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Uikoberrscbtsscbutr: küak 1ü»no-Verlag, tialle (8aale) 61 Nachdruck verboten. In Gerdas Gesicht spiegelte sich der- Kampf ihrer Seele. Die Augen schienen unnatürlich groß, und über ihre Stirn flog es wie ein Schatten. Dann warf sie sich vor die Mutter und stöhnte: „Mutter! — Mutter, das kannst du von mir verlangen?* Es schien, als sei Frau Sibylle auch erschrocken. Doch dann lachte sie svöttisch. „Ich hätte nicht gedacht, Gerda, daß du eine solche Närrin bist. Laß dieses sentimentale Geschwätz, ich vcuke anders darüber. Und wenn du es noch einmal Haren willst: Ja, ich verlange es von dir!* . Frau Sibylle hatte sich auf neues Jammern Lhcer Tochter vorbereitet, aber sie sah sich getäuscht. Äerda sprang auf, und in ihrem Gesicht war etwas, wrwor dir Mutter erschrak. Sie warf den Kopf in den Nocken, und ihre Stirn bebte vor Zorn, als sie sagte: „So wird es das erste Mal sein, daß ich dir nicht ge horche. Meine Ehre ist mir um dein Vergnügen nicht feil.* Darauf ging sie. Oben in ihrem Stübchen aber fiel sie in eLnen Stuhl und weinte. Alle Beherrschung hatte sie verloren, und immer wieder schlug sie die Hände vor das Gesicht. Aus ihrer Brust kam cs wie ein Stöhnen: „Mutter — oh, warum hast du das ^tan! Warum hast du mit unbarmherziger Hand alles ^rstört? — Ja, ich weih nun, ich habe ihn lieb. Du hast mir ja in eigen nütziger Weise die Augen geöffnet. Dsmit aber hast du meiner Liebe das Todesurteil gesprochc-R. Vielleicht wären einmal unsere Seelen zusammengcslojlen — vielleicht!* Ihre Wangen waren von einer unnatürlichen Blässe, und der Glan; in ihren Augen war erloschen. Als sie in ven Spiegel sah, erschrak sie über sie Schlaffheit ihrer Gestalt Sie ritz sich zusammen. Ihr Stolz erwachte. Nein, ansehen durfte ihr das niemand. Was in ihr vor- ging, durfte nicht ven Augen der Menschen ausgesetzt sein. Mitleid brauchte sie nicht. Sobald es anging, mutzte sie aus diesem Hause; denn die Zeit, wo es sie über wältigen könnte, würde einmal kommen. Sie mutzte fort. -- . * Fritz Grovenstahl trat ans der Gietzerei. Dort waren eben die ersten Zylinderblöcke für einen rumänischen Auftrag gegossen worden. Infolge des jähen Wechsels, aus den von wcitzglühenden Stahlströmen grell erhellten Räumen in die Finsternis des Rovemberabends, waren seine Augen geblendet. Er stich gegen einen acht los stehengelassenen Karren. Aber er wurde darüber nicht unmutig. Gerade waren wieder einige Aufträge für kleinere Schiffsmaschinen eingegangen und hatten eine Erhöhung der Arbeiterschaft notwendig gemacht. O ja — er würde das Werk halten können. Wenn es auch lange dauerte, bis es ihm ganz gehörte. Aber auch diese Zeit mutzte kommen! Noch einmal wandte er sich um und sah nach der Gießerei zurück. Die lag im Dunkeln, und nur die F-nster leuchteten wie rote Augen in die Nacht. Als er das Haus betrat, schritt Gerda gerade die Treppe herab und wollte rasch an ihm vorüber in die Küche. Aber er hielt sie an. „Auf ein Wort, Gerda. Ich habe mit Ihnen zu sprechen.* Er öffnete die Tür nach seinem Zimmer und lieb ihr ven Vortritt. Gerda fühlte, wie sie am ganzen Körper bebte. Das war früher nicht gewesen. Dankbar nahm sie den gebotenen Stuhl. Fritz lehnte sich an den Schreibtisch und sprach: „Ich habe mich entschlossen, dem Drängen Mamas und meiner Schwester Sanna nachzugeben und ihnen das Geld zu einer größeren Reise zu bewilligen. Das heitzt: Ich will ihnen einen Vorschuß auf ihren Gewinnanteil geben. Ich tue es hauptsächlich Sannas wegen, um nicht eine unüberbrückbare Kluft zwischen ihr und mir zu schaffen. Sie mögen also nach Weihnachten reisen. Für die Zeit ihrer Abwesenheit wird Tante Marla bei uns Wohnung nehmen.