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ryre Fischerboote heranzuschaffen. Mertens und seinem Jungen gelang dies auch bald, das kleinere Boot von de Vries aber zerschellte an der Hausmauer. In diesem Augenblick der höchsten Not tauchte aus dem Dunkel der Wellen plötzlich der Bug eines größeren Bootes auf, Matrosenrufe erschollen zum Dach hinüber, und zugleich flog ein Seil im hohen Bogen vom Boot den Bedrängten zu. Die Verbindung war hergcstellt, wenn auch das Boot immer in respektvoller Entfernung blieb. Es gelang der Bootsbesatzung, nach und nach alle Be wohner zu sich herüberzuziehen. Als dann aber Eta beim Scheine der Bootslatcrne dem großen Seemann mit Südwester, der sie noch immer fest im Arm hielt, ins Gesicht sah, da schrie sie plötzlich laut auf und rief einmal über das andere: „Jmel, Jmel Mertens, bist du'S oder bist du's nicht?" — „Dat fall ick di later vertellen," kam es aus dem lachenden Gesicht zurück. „Aber zuerst ganz ruhig sein und alle tüchtig festhalten, denn das schwerste Stück Arbeit kommt jetzt erst/' Die Ueberfahrt zum großen Ostindienfahrer, der hier an ziemlich geschützter Stelle lag, gelang, und bald waren alle mit warmer Kleidung und Getränken versehen. Dafür sorgte schon Jmel Mertens, denn Eta de VricS hatte doch recht gesehen. Am andern Morgen aber erzählt« er, sie seien auf der Fahrt nach Emden, und er hätte, als er die furchtbare Brandung bei Fletum sah, den Käpten um die Erlaubnis gebeten, mit dem Boot den Bewohnern zu Hilfe eilen zu dürfen, was dieser seinem zweiten Steuermann, wenn auch schweren Herzens, gestattete. Nun waren alle den erbarmungslosen Weihnachts fluten der Nordsee glücklich entrissen, Jmel aber hielt Etas Hand fest umschlungen, und sie las es in seinen Augen, daß er sie nie wieder freigeben würde. Die zwei letzten Häuser von Fletum aber verschlang das Meer. Weihnachtswein. Ein stilles Geschichtchen. Bon Karl Lütge. Wendlands Ehe galt als unglücklich? und Vie bet« Hm Ehepartner wußten «S selbst kaum. Sie schritten «Swnetnander her durch Jahre, iahen sich, aber fühl« An sich nicht und empfanden nichts für einander als notwendiges alltägliches Zusammengehörigkeitsgefühl. Leid und Sorgen hatten zermürbt. Als Jour« Wütst fielen von Anbeginn der Ehe Fedor Wendland Schkme nicht in den Schoß. Er mußte unermüdlich schaffen, und zersplitterte sich dabei. Für die lebens« Ungrtge, hübsche sunge Frau blieb ihm wenig Zelt. Die Frau ertrug eS um so leichter, als bald ein fröh lich krächzender Stammhalter ttr der Wiege lag und Krem Leben Inhalt und Freude gab. Ms aber nach kurzem — allzu kurzem — Erdendasetn daS Kind ver« Karb, da kam das graue Gespenst, der Mißmut, wieder MW wich seitdem nicht mehr. Der Mann ging seiner Wege. Das gereizte, mür rische Wesen der Frau vergällte ihm das Heim und scheuchte ihn zum Stammtisch. Die Frau litt unter dem Alleinsein, und erkannte nicht, warum der Mann das Heim floh. Der Heilige Abend bedeutete für Fedor Wend land alle Jahre eine Qual. Er konnte an diesem einen Abend im Jahre nicht an den Stammtisch gehen. Er traf dort niemand. Am Heiligen Abend saß alles daheim bet Weib und Kind oder bet nahen Der- »sandten. Mit verkniffenem Gesicht lehnte er aus dem Sofa, starrte in die Zeitung, ohne sie zu lesen. Die Frau häkelte an zwecklosen Deckchen, die, niemandem zur Freude, in einem Schrankfachs ein nutzloses Dasein fristen würden. Die Zeit der Bescherung war herangerückt. Die beiden Eheleute wußten es nicht. ES gab bet ihnen seit dem Tode des Kindes weder einen Baum noch Geschenke. Gleichförmig tickte die kleine Uhr aus dem Sims und trug zur unfestlichen Nüchternheit