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Nr. 170 Sim Skizze von Inge Hanne Lüders und Timm Kröser hatten sich so gezankt, haß sie einander nicht mehr ansahen. Dabei waren sie so gut wie versprochen gewesen. Den Winter über hatte Timm Kröser die Abendsuppe öfter bei Mutter Lüders gegessen ats in der eigenen Hütte. Im -Mai auf dem Tanzboden tanzte er nur immer mit der Hanne, solange bis sie nicht mehr konnte, und sie ein wenig vor die Tür treten mußten unter die Sterne, Atem zu schöpfen. Vor ihnen hatte dann das Meer gelegen, der bleiche Strand und dunkle Fischerboote hoch auf dem Sand. Timm Kröser gehörte das beste davon. In solcher Stunde sind sie sich einig geworden. Aber sie hatten vorerst noch niemand etwas davon gesagt. Es war ihnen noch ein Kostbares, das sie hüten wollten. Nun aber im Sommer, seit in der Giebelstube bei Lüders Herr Junghans wohnte und Timm auf dem Heuboden schlief, weil er die große Stube einer älteren Dame mit Tochter ein geräumt hatte, war alles plötzlich so anders. Die Tochter der älteren Dame hieß Dorit. Dorit trug rosa seidene Strandhosen und dazu gegen die Sonne einen Hut, dessen breiter Rand einen rosigen Schein auf ihr Gesicht warf. Sie wollte selbstverständlich schon am dritten Tag mit Timm frühmorgens zum Fischfang hinaus fahren uns die Sonne aufgehen sehen. Timm nahm sie auch mit um vier Uhr morgens. Aber es war ein kalter, trüber Tag, an dem die Sonne nicht durchdrang. Dorit kam verfroren und schlecht gelaunt zurück mit Teerflecken in den rosa Strandhosen. Aber das hatte man Hanne Lüders natürlich nicht erzählt. Nur das andere, daß die beiden allein im Boot draußen waren auf See. Hanne Lüders ließ an diesem Tage die Milchsuppe an brennen, und beim Geschirrtrocknen fiel ihr eine Tasse zu Boden und zerschlug in Scherben. Und das nur, weil Hanne gemeint hatte, Timm wäre soeben am Haus vorbei gegangen mit der aus der Stadt — das hatte ihr einen Stich ms Herz gegeben. Aber es war gar nicht Timm gewesen. Timm kam erst am Abend, als der Herr Junghans aus der Giebelstube gerade feine Sprechmaschine aufgezogen hatte und galant den Arm um Hanne legen wollte, sie einmal nach der Musik herumzudrehen. Da stand Timm in der Tür. Sein Schatten fiel breit in die Stube. Und da war es eben so gekommen, daß böse, häßliche Worte fielen und alles Schöne und Liebe vorbei war... Timm kam all die Tage nicht mehr, und Hanne Lüders hätte sich ruhig jeden Abend von Herrn Junghans herum» schwenken lassen können. Sie verspürte aber keine Lust mehr dazu. Nur zuhören mochte sie gern, wenn er erzäblte. Er wußte so lustige Geschichten aoends auf der Bank vor der Tür. Er trug weiße wollene Tennishosen, ein buntes Polohemd, und gebrauchte wohlri-chrnde Seife. Seine Hände waren weiß und glatt. Hanne mußte unwillkürlich an Timms Hände denken, und sie schämte sich heimlich für ihn. Was war denn schon Timm! Hanne verbrauchte viel Seife in dieser Zeit. Wenn sie nur wollte, konnte sie noch allemal so blank aus- schcn wie die Dorit aus der Stadt. Aber Timm? Nein! An Herrn Junghans würde er nie heranreichcn. , . ... Zschopauer Tageblatt und Anzeiger Stramm. verr Junghans brachte Hanna manchmal eine Tafel ' Schokolade mit, und einmal legte er sogar heimlich ein kleines, weißes Kästchen auf das Fensterbrett, und darin war ein Bernsteinanhänger an einem silbernen Kettchen. Hanne wurde es sehr heiß, als sie es sah. Nein, sie würde es nicht annchmen! Aber sie hatte eben einmal erzählt, daß sie solch einen Anhänger sehnlichst wünschte. Dabei verschwieg sie allerdings, daß Timm ihn ihr schenken wollte. Aber er würde den Bernstein dazu selber finden, und der sollte groß und klar sein und ein Mücklein aus Urzeit darin schlummern. Man fand selten solche Steine, aber nur der wäre schön genug sür Hanne, und sie wollten warten, bis sie ihn fänden; das sollte dann das Brautgeschenk sein. Hanne hielt den