- Diese Worte, so ruhig sie waren, lösten in Gerda einen Sturm von Empfindungen aus, und nur mit Mühe konnte sie sich zur Beherrschung zwingen, damit Fritz ihr die Erregung nicht ansah. Warum hatte er diese Worte nicht tags zuvor gesagt? Da hätte sie sich ihrer Mutter und Susannas wegen gefreut. WaS mußte nun ihre Mutter denken, wenn sie davon erfuhr? Sicher würde sie glauben, sie habe... Gerda dachte den Gedanken nicht zu Ende. Sie mutzte erröte». Doch Fritz deutete das falsch. „Ich sehe, daß Sie sich darüber freuen*, sagte er und trat an den Zeichentisch. Für ihn schien die Angelegen heit erledigt. Gerda erhob sich. WaS wollte sie noch hier? Sollte sie ihn vielleicht bitten: Laß mich mit, ich darf nicht länger in diesem Hause bleiben? Reinl Mit Susanna und der Rutter wollte sie nicht mit. Er hatte ja selbst nicht daran «dacht. Ihm schien eS selbstverständlich, daß sie zu Hause Meb, und er hatte ta auch recht. WaS war sie ihm denn? Ntm fremde Person, und nur um ihrer Mutter willen Wtuckdet. — Rein, so dachte er gewiß nicht. Da tat sie jihm wieder unrecht. Er hatte eS sie ja nie fühlen lassen. O Gott, würde das nun immer so sein? Wie sich diese wilden Gedanken in ihr auftürmten und das Band, das Ayc Stolz um sie geschlungen hatte, zu zersprengen drohte! Nein, bleiben konnte sie nicht. Es ging über ihre Kraft. Gleich wollte sie ihm sagen, daß sie fort mußte. — Zaghaft trat sie einen Schritt näher, aber ehe sie noch sprechen tonnte, wandte sich Fritz um und sagte unvermittelt: „Sie bleiben indessen unser liebes Hausmütterchen. Ich muß gestehen, daß ich die Ordnung, die unter Ihren kleinen Händen entsteht, nicht mehr misten möchte — und Tante Maria ist alt.* Die Worte, die Gerda im Munde hatte, blieben un- gesprochen. Stumm ging sie hinaus, in sich das Bewußt sein, daß sie bleiben würde. Warum? — Darüber gab sie sich keine Rechenschaft. Es mußte gehen. Sie verwarf die Bedenken, die sie vorher gehegt hatte. Freilich, schwer würde es sein, ihm unbefangen entgegen zutreten. Aber er war, kühl und ruhig, und an seiner Ruhe wollte sie sich aufrichten — sie sollte ihr ein Vorbild sein. War da« Leben nicht dazu da, daß man Opfer brachte!? * * Als Fritz Grovenstahl Frau Sibylle uns Susanna beim Abendessen von seinem Entschlusse Mitteilung machte, gab es zuerst ein erstauntes Schweigen. Dann aber sprang Susanna auf und fiel dem Bruder um den Hals. Sie bat ihn um Verzeihung, daß sie oft so garstig zu ihm gewesen war. Fritz sah aus Susannas Benehmen ihre ganze jugend liche Unbefangenheit. Frau Sibylle wies es sogleich von sich, erst nach dem Weihnachtsfeste zu reisen. Selbst das erste Konzert von Klaus, das Anfang Dezember stattfinden sollte, wollte sie nicht abwarten. Klaus nahm das mit großer Gleich gültigkeit auf. Seit sich in letzter Zeit die versteckten und offenen Angriffe der Stiefmutter gegen seinen Bruder gemehrt hatten, zog er sich von ihr zurück, und ihm war es recht, wenn Mutter und Schwester bald verschwanden. Dann gab es wenigstens für einige Zeit Ruhe im Hause, und er tonnte ungestört arbeiten... Fritz, der aus dem lauten Freuen und Jubeln seiner Stiefmutter und auch Susannas erkannte, wie wenig den beiden an ihm und auch an der Heimat lag, wurde bitter. Er konnte das nicht verstehen. Die Zärtlichkeit, mit denen man ihn jetzt überhäufte, schienen ihm nicht echt und waren ihm zuwider. So blieb er alle Tage bis in den späten Abend in der Fabrik. Auch Klaus war selten zu Hause. Als Fritz mit Maria Grovenstahl über die Reise ge sprochen hatte, war diese mißmutig geworden. „Das hättest du nicht tun sollen. Es wäre für Sanna gut gewesen, sie hätte gelernt, sich nach der Decke zu strecken.