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»IE REXAI*»SAV( E in Frankreich IN ACH der Niederwerfung Burgunds im Jahre 1477 war Frankreich, weit früher als Deutschland und Italien, im großen und ganzen zur Einigkeit gelangt. Zwar bestand noch am Rande der Pyrenäen das kleine Königreich von Navarra, in Calais saßen die Engländer, und um Burgund ging noch lange der Kampf mit der habsburgischen Großmacht. Aber das Rin gen des französischen Königshauses der Valois um den unein geschränkten Besitz des ganzen Landes erreichte doch schließ lich sein Ziel, so daß der erste Bourbonenkönig Heinrich IV. bei seiner Thronbesteigung ein äußerlich geeinigtes Reich vor fand, dessen inneren Ausbau er jetzt in Angriff nehmen konnte. Inzwischen hatte aber eine andere Macht das Land in zwei Parteien gespalten: die von der Schweizer Eidgenossenschaft ausgehende reformatorische Kirchenbewegung der Calvi- nisten (Hugenotten, d. h. Eid genossen). Calvin, aus der fran zösischen Picardie stammend, hatte am Hofe der Königin von Navarra eine Zufluchtsstätte ge funden. Von hier wie von der Ostgrenze Frankreichs verbrei tete sich seine Lehre schnell auf französischem Boden. Ihre stark demokratischen Tendenzen be drohten den auf Absolutismus hinzielenden Machtwillen des Königshauses, das erst nach acht blutigenKriegen.in denen Mord und Hinterlist auf beiden Seiten ihre Rolle spielten, durch das Edikt von Nantes Ruhe stiften konnte. Es war allerdings ein Frieden ohne Sieger und Be siegte, denn die Reformierten behielten ihre festen Plätze und bildeten einen die Sicherheit be drohenden Staat im Staate. Ihre strenge kunstfeindliche Gesin nung hinderte die Künste an ihrer Entfaltung, aber auch das katholische Frankreich hat im 16. Jahrhundert trotz seiner viel fachen Beziehung zu der Re naissancekultur Italiens keine großen Leistungen in dieser Richtung hervorgebracht. Es zehrte noch von der hohen Blüte der gotischen Baukunst und Bildnerei des späten französischen Mittelalters und von dem prunkhaften Kunst leben am burgundischen Hof. Seit 1309 regierte in dem einst von germanischen Stämmen bewohnten Burgund eine Seitenlinie der Valois. Herzog Philipp der Gute von Burgund (1396—1467) hatte in seiner 50jährigen Regierungszeit sein Land durch Heirat, Erbschaft, Kauf und Gewalt zum mächtigsten französischen Vasallen staate gemacht; er besaß außer Burgund schließlich Flandern, Brabant, Luxemburg, Hennegau, Holland mit Seeland und Friesland. In Holland und Flandern fand er jedoch kraft vollen Widerstand, der ihm sein Leben lang zu schaffen machte. Die Brügger hatten ihren Bürgermeister 1437 er schlagen. Da erschien der gute Philipp mit reichem Gefolge in der Stadt. Er ließ die Stadtväter, die ihn ehrerbietig be grüßten, niederhauen und ein Blutbad auf dem Markt anrichten, worauf die Bürger die Tore schlossen und alle Burgunder niedermachten. Nur der Herzog entkam mit vier Mann. Seine Hofhaltung war eine der glänzendsten und üppigsten. Er stiftete 1430 den Orden des Goldenen Vließes und förderte Wissenschaften und Künste, u. a. auch den großen Maler Jan van Eyck, den Begründer der niederländischen Tafel malerei. Der Reichtum der aufblühenden italienischen Städte hatte in den französischen Königen schon seit jeher die Lust ge weckt, sich in der Poebene festzusetzen. Besonders um Mailand ging der Kampf, auf das Frankreich seit 1447 Erb- ansprüche geltend machte. Ludwig XII. eroberte es, mußte es aber wieder herausgeben. Sein Schwiegersohn Franz von Or- leans-Valois,der KönigFra nz I. von Frankreich (1494 — V47)> eroberte es zurück, verlor es aber wieder durch die Nieder lage bei Pavia, wo die Blüte des französischen Heeres fiel und Franz selbst, tapfer kämpfend und mehrfach verwundet, in die’Hände des deutschenKaisers Karl V. geriet. Er schrieb seiner Mutter die ritterlichen Worte: „Alles ist verloren, nur die Ehre nicht.“ Ein Jahr lang wurde er gefangen gehalten. Als zwölf Jahre später Karl V., von weni gen begleitet, von Spanien durch Frankreich reiste, geleitete ihn Franz von Paris bis an dieGrenze und erwies ihm alle Ehre, ob wohl es ihm ein leichtes ge wesen wäre, sich an seinem kaiserlichen Gegner zu rächen, mit dem er zwischen 1521 und 1544 vier Kriege zu bestehen hatte. Eine dieser Fehden sollte nach dem Vorschläge von Franz durch einen Zweikampf der beiden Herrscher beendet werden, doch lehnte Karl den Kampf ab. Franz I. war ein ritterlicher, großmütiger Charak ter, in den Mitteln seiner Politik nicht immer wählerisch (so, wenn er sich mit den allgemein verhaßten Türken gegen den Kaiser verband), er tat viel für die Verbreitung der Renaissance- Bildung in Frankreich und zog nach der Eroberung Mailands den großen Leonardo an seinen Hof. Zu seinen Schützlingen gehörte auch der vielseitig gebildete satirische Dichter Rabelais (1494—1553), der in seinen mit Unrecht berüchtigten abenteuerlichen Romanen „Gargantua“ und „Pantagruel“, von denen ein Band dem anderen folgte, ein ungemein witziges Spiegel- und Zerrbild seiner Zeit ent worfen hat. Treffend zeichnet er darin die sittenlosen Zu stände an den Höfen und in den Klöstern, mit drastischen und oft anstößigen Ausdrücken schildert er derbe und recht be denkliche Situationen. Von einem Geist der Unruhe zeit- Philipp der Gute von Burgund (i}<)6—146p) Nach einer Flämischen Miniatur, um 1480