Anhänger vor den Spiegel, nur so rasch mal, ehe sie ihn Herrn Junghans wieder zurück gab. Ein Sonnenstrahl fing sich darin, es gleißte, daß der Glanz ihr in die Augen stach. Und dann behielt sie den Anhänger doch^ Am Abend hörte Hanne die Nebelhörner auf See. Sonst war sie dann immer noch zu Timm gelaufen, sich zu ver sichern, daß er auch daheim war und sie nicht Sorge um ihn tragen mußte. Heute suchte sie die Unruhe ihres Herzens zu verlachen. Es gelang ihr nur schlecht. In der Nacht kam der Sturm. Er riß an den Fenster läden. Regen peitschte in Böen auf das Dach. Am Morgen hatte es in der Stube des Herrn Junghans durchgeregnet, gerade auf das Bett und auf die weißen Tennishosen, die daneben über dem Stuhl gehangen hatten. Herr Junghans schimpfte über die „Bude", und Hanne waren die Tränen nahe. Am Mittag schimpfte der Fremde noch mehr, als er vom Meere zurück kam. Die Sturmflut hatte den halben Strand überspült. Die mühsam geschaufelte Sandburg war vernichtet, jeder von den bunten Fahnenwimpeln zerfetzt. Hanne ant wortete nicht mehr. Sie trug an anderen Sorgen. Wie sie hörte, hatte Timm am Morgen versucht, trotz des Sturmes hinauszufahren, die ausgelegtcn Netze und Angeln einzuholen. Vergeblich. Wenn der Sturm nun anhielt — und er konnte drei Tage dauern, wie der Nordost manchmal, wenn er so plötzlich kam —, waren Netze und Angeln verloren, zerrissen, versandet, ein böser Verlust... Hanne zwang es die'Hände im Gebet zusammen, obwohl sie eigentlich ja von Timm gar nichts mehr wissen wollte. Und der Sturm dauerte an. In der Nacht zum vierten Tag erst tobte er sich müde. Hanne Lüders trieb es früh an den Strand. In der Giebelstube packte Herr Junghans fluchend seine Koffer... Vom Strand ist nur noch ein schmaler Streifen da. Darauf liegen Trümmer von Strandkörben. Hanne denkt an Vater Krüger, der sie vermietete, der Verdienst dieses Sommers war verloren für ihn. — Fische liegen da mit ab gerissenen Köpfen, Treibholz, Tang. Das Meer leckt immer noch gierig bis an die Dünen hinan und umspült Hannes nackte Füße. Sie geht rasch. Dort hinten im flachen Master müht sich ein Mann, eines von zwei Booten höher auf den Sand zu schieben. Es gelingt ihm nicht allein. Er bleibt im Master stehen, erschöpft, mit gesenktem Kopf. Es ist Timm. seins (Urheberschutz durch E. Ackermann, Aomauzeutrule Stuttgart) Es stellen sich vor: Tischlermeister Ernst Weigel und Auguste, seine Frau, die beide den jähen Wechsel des Glücks, aber auch den Segen des Handwerks kennen lernen. Alfred, ihr Sohn, der vom Studenten zum Handwerker umsattelt und sich dabei er staunlich emporringt. Irma, ihre Tochter, die vielseitige Sportlerin — der Stolz der Familie. FrlßeKuhlekamp, Tischlergeselle bei Weigel, der überraschende Wandlungen durch macht. Hella Praetorius, das liebenswerte Pro- fefforstSchterlein, dem jeder Standes dünkel fernliegt. ErstesKapitel. In der großen, etwas protzigen Billa des Direktors Ernst Weigel, Inhabers und Seniorchefs der Möbelfabrik Ernst Weigel und Sohn, Berlin, Beteranenstraße, war großer Tag. Älle zwanzig Zimmer des Hauses, das inmitten eines großen Gartens im Vorort Frohnau lag, waren hell er- leuchtet. Auf dem Parkweg, der von der Straße zum Portal mit der Freitreppe führte, brannten bereits die Kugellampen auf den Granitsäulen. Im großen Speise saal, von dem aus breite Glasschiebetüren auf der Rück seite in den Wintergarten, auf der Vorderseite in das „Ar beitszimmer" des Herrn Direktors führten, waren die Zofe, das Hausmädchen und zwei Aushilfen gerade dabei, unter der Aufsicht eines Lohndieners letzte Hand an die Tafel zu legen, während in der Küche der dem großen Stadtküchenauto beigegebene Koch die Speisen fer tig machte. In ihrem Ankleidezimmer im Oberstock stand Frau Auguste Weigel und war bemüht, diesmal ohne Hilfe ihrer Zofe den Panzer eines Korsetts um den Leib zu zwingen. Sie war eine recht stattliche