* „Aber sie ist ja noch jung, Tante Maria. Und nicht alle Menschen sind dazu geschaffen, zu verzichten*, ent schuldigte Fritz sein Tun. Die Tante schüttelte den Kopf. „Du bist dein eigener Herr und kannst tun, was du willst. Aber ich sage dir, es ist nicht gut. Sanna wird nun mit jener Frau allein sein und vergessen, daß sie eine Grovenstahl ist.* An einem der letzten Tage kamen rn;a und Kurt Rosch witz. Lisa hatte an Gerda Gefallen gefunden, und so be gleitete sie zuweilen ihren Bruder, wenn er den Freund besuchte. Klaus trug etwas vor, und Kurt stand neben Susanna, die ihm mit glühenden Wangen erzählte, wie sehr sie sich auf die Reise freue. „Fritz ist doch im Grunde genommen ein lieber Mensch — nicht wahr, Herr Roschwitz?* Der lachte. „Das wußte ich schon lange, und Sie haben doch hoffentlich nie daran gezweifelt?* „Manchmal fand ich ihn abscheulich', gestand Susanna. „So?!* sagte der Doktor und tat erstaunt. Dann meinte er: „Da wir einmal g.crade dabei sind: Wie finden Sie mich — im allgemeinen?* „Sie sind ein netter Kerl, Herr Doktor*, war die naive Antwort. „Sooo?* Er sah ihr lange in die Augen. „Und im speziellen?* Sein Blick machte Susanna verwirrt. Sie sah sich um, wie sie ihm entwischen konnte, aber es ging nicht gut. Susanna senkte verlegen den Kopf. „Das kann ich Ihnen heute nicht sagen*, gestand sie leise. „Warum?* fragte Kurt weiter, sich an ihrer Verlegen heit weidend. Susanna kam ein guter Gedanke. Uebermütig blitzten ihre Augen den Doktor an, als sie schnell sagte: „Ich werde es Ihnen schreiben — ja?!* Der Doktor war zufrieden. Aber er vergaß nicht, vor dem Fortgehen Susanna noch einmal an ihr Versprechen zu erinnern. „Nicht vergessen!* sagte er. Susanna sah ihn mit großen Ktnderaugen an und sagte leise: „Rein!* Seit diesem Tage trug Kurt Roschwttz eine große Un- ruh« mit sich herum. Ost genug zauberte ihm seine I Phantaste Susannas reizendes Gesicht votAugen, aKk^ immer, wenn er danach greifen wollte, zerrmm eS in est» Nichts. . * * Noch ruhiger war eS in dem kleinen Hause, geworden, seit Frau Sibylle und Susanna abgereist waren. DaS Leben ging wieder den gewohnten Gang. Maria Groven stahl hatte wortlos und schweigend ihr Amt angetreten. Anfänglich empfand Gerda eine Scheu vor der kühlen Frau. Aber diese schwand, als Maria Grovenstahl einmal in die Küche trat und ohne weitere Einleitung sagte: „Du gefällst mir, Kind. Wie heißt du?* „Gerda.* „So — Gerda? Ein neumodischer Name. Doch dafür kannst du nicht.* Die grauen Augen Maria Grovenstahls ruhten forschend auf dem Mädchen. Dann sprach sie weiter: „Du scheinst das Herz an der rechten Stelle zu haben. Nenne mich du und Tante.* In Gerda erwachte ein nie gekanntes Gefühl. Sie' empfand mit einem Male eine tiefe Zuneigung zu dieser Starken. Ja, die würde ihr eine Stütze sein in der Not. Impulsiv beugte sie sich vor Maria Grovenstahl nieder. Doch diese hob sie aus und sagte fast zürnend: „Das tue nie wieder. Man soll ven Menschen keine Ehre er weisen, die nur Gott allein gebührt.* Einmal ging Maria Grovenstahl mit Fritz nach dem Werk. Auf den Gruß der Arbeiter hatte sie nur ein stummes Nicken des Kopfes. Mit jedem Stück feierte sie ein Wiedersehen, und nirgends ging sie vorüber, ohne von Fritz eine kurze Erklärung zu verlangen. Vor einer großen Halle blieben sie stehen. „Die ist neu.' „Ja*, erklärte Fritz. „Erst vor zwei Jahren wurde sie gebaut. Hier liegen die neuen Brems- und Probestände.