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- W SP' L k p- Daß Dora ihm wirklich angehören wollte, daß sie seinetwegen Hans aufgab, hob sein Selbstvertrauen gewaltig. Er wußte auch, daß sie ihm Glück brachte. Dora war schön und klug, Eigenschaften, die ihm beim Emporkommen unendlich nützen konnten. Dora konnte überhaupt nicht denken. Sie wandelte wie im Traum. Sie hörte wohl das leise Rauschen der weißen Seidenschlsppe auf dem Kies, Lachen, unter drücktes Geplauder, aber von Zeit zu Zeit griff sie doch an ihre Stirn, um sich zu überzeugen, daß dies kein seltsamer Spuk, sondern Wirklichkeit war. Jetzt aber machte sie eine Bewegung,, die freudige Ueberraschung verriet. Sie hatte Mabel mit ihrem Vater erblickt und eilte, glücklich, bekannten Gesichtern zu begegnen, auf sie zu. Aber hatte Mabel sie denn nicht gesehen? Un mittelbar vor Dora und ihrem Begleiter bogen die Amerikaner in einen Seitenweg ein. Ruhig sprechend schritten sie weiter. Dora eilte ihnen nach. „Mabel, erkennst du mich denn nicht? Guten Abend, Mr. Barnay. Mabel!" Jetzt hatte sie beide eingeholt. Die Amerikanerin sah in dem durchsichtig feinen, in weichen Falten fließen den Kleide von rosa Chiffon sehr vornehm und lieblich aus. Ein großer Florentiner, dessen weiße Feder mit einer Brillant-Agraffe befestigt war, beschattete ihr zartes Gesicht, das in diesem Moment einen kühl abwehren den Ausdruck hatte. „Sie befinden sich in einem Irrtum, gnädige Frau", sagte sie, ohne mit der Wimper zu zucken, „wir kennen uns nicht!" Dora hatte so viele huldigende Blicke quf sich ge lenkt und war so stolz und freudig erregt, daß kein Gedanke sie an Mann und Kinder, an die verlassene Häuslichkeit erinnerte. Sie begriff nicht sogleich, glaubte, sie werde in ihrem vornehmen Festgewande, das sie um viele Jahre jünger und schön wie eine Juno er» scheinen ließ, nicht erkannt. Lachend legte sie ihren Arm um Mabels Hüften. „Habe ich mich denn so gewaltig verändert, daß du mich nicht wiedererkennst?" Bittner war näher gekommen. Ein rascher Blick hatte ihn überzeugt, daß niemand in der Nähe war, der etwas hören oder die Szene beobachten konnte. Aber wie kam Dora dazu, eine jo grenzenlose Torheit zu begehen! Das hätte ja ein offener Skandal werden können, der alles in Frage stellte, durch nichts wieder gutzumachen gewesen wäre. Was waren das für Menschen, die sie hier an sprach, ohne daß sie begrüßt worden war? Er zog höflich seinen Hut. Auch Mr. Barnay grüßte verbindlich. Mabel aber, von ihrer Empörung fortgerissen, ent wand sich Doras Berührung und stieß kurz und scharf, nur der jungen Frau verständlich, hervor: „Den besten, edelsten Mann und die liebsten Kinder haben Sie gewissenlos verlassen. Ich verachte Sie, und jeder, der erfährt, Laß Sie Ihre heiligsten Pflichten mit Füßen treten, nur um Ihrer Genußsucht sröhnen zu können, wird fühlen wie ich!" Mabels Gesicht hatte allen Liebreiz eingebüßt, als sie Dora die heftigen, ankläherischen Worte zuschleuderte. Die stand, als habe sie einen Schlag erhalten, der ihre Bewegungsfreiheit lähmte. Aus blutleeren Zügen starrte sie die Angreiferin an, kaum atmend, nur be müht, sich gegen die Ohnmacht zu wehren, die sie zu beschleichen drohte. Mr. Barnar» lüftete den Hut. Man sah es ihm an, daß das Verhalten seiner Tochter sein größtes Miß fallen erregte. Er sagte: „°jch bitte die Herrschaften sehr um Ent schuldigung weg,;n der Ihn en widerfahrenen Belästi- Es scheint