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Thomasstahl oder Siemens-Martin-Stahl unter heutigen Bedingungen Von Prof. Dipl.-Ing. ERNST DIEPSCHLAG, Freiberg Der Thomasprozeß, der in folge seiner Einfachheit und seiner großen Leistung zu Be ginn des Jahrhunderts eine be herrschende Rolle in den Stahl herstellungsverfahren erreicht hatte, war in jeder Beziehung er folgreich geworden, weil es nach Überwindung der an fänglichen Schwierigkeiten gelungen war, dem Stahl werkskonverter ein Roheisen stets gleichbleibender Temperatur und gleichen Gehaltes an Silizium und Phosphor zur Verfügung zu stellen. Die Hüttenwerke erfuhren dadurch einen sehr einfachen Aufbau, indem das Hochofenwerk über Mischer mit dem Stahlwerk und anschließendem Walzwerk unmittelbar gekoppelt werden konnte, so daß der gesamte Eisendurchfluß in einer Hitze vonstatten ging. Das Ergebnis war Er zielung hoher Produktionsleistungen und guter, stets gleichbleibender Qualitäten. Die alten Hüttenwerke, die vermöge ihrer Erzgrundlage den Thomasprozeß durch führen konnten, waren in dieser einfachen Anordnung aufgebaut. Auch die Maxhütte zeigte diesen Material durchfluß. Das ideale Land für den Thomasprozeß war Französisch-Lothringen, weil hier die Erzverhältnisse für dieses Verfahren wie geschaffen waren. Deswegen hatten diese Betriebe die größten Leistungen aufzuwei sen. Eine Erzeugung von 4 Einsätzen pro Stunde bei Konvertergrößen von 20—30 t war üblich. Inzwischen haben sich die Grundlagen für diesen Pro zeß wesentlich verändert, auch sind die Qualitätsanfor derungen gestiegen, so daß diese alte, einfache Betriebs methode nicht mehr durchführbar ist. Deswegen müs sen Maßnahmen getroffen werden, die geeignet sind, die Unzulänglichkeiten des heutigen Betriebes auszu gleichen oder durch besondere Verfahren zu verändern. Die wichtigsten Faktoren für ein einwandfreies Ge lingen des Thomasverfahrens und Herstellung guter Qualitäten sind: 1. Im Hochofen ein Roheisen zu erschmelzen mit mög lichst niedrigem Siliziumgehalt, der in den damals günstigen Zeiten etwa in der Größenordnung zwi schen 0,2 und 0,5 % lag. 2. Die Einstellung eines so hohen Phosphorgehaltes im Roheisen, daß bei der Verbrennung des Phosphors im Konverter die gewünschte Temperatursteigerung von Roheisentemperatur auf Stahltemperatur mög lich war. 3. Eine bestimmte stets gleichbleibende Temperatur des einzugießenden Roheisens zu erreichen. Bei den heute bei uns vorliegenden Verhältnissen sind diese Bedingungen in einem sonst gutgeleiteten Hochofenbetrieb nicht mehr zu erfüllen. Zum Teil liegt das an der häufig wechselnden Zusammensetzung und physikalischen Beschaffenheit der verhütteten Erze, dann aber auch an der Verminderung der Koksqualitäten. Erze stehen kaum mehr in großen Mengen mit gleich bleibender Zusammensetzung zur Verfügung, vielmehr müssen alle Vorkommen, auch geringwertige, ausge beutet werden, um den Metallbedarf zu decken. An eine Verbesserung der Koksqualitäten kann ebensowenig gedacht werden, weil wegen der abnehmenden Be stände an Kokskohlen Kohlensorten mit geringer Back fähigkeit zu Koks verarbeitet werden müssen. Die wichtigste Grundforderung in dieser Richtung geht dahin, von der Kokskohle loszukommen und an dere Brennstoffe für den Hochofen brauchbar herzu richten. In dieser Richtung sind namentlich in der DDR auf der Basis der Braunkohle entscheidende Fortschritte zu verzeichnen. Mit Rücksicht auf diese Rohstoffschwie rigkeiten muß also damit gerechnet werden, daß die Hochofenbetriebe nicht mehr in der Lage sind, ein Roh eisen in der oben gekennzeichneten Beschaffenheit zu erzeugen. Mit mehr oder weniger großen höheren Sili ziumgehalten, schwankenden Phosphorgehalten und Unterschieden in der Analyse und der physikalischen Beschaffenheit des Roheisens ist daher zu rechnen. Die Temperatur des von den Hochöfen gelieferten Roheisens ist von den Schmelzbedingungen der Hoch öfen, insbesondere der Betriebsgeschwindigkeit und den Abkühlungsverhältnissen des Eisens während des Transportes vom Hochofen durch den Mischer zum Konverter, abhängig. Der Hochöfner ist nicht in der Lage, die Abstichtemperatur seines Roheisens willkür lich zu beeinflussen. Gewisse Möglichkeiten bestehen, auf dem Transportwege ein Absinken der Roheisentem peratur zu vermeiden. Hierüber sind Betriebsversuche wiederholt angestellt worden. So hat z. B. T. KOOTZ [1] festgestellt, daß selbstverständlich die Dauer des Trans portes einen Einfluß auf den Temperaturverlust ausübt. Dabei ist die Aufenthaltszeit der leeren Pfanne von viel größerem Einfluß auf die Temperatursenkung als die gesamte Dauer des Transportes der gefüllten Pfanne. Wenn daher die Pfannen Wartezeiten haben, ist es vorteilhafter, die gefüllten Pfannen warten zu lassen. Die Wärmeverluste werden vermindert, wenn das Eisen mit Schlacke bedeckt ist. Der Vorteil, die Pfannen abzu decken, ist vielerorts erkannt worden. Besonders ist es wichtig, die leere Pfanne mit einem Deckel zu versehen, und W. LENNINGS [2] schätzt den dadurch erzielbaren Temperaturgewinn auf etwa 50°. Temperaturverluste treten auch in den Mischern auf, auch wenn diese dau ernd beheizt werden. Selbst unter günstigsten Bedin gungen ist es nicht möglich, die Temperatur des Eisens in den großen Walzenmischern gleichzuhalten.