* Als Fritz sie wieder nach dem Hause geleitete, sagte sie: „Ich habe gesehen, daß mein Geld bei dir gut angelegt ist.' Des Abends saßen sie manchmal zusammen, und Klaus spielte. Dann wurden die Züge Maria Grovenstahls weicher, und ihre Augen schienen milder. Die Musik ergriff auch sie. Einmal sagte sie zu sich: „Auch Klaus wird ein Grovenstahl. Ich habe das nie geglaubt, aber ich sehe es jetzt. Er wird seinen Weg gehen.* Ihre Stimme wurde zum Flüstern, als sollte sie ins Ueberirdische hinüber- klingen: „Bruder Friedrich, deine Söhne werden stärker sein, als du es warst!* So verging ein Tag nach dem anderen in Gleichförmig keit. Nur einer hob sich daraus empor. Das mar der, an dem Klaus sein Konzert gab. Er selbst schien ruhig. Das Hastige, das sonst in seinem Wesen lag, war von ihm gewichen, und er lachte über die Aufregung der anderen. Was ihn aber diese Ruhe kostete, mit der er sich und die anderen täuschte, das ahnte niemand. In ihm brannte ein Feuer, angefacht von dem Willen, Hohes zu erreichen, und wenn dieses nicht gewesen wäre, hätte er verzagen müssen. Nun mußte es sich entscheiden, ob er ein Künstler war, ob er diese unergründliche Macht über die Menschen besitzen würde, die den Großen eigen ist. Am Abend war der Saal des Konzerthauses gut besetzt. In einer der ersten Reihen saßen Maria Groven stahl, Gerda und Fritz. Einmal hatte Gerda ven fast starren Blick Fritz Grovenstahls verfolgt und gesehen, daß in einer der nächsten Reihen Mary Negenhardt saß. So war ihr eine neue Waffe gegen ihre Liebe geworden. Beethovens „Appasssonata* stand auf dem Programm. Hell durchriß der Treiklang die Stille des Saales. Die feierliche Musik trug Leidenschaft und Begeisterung in die nach Verstehen suchenden Herzen. Schrill liefen die Sechzehntel zur Höhe — noch höher. Leise kam die Melodie aus dem Baß. Die Zurückhaltung des Großen, Gewaltigen prägte scharfe Kanten in das Gesicht des Vortragenden. Aber dann brach die Leiden- schäft hervor und ließ sich nicht mehr halten. Majestätisch zog das Thema durch den Naum und brachte die Seele zum Bangen. Mary Negenhardt konnte den Blick nicht von dem Spielenden lassen. Ihr Herz weitete sich und schlug ihm entgegen. Ihre Lippen aber sprachen leise, unbewußt die Worte: „Klaus Grovenstahl — ich jiebe dich!* Leise, fast ein wenig müde, kam das Andante — und brachte den Frieden. Es war die Entspannung nach dem Gewaltigen, Aufreißenden. Mildernd, trostspendend legte es sich auf geschlagene Wunden. Ein ungläubiges Staunen lag in dem Saale und die Frage: Woher war diesem blutjungen Künstler, der jetzt so ruhig, in sich versunken vor derN Flügel saß, das Ver stehen gekommen, um die hohe, von allem Kleinen freie „Leidenschaftliche* zn erfassen und so auszudrücken, wie es nur wenige der ganz Großen vermochten? Fritz Grovenstahls Auge ging von dem Bruder auf Mary Negenhardt. Fast war eS ein sinnlicher Blick, mit dem er ihre Gestalt umfing. Er sah, wie sich das Haar in ihrem Nacken kräuselte und die weißen Arme ihr ent gegenleuchteten. Ein Bild stand vor ihm auf, das ihm die Sinne vorzauberten. Er hielt Mary Negenhardt in den Armen — er küßte sie — fühlte das Leben in ihrer Brust, die an der seinen lag. „Du!* wollte er schreien, da zerrann die Gaukelet, und er floh den Gedanken — floh ihnen mit derselben Musik, die diese leise gebracht, und jetzt gleich Furien durch den Raum klang. Etwas, an das zu glauben er sich gescheut hatte, dessen Erfüllung aber, ihm selbst unbewußt, der Wunsch seiner Seele war, fiel in sich zusammen. Niemals werde ich... Er vertrieb diesen Gedanken, noch ehe er ihn zu Ende gedacht, und so blieb ihm nur Hoffnungslosigkeit und ein Beneiden des Bruders. Denn dieser würde einst glücklich werden. - Seine breite Brust hob sich.in einem tiefen Atemzuge. Es war gut so. Jetzt war er frei — jetzt erst gehörte er sich selbst. - (Fortsetzung folgt.)