Frau, die sich im Glanz ihres Gelds sonnte und für die diese Empfangs tage den Höhepunkt bildeten. Eben trat ihr Mann in Hemdsärmeln aus seinem Schlafzimmer zu ihr. Seitdem sie vornehme Leute gewor den und der Tischlermeister sich in den Herrn Fabrik direktor verwandelt hatte, besaßen sie getrennte Schlaf räume. „Ernst, du wirst wieder einmal nicht fertig." „Herrgott, rasiert habe ich mich doch schon!" Sie achtete nicht darauf, daß der Mann ein mißver gnügtes Gesicht machte, während er jetzt versuchte, mit seinen derben, ausgearbeiteten Fingern die nun einmal den früheren Tischlermeister nicht verleugnen konnten, die weiße Krawatte um den dicken Hals zu binden, auf dem ein gutmütiges, breites, rotes Gesicht unter grau melierten Borstenhaaren in die Welt schaute. „Mach' mir doch mal die Taille zu!" '' „Aber mit Vergnügen!" Während er sich beniühte, die Knöpfe zg schließen, huschte ein wehmütiges Lächeln um sssineg Mund. „Du, Alte, mar es nicht eigentlich vißl netssp, wenn ich das früher immer getan habe? Angeschnagzt hast du mich ja feste, wenn ich zu ungeschickt wär. Aber wenn wir dann in den Kintopp gingen und nachher bei Aschinger unser Eisbein verzehrten — da war es doch viel schöner!" „Ich verstehe dich nicht. Jetzt bist du doch wer. Weißt du, daß heute sogar der Herr Hofrat kommen will? Und ich glaube, es gibt noch was besonderes: ich denke, der junge Herr Generaldirektor wird heute um unsere Irmin- trud anhalten. Denk' dir, wenn du so ans Glas schlagen könntest und sagen: ,Ich habe das besondere Vergnügen, Ihnen die Verlobung —' Herrgott, ich glaube, du hörst gar nicht zu?" „Nee, ich habe an den Kintopp gedacht und an Fritze Kuhlekamp, der dort immer so laut lachte, daß alle sich umschauten." „Sei froh, daß du jetzt andere Gesellschaft Haft." Er sah sie mit einem mitleidigen Blick an, den sie aber nicht beachtete. „Wenn d u nur vergnügt bist!" Die Tür wurde einen Spalt geöffnet, und ein jun ges, frisches Madel schaute herein. „Darf man —?" „Herrgott, Irmintrud, wie siehst du denn aus?" „Aber Ma, ich komme eben vom Flugplatz und habe noch pieinen Lederdreß an. Wie soll ich mich denn für den großen Kitt heute abend auftakeln?" Der B...er war inzwischen verschwunden, um seinen Frack zu suchen; die Mutter schüttelte den Kopf. „Was daL für Ausdrücke sind! Natürlich das Grün seidene." , „Meinetwegen." , ... LM. Donnerst««, de« L3. Inti US- Hanne steht schon neben ihm, den Rock hochgeschürzt: „Wart, ich Helf, zusammen schaffen wir's!" Timm sieht sie an. Sein Blick ist seltsam starr: „Es ist nur, daß es nicht gegen das andere geworfen wird. Sonst geht es auch entzwei. Das Geschirr ist all weg!" Mehr sagt Timm nicht. Hanne weiß genug, die meisten Angeln sind verloren. Aber Timm klagt nicht. So steht er da, braun, herb, verschlossen und starrt über das Meer, das dem Fischer gibt und nimmt. Ja, eines sagt er noch: „Gut, daß Du Dich schon vorher von mir abgewandt hast! Hast's leichter jetzt!" Da schluchzt Hanne auf: „So war das doch gar nicht gemeint, so nicht, Vater wird Dir schon Helsen!" „Helf mir schon allein jetzt. Es ist nur... es ist... ge rade jetzt, wo es zu spät ist, jetzt hab' ich den Stein gefunden nach diesem Sturm..." Timm stottert sehr und hält da etwas vor Hanne hin. Das ist ein Stück Bernstein, groß und klar, und etwas Schwarzes liegt darin versponnen, das wohl einmal ein Mücklein gewesen sein könnte. Und was tut Hanne da? Sie nestelt an ihrem Halstuch, und dann schleudert sie etwas mit hartem Ruck über die grauen Wasser, in denen es fern versinkt. Es ist der Bern steinanhänger von Herrn Junghans. Timm sieht sie fragend an. Hanne aber verbirgt den Kopf an seiner Brust. Da will Timm gar keine Antwort mehr. Da spürt er, daß er nicht mehr allein bleiben wird. „Freust Dich wohl doch arg über den Stein?" fragt er nur leise. „Ja", flüstert Hanne, „hat der Sturm doch auch Gute- für uns