mit ihrer: Geschäftigkeit aufreizend bei. Da schrillte in die Unbehaglichkeit die Flurglocke. Die Frau seufzte aus. „Wenn man wenigstens am Heiligen Abend von den Leuten in Ruhe gelassen würde!" Sie meinte die Flurnachbarn, die sich ab und zu um sie in ihrer fröhlichen Art kümmerten. Fedor Wendland erhob sich lässig, ging zur Flur- tür, in der Absicht, der Fröhlichkeit der Nachbarn zu wehren. Es waren aber nicht die unwillkommenen Freunde. Ein Bote einer Wetnhandlung stand vor der Tür. Er brachte zwe; Flaschen Wein. i „Habe nichts bestellt," wehrte Wendland schrofs ! ab. „Es stimmt schon. Ich soll die zwer Flaschen ! bloß abgeben. Eine Uederraschung soll es nämlich für St« sein!" „Irren Sie sich auch nicht in der Adresse?" „Nein, nein!" Der Bursche bekam ein reichliches Trinkgeld und trollte sich. Fedor Wendland nahm die zwer Fla schen Weihnachtswetn und brachte sie ins Wohnzimmer voll froher Erregtheit. Aber der der gleichgültigen Gelassenheit der Frau fiel er in stumpfen Gleichmut - zurück. j Unberührt stand der Wein aus dem Tisch. Man I sah über ihn hinweg und sprach nicht mehr über ihn. Fedor Wendland hielt wieder die Zeitung vorS Gesicht und laS nicht m ihr. Die ganze Trostlosig keit seiner Ehe Übersiel ihn schmerzend. Wie weit war es gekommen! Wenn es einen Tag tm Jahr gab, wo alles Leid und aUeS Sorgen der Vergessenheit ' anheimzufallen hatte, dann war es die Weihnacht , Da, aus dem Tische stand als festliches Zeichen Weihnachtswetn, gespendet von einem unbekannten Freunde, der Freude zur Weihnacht bereiten wollte. Wie konnte daran-vorübergegangen werden? Wendland sprang aus, holte zwei Gläser. Der Wein funkelte In den Gläsern. „Trink " Ohne Freude nahm die Frau Vas angebotene Glas und trank. Aber der ungewohnte Wein belebte. Ihre Wangen röteten sich. Sie nippte ein zweites Mal. Und dann legte sie die Häkelet beiseite. Der Mann sah die Veränderung voll Verwund derung. Wie hübsch Vie Frau im Grunde wark „Wollen wir's uns nicht weihnachtlich machen?'* Die Frau wurde lebhaft. „Wenn du glaubst " Es war noch einmal so freundlich im Zimmer, als ein nie benütztes weißes Tischtuch aufgelegt war, und der Niersteiner in zwei guten, nicht zu täg lichem Gebrauch verwendeten Gläsern funkelte, als Wendland lebhaft erzählte, wie er es seit Jahren nicht getan und die Frau ihm lauschte — — So fanden sich an diesem Abend Fedor Wend land und seine Frau wieder. Nicht allein durch deq profanen Wein, — der gespendete Wein hatte den letzten und eigentlichen Anstoß gegeben — die Not wendigkeit des Sichwiederfindcns, der beiderseitige Wille war immer dagewesen — und mußte nun geweckt werden. * Spät hatte es nochmals geklingelt. - Sie öffneten nicht. Und erfuhren so erst anderntags, daß der Bote der Weinhandlung die beiden Flaschen Niersteiner vet ihnen versehentlich im zweiten Stock rechts, statt im dritten Stock abgeliefert hatte. Nur Vas ist Weihnacht . . . Nur das ist Weihnacht, wenn die Liebe zündH Im Schmerzensgrunde noch ein Gnadenlicht, — Nur das ist Liebe, die zur Heimat findet, Wenn sie tn Leid und Tränen also spricht; „Und ob du mich auch bis zu Tod betrübt, Und ob aus deiner Stirn selbst lischt das Licht, Die Liebe, die mit tausend Schmerzen liebt Steh, solche Liebe, ach, die läßt dich nicht. Die liebt selbst deine Schuld; — und wenn du kämst Nur einmal zärtlich, wie es Liebe tut; — Und wenn du mich tn deine Arme nähmst, Dann wär' ja alles, alles wieder gut . . Wer so der Liebe Allmacht rein empfindet, Ste gralhast hebt aus dunkelttesster Pein, Dem ist ein Gotteslichtlein angezündet. Dem wird tm Herzen wahrhaft Weihnacht sein . ., Eugen Stangen.