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Durch die im Anfang d. I. erfolgte Proklamierung eines selbständigen wendischen Freistaates und Forderung eines solchen auf der Friedenskonferenz ist die „wendische Frage" in den Vorder grund getreten, und zum mindesten die Wenden selbst, aber auch die Lausitzer Deutschen werden genötigt, zu dieser Frage Stellung zu nehmen. Das wendische Volkstum hat bisher keine fördernde Beachtung seitens des Staates gefunden (Frankfurter Zeitung 1919 Nr. 274). Wenn kürzlich der sächsische Kultusminister nach einer Zeitungsnotiz behauptete, die kulturellen Bedürfnisse der Wenden seien weder unter der alten noch unter der neuen Regierung beeinträchtigt wor den, so ist diese Behauptung schwer zu beweisen. Wohl hat das sächsische Königshaus ein warmes Interesse und tätiges Wohlwollen für das Wendentum bewiesen, ebenso sind einzelne Glieder des eingesesseneil Adels für die geistigen Bedürfnisse der Wenden ein getreten. Aber seitdem das Wendentum im Kampfe dem Deutsch tum unterlegen ist, wurde es auch mehr oder weniger gewaltsam und bewußt zurückgedrängt. In den ersten Jahrhunderten nach der Unterwerfung nahm man den Wenden ihren Grund und Boden ohne jede Entschädigung. Dann schloß man sie von den städtischen Zünften und Handwerken aus. In der Neuzeit besorgen Schule und Kirche die Entnationalisierung, jedoch muß anerkannt werden, daß das sächsische Konsistorium durch das „wendische homiletische Seminar" das nach den Verhältnissen Möglichste getan hat, um für seinen Bezirk Geistliche heranzubilden. In den Schulen der sächsischen Lausitz ist zwar dem Wendischen einige Berücksichtigung zugestanden. In dem sächsischen Schulgesetz (Juristische Handbibliothek Band 338) heißt es in Z 12: „Den Kindern wendischer Nation ist sowohl das deutsche als das wen dische Lesen zu lehren. Es ist darauf zu halten, daß sie Sicherheit und Gewandtheit im schriftlichen wie im mündlichen Gebrauche der deutschen Sprache erlangen. In den oberen Klassen ist in allen Fächern in deutscher Sprache zu unterrichten. Nur der Religions unterricht ist unter Mitverwendung ihrer Muttersprache zu erteilen, so lange regelmäßiger wendischer Gottesdienst für die Gemeinde abgehalten wird." Diese recht geringe gesetzliche Freiheit ist aber noch bedeutend eingeschränkt durch tz 26 der Ausführungsbestimmungen, welcher lautet: „Im Lehrplan der für Kinder wendischer Abstammung be stimmter Schulen ist die Grenze genau festzustellen, bis zu welcher der Unterricht im wendischen Lesen neben dem deutschen fortdauern darf und in welcher Stundenzahl derselbe zu erteilen ist.