gehabt, dank Gott!" Aber sie denkt dabei gar nicht an den Bernstein... Timm aber begreift erst viel später, wieviel Gutes ihr» der Sturm trotz äußerer Not zurückgebracht hat. . . Bierlinge beglückwünschen Fünflinge. England besitzt zwar unter seinen jüngsten Staatsbürger» keine Fünflinge, aber Vierlinge, die kürzlich ihr erstes Semester vollendeten' und aus diesem Anlaß ob ihrer kernigen Gesundheit öffentlich gelobt wurden. Der Zufall wollte es, daß am gleichen Tage die Fünflinge eines französischen Städtchens ihre» Geburtstag feierten. Aus diesem Grunde sandten die jungen vier Engländer den fünf ein wenig älteren Franzosen ein Glück wunschtelegramm, das seilens der Fünflinge einige Stunden später ebenso freundlich durch ein ähnliches erwidert wurde Nun sind allerdings die englischen Vierlinge nicht mit den gleichen irdischen Glücksgütern gelegner wie ihre französischen jungen Freunde, immerhin können auch sie sich mit ihren bisherigen „Einnahmen" sehen lasten. Sie verdienten innerhalb der ersten sechs Monate ihres Erdenwallens den keineswegs zu verachten- den Betrag von rund 40 MO Mark, und zwar setzten sich ihre „Einkünfte" aus Honoraren für Film- und photographische Auf nahmen sowie aus Zeitungsanzeigen zusammen, die in irgend- einer Form auf den bisherigen Lebenswandel besagter Vieri-ng« empfehlend hinwiesen. Ta kann man nur jagen: So jung und schon so geschäftstüchtig! MW MM W WB. „Du, Irmintrud, komm mal her, mein Liebling —, ich glaube, du wirst heute abend noch sehr glücklich sein." „Na, na!" „Ich denke, der Generaldirektor wird um dich an halten." „Ach herrje!" „Daß du dich vernünftig benimmst!" Irma — seit man vornehm geworden, in Irmintrud umgetauft — war mit einem Sprung bei der Mutter und küßte sie auf die Backe. „Sei nur ruhig, Ma, ich werde sehr vernünftig sein, verlaß dich auf mich. Jetzt aber heidi! Da muß ich mich heute ja ganz besonders schön machen." Frau Weigel nickte ihr glücklich nach, als sie hinaus stürmte. Irma rannte die Treppe hinab und wollte aus der Garderobe ihre Handtasche holen, als eben ein junger Mann in blau.-r Arbeitsbluse einen großen Stuhl in die Diele stellte. „Nanu? Fritze Kuhlekamp! Was machst du denn da?" Etwas steif sagte der junge Mensch: „Ich bringe nur den großen Stuhl für die Tafel, Fräulein Weigel." „Was? Seit wann denn ,Fräulein Weigel'?" i „Aber —" „Quatsch! Du bist der Fritze und ich die Irma. So bleibt's. Uebrigens, Fritze, gehst du heute in den Kintopp?" „Glaube nicht. Mir ist nicht danach zumut." „Du, ich ginge viel lieber mit dir ins Kino, als daß ich hier den Zimt mitmache. Willst du was Neues wissen? Ich soll heute abend noch einen Antrag kriegen! Jawohl! Ein Herr Generaldirektor wird sich herablassen, mir seine Li?be zu gestehen. Wenn das nichts ist! Also — vergnüg ten Abend!" Sie hatte es ihm zugeflüstert und huschte mit ihrer Tasche wieder die Treppe hinauf, mährend der junge Mann ihr nachsah, die Achseln zuckte und dann traurig zur Tür hinausging. Als Irma oben das große Schrankzimmer durch eilte, das zu ihrem Iungmädchenstübchen in weißem Schleiflack führte, blieb sie verwundert stehen, denn eben schritt auf den Zehen ein junger Mann, den Ueberzieher und den Hut in der Hand, vorsichtig um sich spähend durch den Raum uni§ steuerte geradewegs auf das offene Fen ster zu. „Alfred, was machst du denn da?" Der Bruder erschrak, denn er hatte ihr Kommen nicht bemerkt und legte die Hand auf den Mund. „Nicht verraten! Ich türme!" Sie mußte sich zusamnreunehmen, um nicht laut auf zulachen. „Großartig! Aber Alfred, das geht doch nicht." „Glaubst du, ich habe Lust, hier mitairzusehen, wie wir veräppelt werden? Aus meinem Tisch liegt ein Züttel: ,Dienstlich abgerufen!' Born raus geht's nicht, also hier durchs Fenster. Runter am Weinstaket, durch den Garten, iiber'n Zaun, auf Fritze Kuhlekamps Lastauto und weg!" „Du mußt hierbleiben." lFortsetzung folgt),.