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auch ihm, gegenüber dem strahlend emporsteigenden Gestirn des jüngeren Raffael, nicht ganz fremd waren, abhängig von den Launen der sieben Päpste, in deren Diensten er seine herrlichsten Werke schuf, heftig und aufbrausend wie sein erster päpstlicher Gönner, der Kriegerpapst Julius II., in dessen Auftrage er die 40 m lange, 18 m breite Decke der Sixtinischen Kapelle in vier Jahren mit den bewunderns werten Fresken der Schöpfungsgeschichte bemalt hat, die später, unter den Päpsten Clemens VII. und Paul III. ihren Abschluß fanden in dem großartigen Wandbild des Jüngsten Gerichts. In diesem Kolossalgemälde, auf dem der unerbitt liche Weltenrichter die Verdammten in die tiefste Höllenqual hinabstößt, aus der es kein Entrinnen gibt, triumphiert die neuerwachte finstere, strenge Kirchlichkeit der Gegen reformation, ein Bild der innersten Gewissensangst, die das umdüsterte Alter dieses himmelstürmenden Titanen umschat tete, der einst die kraftstrotzenden Marmorgestalten des Moses und David geschaffen hatte. Aber in diesem Gemälde triumphiert noch ein anderes: der Adel einer von hellenischem Geiste erfüllten Nacktheit von mehr als 300 herrlichen Ge stalten; spätere Papstgenerationen haben sich durch die Überpinselung dieser edlen Körper mit elenden Kleiderfetzen schwer versündigt. Michelangelo fand als Greis in der strengen Gesetzmäßigkeit der Baukunst seine alte Schaffensfreudigkeit wieder, die ihm die Kraft gab, den gewaltigen Bau der stolzen Raffael Santi Kuppel von St. Peter so erhaben und klar, so harmonisch und feierlich zu Ende zu führen, wie ihn die früheren Bauleiter kaum zu erträumen gewagt hatten. Ein größerer Gegensatz ist nicht denkbar als zwischen dem leidensvollen Leben dieses einsamen Grüblers und dem meteorhaft leuchtenden kurzen Dasein des Götterlieblings Raffael (1483—1520), dem aller Herzen zuflogen, der mit leichter Hand und unbekümmerter Nehme- und Gebefreudig keit die Herrlichkeiten, die ihm das Leben und die Kunst verschwenderisch boten, in sich aufnahm und in verklärter Reinheit nach allen Seiten wieder ausstrahlen ließ. Hatte es schon Leonardo vermocht, in seinem Bildnis der Monna Lisa mehr als ein bloßes Porträt zu geben, dem Unenträtselbaren, dem Innerlichsten des Antlitzes einer Renaissancedame Aus druck zu verleihen, so gab Raffael seinen Papst- und Kardinal porträts eine vorher nicht gekannte psychologische Wahrheit, seinen zarten Madonnen aber die weiche Anmut der jung fräulichen Himmelskönigin, die verträumte Lieblichkeit und Innigkeit übernatürlicher Mutterschaft und Mütterlichkeit. Als er 2 5 jährig die Arbeit der malerischen Ausschmückung der päpstlichen Gemächer begann, stand die freigeistige Renaissancekultur in ihrer höchsten Blüte. Daher erscheint Tizian (Tiziano Vecelli) (1477—1776) Nach einer Miniatur von Wilhelmine du Tbil nach dem Selbstbildnis Tizians auf Raffaels Fresken nicht mehr die Philosophie als Magd der Theologie, sondern ihr gleichgeordnet. Die ganze Gedanken welt dieser Zeit hat in den Bildern des ersten Raumes lebens volle Gestalt gewonnen. Doch schon die Gemälde des nächsten Raumes zeigen die Veränderung der politischen Lage nach der Eröffnung des Lateranischen Konzils: diese Bilder verkünden laut und deutlich den Sieg der Kirche über die weltlichen Mächte. Beiden Ideenwelten vermochte Raffael mit gleicher Virtuosität ihre Form zu geben, aber man merkt der Ausführung an, daß seine innige Anteilnahme nicht der päpstlichen Engherzigkeit und Herrschsucht galt. Nach einer Richtung hin fand die Kunst der Renaissance in Venedig ihre Krönung, und zwar in bezug auf die Farbe, dagegen war in dieser leichtlebigen Lagunenstadt am Adria tischen Meer kein Raum für den tiefen Gedankeninhalt der Marino Grimani (f nach rdof) Nach einer Miniatur von Giulio Clovio IS