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Weitzsriy Zeitung Montag, am 12. August 1829 95. Jahrgang Nr. 186 genug. oer das des N In allen Stadtteilen der Reichsmetropole wurde Sonntag, der offizielle Festtag, eingeleitet durch Wecken der Tambourlorps und der Kapellen Reichsbanners Schwarz-rot-gold. Um 9 Uhr fand im Zirkus Busch eine republikanische Jugendkundgebung statt, bei der u. a. Reichstagspräsident Löbe und Neichs- tagsabgeordneter Ernst Lemmer sprachen. Um 10,30 Uhr traf die Korsofahrt der republikanischen Motor radfahrer vom Tiergartenhof Unter den Linden ein. Um 11,30 Uhr erfolgte dann der Nach Beendigung der Feierlichkeiten nahm deit Reichspräsident mit Rücksicht auf den Reichsbanner- Festzug den Rückweg diesmal vom Platz der Republik aus vorbei an der Ehrenkompagnie durch die Friedensallee und Friedrich-Ebert-Straße. Während der Feierlichkeiten spielte die Hauptkapelle der Berliner Reichswehr vor dem Reichstag aus dem Platz der Re publik. Die beiden übrigen Reichswehrkapellen konzer tierten im Schöneberger Stadtpark und in Lankwitz. Abends fand das traditionelle Festbankett der Reichsregierung statt. In den verschiedenen Opern wurden Abendfeiern veranstaltet. Im deutsche« Stadion veranstalteten um 4 Uhr nachmittags die Reichsregie rung, die preußische StaatSvegierung und die Stadt Berlin ein Festspiel unter Mitwirkung von 5600 Schul kindern, dem Deutschen Arbettersängerbund, dem Ver band Brandenburgischer Athlettkvereine, Liselotte Bail und ihrer Gruppe, den Vereinigten Kapellen der Schutz polizei, zwei Kapellen des Reichsbanners Schwarz-rot- gold, Fanfarenbläsern der Staatsoper usw. Während des Nachmittags fand aus dem Tempel hofer Feld ein Volksslugfest, abends im Lustgarten ein Volkstanzsest statt. Chronik des Tages. — Aus Anlaß des zehnten Jahrestages der Weimarer Verfassung fand am Sonntag im Reichstag eine Feier statt. — Der^Graf Zeppelin" hat den Ozean in 65 Stun den und 23 Minuten überquert und damit einen Weltrekord aufgestellt. — Reichsaußenminister Dr. Stresemann hatte im Haag eine neue Besprechung mit Briand. — Der Bremer Pilot Edzard ist auf dem Flugplatz Neuenlande bei Bremen gestartet, um den Weltrekord im Leichtflugzeugstreckenflug zu brechen. — Am heutigen Montag soll in Berlin der große Prozeß gegen etwa 30 Banderolenfälscher beginnen, die das Reich um viele Millionen betrogen haben. — In Hundorf an der oberösterreichischen Grenze sind durch einen leichtsinnigen Zigarettenraucher fünf Bauernhöfe eingeäschert- worden. Auftakt zur Verfassungsfeier. Kundgebung der Schulen im Berliner Lustgarten. — Feier in der Frankfurter Paulskirche. Den Auftakt der Feiern aus Anlaß des zehnten Jahrestags der Reichsverfassung bildeten in Berlin die Kundgebungen der Schulen. Im Lustgarten fand eine gemeinsame Verfassungsfeier der Schulen des Be zirks Mitte statt. Siebzehntausend Schulkinder und ,1800 Lehrer kamen in langen Zügen unter Vorantritt von Musikkapellen und schwarz-rot-goldnen Fahnen zum Festplatz. Nach musikalischen Darbietungen hielt Rektor Kellermann die Verfassungsrede. Aehnliche Schulfeiern fanden im Reiche statt; auch die kommunalen Körperschaften hatten Einladungen ergehen lassen. In Frankfurt a. M. fanden sich Vertreter der Reichs-, der Staats- und der städtischen Behörden mit Vertretern der Bürgerschaft in der Paulskirche zu einer Feier zusammen. Nach einem Orgelspiel hielt Chef redakteur Dr. Scharp die Festrede. Die Feier schloß mit einem Hoch auf das Vaterland und mit dem Gesang des Deutschlandliedes. Ein Aufruf des rheinischen Oberpräsidenteu. Der Oberpräsident der Rheinprovinz, Dr. Fuchs, erließ einen Aufruf zum Verfassungstag, in dem es heißt: „Mit Stolz können wir uns heute wieder als Bürger eines gefestigten und geachteten Staates fühlen, in dessen Schutz Glück und Wohlfahrt des Volkes wie der entstehen werden. Wenn heute