stimmung, kleine Eva. Wir wollen uns die, Sache gegenseitig nicht schwer mqchen — wir reden später noch einmal davon." Damit war er gegangen. Denn er wußte: wenn Eva ihre Eigensinnsmicne aufsetztc, war nichts mit ihr zu beginnen. "' . < lFortsetzung folgt.)