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Die vielen Neuauflagen in mehr als 170 Jahren bezeugen einerseits, daß Zeit genossen und Nachfahren das Werk als gut und nützlich einschätzten und daß die Nachfrage danach groß war, daß aber andererseits ein besseres und moderneres Buch über den Gegenstand fehlte. Das kann bei näherer Prüfung der Zeitumstände nicht überraschen. Geschrieben wurde das „Große Probierbuch“ zu einer Blüte zeit des mitteleuropäischen Berg- und Hüttenwesens, das damals vorbildlich für die gesamte Technik in aller Welt war. Die nachfolgenden Jahrhunderte voll krie gerischer Wirren gerade in diesem Raum waren der Weiterentwicklung der Mon tantechnik und -Wissenschaft nicht besonders förderlich, im Gegenteil, man muß von einer gewissen Sterilität des technischen Fortschritts bis in die 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts sprechen. Während dieser Zeit herrschte vielerorts krassester Aberglaube, ja betrügerische Manipulationen von „Gelehrten“ und Alchimisten, der sogenannten „Goldmacher“, blühten, während eine große Anzahl von Alchi misten des Mittelalters als durchaus ernst zu nehmende Wissenschaftler ihrer Zeit anzusehen sind und zur Weiterentwicklung gerade der metallurgischen Technik und der Chemie der damaligen Epoche, der Probierkunde, reichlich beitrugen. Man kann keineswegs erwarten, daß ein Ercker in seinen Werken nur neu artige, für unseren technischen Fortschritt wichtige Erkenntnisse vermitteln kann. Die Metallurgie war damals eine rein empirische Technik, bei der auch der fort schrittliche, nüchterne und kritische Mensch, zu denen wir Ercker uneingeschränkt zählen müssen, sich von falschen Auffassungen, ja Aberglauben nicht frei machen konnte. Die Chemie der damaligen Zeit, die Probierkunde, war die Übertragung großtechnischer Arbeitsweisen ins kleine, in den Labormaßstab, wie wir heute sagen würden. Sie bezweckte, durch schnelle und wenig kostspielige Untersuchun gen an kleinen Rohstoffproben auf Abbau und Schmelzwürdigkeit im großen zu schließen, vielleicht auch gelegentlich die beste Verarbeitungstechnik zu ermitteln. Die operativen Mittel hierfür muten heute oft primitiv an. Um so beachtlicher sind aber die vielseitigen hierbei gewonnenen Erkenntnisse. Bis zur modernen Chemie und Analytik war es noch ein langer Weg. Zu Erckers Zeit konnte man wohl eine Reihe Metalle, wie Gold, Silber, Kupfer, Blei, Eisen, Zinn, Quecksilber und Antimon, daneben die Nichtmetalle Schwefel und Arsen und eine Anzahl von Säuren und Salzen, teils nach uraltem Vorbild, teils schon recht rein herstellen, ohne die dabei verlaufenden Umsetzungen klar zu erkennen. Sah man doch Erde, Luft, Feuer und Wasser als Urstoffe und Ur kräfte, als Elemente an und glaubte man an die Verwandlungsmöglichkeit eines Metalls in ein andres, was Ercker, zumindest für die Verwandlung von Eisen in Kupfer, als durchaus möglich ansieht. Die Phiogistontheorie eines Stahl (1660-1734) mußte als erster Erklärungsversuch der Oxydations- und Reduktionsvorgänge noch aufkommen und durch Lavoisier (um 1775) widerlegt werden. Einem Ber- zelius (1779-1848) und seiner Schule blieb die Entwicklung einer modernen Ana lytik vorbehalten.