tatsächlich «sine Verwechselung vorzu A- liegen. Ich werde Sorge tragen, daß Ihnen, gnädige Frau, Genugtuung für diese Unart wird." „Ich danke Ihnen, mein Herr!" entgegnete Bittner mit kühler Höflichkeit. „Da die Beleidigung von einer Dame ausging, die ich leider nicht zur Rechenschaft ziehen kann, muß ich mich mit der Erklärung begnü gen, daß Frau Steinberg unter meinem Schutze steht, und daß ich der gnädigen Frau die denkbar größte Hochachtung zolle, weiteren Schmähangriffen aber auch in gebührender Weise zu begegnen wüßte." Er bot Dora den Arm und raunte ihr zu: „Fassen Sie sich, Geliebteste, Sie sehen aus, als sei der leibhaftige Tod an Ihnen vorübergegangen. So ernst dürfen Sie die Taktlosigkeit des einfältigen Mäd chens nicht nehmen. So eine Kröte, am liebsten hätte sie Ihnen die Augen ausgekratzt." Mr. Barnay und seine Tochter waren längst weiter gegangen, da stand Dora noch immer wie angewurzelt auf demselben Fleck. Der taghell erleuchtete Park mit seinen flüsternden Baumgruppen, dem zarten köstlichen Blumenflor und den vornehmen vergnügten Menschen war verschwunden. Ein anderes Bild drängte sich ihr auf, die Räume da heim, welche die ordnende Hand der Hausfrau ver missen ließen. Welche Unordnung mochte dort bereits herrschen! Ins Schlafzimmer wanderten ihre Ge danken. Da sah sie den tödlich erschöpften Mann auf sein Lager sinken. Sein Gesicht war bleich, dumpfes Weh starrte aus seinen Augen. Er schloß sie nicht. Ihn floh der Schlaf. Er wartete. Heute, wie jeden Abend vorher, wartete er auf die Heimkehr seines pflicht vergessenen Weibes — vergeblich. . . Endlich — im Morgengrauen sanken ihm die Lider zu. Deutlich glaubte sie sein eingesunkenes Gesicht zu sehen. Aber — neues Erschrecken durchrieselte sie — sie sah nicht die Kinder. Wo waren ihre Kinder? Tagelang hatte sie derselben nicht gedacht. Wohin waren sie inzwischen gekommen? Bittner wurde ungeduldig. „Kommen Sie zu sich, Dora, ich bitte Sie um Gotteswillen l Ich habe vorhin dort drüben eine Bank bemerkt, da können Sie aus ruhen. Ah — da ist auch ein Diener mit Erfrischun gen. . . . Hierher, mein Freund, die gnädige Fran fühlt sich ermattet! Geben Sie her! So — das wird guttun." Er reichte Dora einen Kelch mit Sekt, und sie leerte ihn in einem Zuge. Ihr Blick belebte sich wieder, sie ließ sich nach der bezeichneten Bank geleiten. Ohne Widerstreben trank sie ein zweites Glas Sekt. Die Starrheit wich. Ihr war, als erwache sie aus einem beklemmenden Traum. Aengstlich schmiegte sie sich näher an Bittner, und diese natürlichste Bewegung rührte ihn mehr, als alle Tränen es vermocht hätten. „Diese geliebte kleine Hand gehört mir, und keine Macht der Welt soll sie mir wieder entreißen! Wir wollen wieder glücklich sein, so glücklich, wie wir es in den letzten Tagen waren!" Der dienstbeflissene Lakai erschien mit einem zu sammenlegbaren Tischchen und einer Platte; geschickt stellte er ersteres auf, und bald standen Gebäck, Ananas creme, Früchte und Wein vor dem Paare. Dora löffelte die wunderbar erfrischende Creme, aber sie sprach noch immer kein Wort, und man sah es ihr an, daß sie schmerzliche Quaker litt. Der Amerikaner führte sein rabiates Töchterchen gleichfalls nach einer Stelle, wo man vor Störungen sicher sein durfte. „Du hast dich schlecht benommen, Mabel," sagte er in strafendem Ton, „Du hattest kein Recht, die junge Frau anzugreifen, noch dazu in einem fremden Hause. (Fortsetzung folgt.)