deutsche Gaue sich anschicken, den zehnjährigen Geburtstag der Verfas sung festlich zu begehen, so besteht für die rheinische Bevölkerung Anlaß zu besonders dankbarem Gedenken. Die Nheinlande wissen, daß die ihnen durch den Ver sailler Spruch aufgebürdete besondere Not Wider hall und Verständnis bei Reichsregierung und Land gefunden hat, und daß Regierung und Parlament be müht gewesen sind, der Not nach Kräften zu steuern." Friede darf nicht zur Kirchhofsruhe führen. Aber der Kampf, den wir führen wollen, darf nichts an- < deres sein als der edelste Wettbewerb um die besten - Methoden zu Höchstleistungen auf politischem, wirt- : schaftlichem und kulturellem Gebiet." Zum Schluß mahnte der Minister zur Einigkeit und schloß mit den Worten: „Der 11. August, ur- r sprünglich eine Verfassungsfeier, heute schon ein Tag ; der Republik und der Republikaner, und morgen : und in Zukunft ein Tag der Nation!" ! Reichswehrminister Groener gedachte pietätvoll ! der Vergangenheit und gelobte als Vertreter deL ! Reichskanzlers im Nanien der Reichsregicrung, für du > Gestaltung unserer Zukunft das Beste einzusetzen. Die - Einigkeit des deutschen Volkes sei unser wertvollstes Gut, deutsche Arbeit, deutscher Fleiß und der Lebens wille des deutschen Volkes gewährleisteten uns dal Recht auf einen gesicherten und geachteten Platz in, Leben der Völker. Der Minister gedachte mit warmen Worten des ersten Reichspräsidenten Ebert, sprach den jetzigen Reichspräsidenten den Dank des Volkes aus , und schloß mit einem Hoch auf das Deutsche Reich. Ter Feststellungsausschuß ist aber nicht nur twer flüssig, er ist auch gefährlich. Tas deutsche Volk will endgültig aus der Aera der Kontrollen und der Sanktionen heraus, cs will in Freiheit leben und schaffen und niemanden hörig An. Wir haben zehn lange Jahre hindurch erduldet und gelitten, unter Ge walttaten und Verdächtigungen, um n^ rettung der Gewaltpolitik ln das zweite Jahrzehnt der Nachkriegszeit erbittertsten Widerstand entgegenzusetzen. Erzwingen kann Frankreich die Kontrollkom mission nicht, und freiwillig werden wir einer ewigen Kontrolle oder einer Kontrolle über 1935 hinaus nicht zustimmen, weil wir nicht unsere Hand dazu bieten wollen, aus der Verdächtigung Deutschlands für einige Männer einen Beruf zu machen. Die Kontroll-Gefahr. Es gibt nur ein Nein! — Berlin, 12. August. Zugleich mit der Finanzkrisis der Haager Konfe renz sind auch die politischen Verhandlungen in ein entscheidendes Stadium getreten. Unter dem Vorsitz Hendersons erörterte der Politische Ausschuß die Frage der Einsetzung der von Frankreich verlangten „Fest-, stellunas- und Versöhnungskommtssion" für das Rheinland und beauftragte die Juristen der Auswärtigen Aemter mit der Prüfung der Rechtslage. Ter politische Ausschuß wird danach am heutigen Mon-, tag erneut eine Sitzung abhalten. Tie letzte Entwicklung der Dinge im Haag ist für Deutschland nicht ohne Gefahren; man darf jedoch zu der deutschen Delegation das Vertrauen haben, daß sts fest bleiben und in der Kontrollfrage den Franzosen ein eisernes Nein entgegensetzen wird. Verhandlungsgrunvlage ist das Genfer Pro tokoll vom September 1928. Tie Vertreter Deutsch lands, Englands, Frankreichs, Italiens, Japans und Belgiens kamen darin überein, gleichzeitig über die end-, gültige Lösung der Reparationssrage und die Räu mung des Rheinlandes zu verhandeln und in einen! Meinungsaustausch über einen Feststellungs- und Ver söhnungsausschuß einzutreten. Deutschlands Zustimmung zu einer Erörterung des AusschußplaneS wird vielfach als verfehlt bezeich-, net. Vielleicht mit Recht; aber eine — auch nur grund sätzliche — Zustimmung zu dem Ausschußplan kann man aus der deutschen Einwilligung in eine Dis kussion nicht herauslesen.' Tatsache ist vielmehr, daß! die Frage der Einsetzung eines Kontrollausschusses, denn darum handelt es sich doch letzten Endes, im September-Protokoll offenblieb, und Tatsache ist fer ner, daß über die Funktion des Ausschusses, seins Zusammensetzung, seine Dauer und seinen Sitz nicht eine einzige Verabredung besteht! Niemand kann also Deutschland das Recht be streiten, den Kontrollausschuß abzulehnen. Und der Kontrollausschuß muß abgelehnt werden! Man überlege einmal: Im Interesse der Befreiung des deutschen Bodens hat sich die Reichsregierung für» die Annahme des Youngplanes entschieden. Jetzt sol len wir nicht nur zahlen, sondern auch noch politische Opfer bringen, nämlich unser Ja zu einem Köntroll- apparat für das Rheinland. Und dabei ist die Kölner Zone seit drei Jahren von jeder Besetzung frei, und die Koblenzer Zone muß am 10. Januar 1930 ge räumt werden, nach Recht und Vertrag, ohne jede Gegenleistung. Eine Regierung, die in dieser Lage in eine ewige Kontrolle der noch besetzten dritten Zone einwilligen und die die zweite und erste Zone erneut in den Zustand einer Ueberwachung zurückwer fen würde, würde durch einen wahren Volkssturm ein fach hinweggefegt werden! Frankreich versuchte nun, uns den Kontrollplan dadurch schmackhaft zu machen, daß cs eine doppel- settige Kontrolle anregte. Tas sieht auf den ersten Blick gerecht aus, ist es aber nicht, weil es ja in Frank reich nichts zu kontrollieren gibt. Frankreich ist nicht entwaffnet und hat keine cntmilitürisicrte Zone. Wie überflüssig die Kontrollkommission ist, geht daraus hervor, daß in den drei Jabren mit d"' Räumung der Kölner Zone nicht ein einziger Fall eingetreten ist, der bas Vorhandensein cunr „im.- stellungs- und Versöhnungskommission" wünschenswert erscheinen ließ. Wenn aber tatsächlich einmal Diffe renzen in Erscheinung treten sollten, dann bieten der Locarnopakt und die Völkerbundssatzungen Handhaben Gesamtaufmarsch des Reichsbanners Schwarz-rot-gold im Lustgarten. Stundenlang dauerte der Zug durch die Haupt-Feststraßen. Eine dichte Reihe von Flag gen umsäumte die Linden. Sie trugen oben den stili sierten Reichsadler und liefen dann in die Farben der Republik aus. Aus dem Pariser Platz, dort, wo die Straße Unter den Linden auf ihn einmündet, hatte man ein Ehrenmal für die Toten des Weltkriege» errichtet. Auf einem wuchtigen Sockel, der die ganze Breite des Mittelteiles der Linden ausfüllte, erhoben sich drei Türme. Das Mal trug die Inschrift: „Allen Toten des Weltkrieges". Auf einer Tribüne, die zwischen der Aula der Universität errichtet war, hatten die Ehrengäste und der Bundesvorstand des Reichsbanners Platz genom men. Bundespräsident Otto Hörsing hielt die An sprache, und dann zogen die Retchsbannerleute an der Tribüne vorbei, huldigten stumm vor dem Kenotaphium den Toten des Weltkrieges und begaben sick» dann in ihre Versammlungslokale. Die Reichsregicrung leitete den Festtag mit einem Gottesdienst in der Drei faltigkeitskirche ein, an dem u. a. auch der greise Reichspräsident teilnahm. Um 12 Uhr begann dann in Anwesenheit Hindenburgs der Festakt im Reichstag» In der Eingangshalle zum Portal II, dem Haupt eingang für die Ehrengäste, war eine Büste von Hugo Preuß aufgestellt worden: „Gruß an den Schöpfer der Verfassung von Weimar, der den Reichspräsiden ten Ebert ständig zur Verfassungsfeier in den Reichs tag begleitete und mit ihm den Platz in der Ehrenlogi einnahm". Ansprachen hielten Reichsinnenminister Seve. ring und Reichswehrminister Gröner. Die Reden bei der Feier im Reichstag. Reichsinnenminister Severing gab einleitend der Hoffnung Ausdruck, daß es den Bemühungen der Staatsmänner der ganzen Welt im Haag gelingen, möge, daß Problem der Völkerverständigung durch zuführen. Trotz der ernsten Sorgen, die das deutsche Volk bedrücken, sei aber dennoch der heutige Tag ein Tag der Freude, die notwendig sei, weil wir den Weg in die Zukunft mit Hoffnung zurücklegen wollen. Red ner fuhr dann fort: Wer das Gute der Vergangenheit nicht ehrt, is! einer besseren Zukunft nicht wert. Auch unter der alten Staatsform haben wir Großes erlebt, und auch die Demokratie von Weimar ist im alten Staatswesen entstanden. Aber wenn wir das Gute der Vergangen heit ehren, dann dürfen wir erwarten, daß auch die jenigen, die noch mit ihrem ganzen Gefühlsleben in der Vergangenheit wurzeln, dem Neuen Ehrfurcht ent gegen bringen. Die Verfassung von Weimar hat Großes geleistet, hat vor allem die Arbeiterschaft zum Staate geführt, hat der Arbeiterschaft das Gefühl bei gebracht, daß dieser neue Staat auch ihr Staat sei Nachdem der Minister dann die Ziele der repu blikanischen Verfassung auf dem Gebiete der Wirt schaftspolitik geschildert hatte, wandte er sich gegen den Vorwurf, daß die Republik nicht einmal in der Lage sei, wenn sie die Verständigung der Völker er strebe, den inneren Frieden in Deutschlands Grenzen herzustellen. „Ich weih nicht, was man unter dem inneren Frieden in dieser Beziehung verstehen soll. Innerer Der Feiertag der Republik. 10 Jahre Weimarer Verfassung. Der Sonnabend leitete überall im Deutschen Reiche die Verfassungsfeiern ein. Die Neichshaupt- stadt stand in diesen Tagen gleichzeitig im Zeichen des Bundcsaufmarsches des Reichsbanners Schwarz-rot- gold, so daß sie einen Massenbesuch aufzuweisen hatte, den reicher Flaggenschmuck grüßte. Vor der Westfront des Reichstagsgebäudes fand am Sonnabend der große Zapfenstreich »es Reichsbanners statt, dem ein Konzert der Vereinigten Kapellen des österreichischen Schutzbundes vorausgegangcn war. Zu gleich fand eine große Kundgebung für den Einheits staat statt, bei der General Deimling die Ansprache hielt. Er verlangte die Rationalisierung der Verwal tung und eine territoriale Neugliederung des Reiches im Sinne der Vereinheitlichung. Diesen Veranstaltun gen schloß sich ein Empfang der Ehrengäste durck, dm, Bundesvorsitzender: im „Rhcingold" an. In der Kroll-Opcr gestaltete sich die Verfassungsfeicr des Reichsbanners zu einer zahlreich besuchten Festversammlung an der auch Vertreter der Reichs-, Staats- und städtischen Be hörden teilnahmen. Ministerpräsident a. D. Stel ling, Mitglied des Bundesvorstandes, betonte in seiner Ansprache, das Fundament des neuen Staats wesens stehe fest, die Republik.sei gesichert. Er ge dachte der toten Führer der Republik und warnte die Gegner von rechts und links, gegen die heutige Staats form anzustürmen. Von den weiteren Ansprache« sei die des Reichs- Minister» Dr. Severing »och erwähnt, der ansfnhrtc, es wäre psychologisch nicht richtig gewesen, wen» das Reichsbanner angesichts der Terrorakte von links u::v rechts gerade in diesem Jahre still ausgetreten wäre. ES werde da sei», wenn es den Gegnern einfalle» sollte, ihre Trohnngc» in die Tat nmz»setzen. Lie Staatsmänner der anderen Länder sollten wisse», daß der Wille des dentsche» Volkes seinen Ausdruck in der Demokratie findet. Namens der Gewerkschaften entbot Leipach vom Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund dem Reichs banner den Freundschaftsgruß. Feier der Eisenbahner - 3'n, Rahmen der Veranstaltungen des Reichsban ners anläßlich des Verfassungstages versammelten sich am Sonnabend die republikanischen Eisenbahner Deutschlands und Oesterreichs zu einer Kundgebung im Zirkus Busch brächte Wien betonte die unver ¬ brüchliche Zusammengehörigkeit des deutschen und des österreichischen Volkes und sprach die Hoffnung aus, , daß Deutsch-Oesterreich bald ein Bestandteil der deut- ! scheu Republik werden möge. Reichstagsabgeordneter - und Vorsitzender des Einheitsverbandes der Eisenbah- i ner Deutschlands, Franz Scheffel, betonte, die deut schen Eisenbahner seien sich bewußt, was die Republik ' und ihre freiheitliche Verfassung in politischen und j sozialen Fortschritten gebracht habe und was sie ihr ! deshalb schuldig seien. Die Feiern am Sonntag.