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Beim Religionsunterricht ist zwar, so lange regelmäßiger Gottesdienst in der Gemeinde abgehalten wird, der Gebrauch wen discher Bibeln, Katechismen und Gesangbücher gestattet. Dessen ungeachtet sind die Kinder auch in dieser Beziehung an das Verständnis und den Gebrauch der deutschen Sprache zu ge wöhnen ." Was besagen diese Sätze? Das Gesetz fordert, daß den wen dischen Kindern das wendische Lesen gelehrt werden soll, aber es fordert nicht, daß die Kinder irgend ein Ziel dabei erreichen. Viel mehr wird in den Ausführungsbestimmungen dem Schulleiter auf getragen, im Lehrplan den Zeitpunkt festzusetzen, hinter welchem das wendische Lesen nicht mehr gelehrt werden darf. Das Gesetz ver langt, daß der Religionsunterricht unter Mitanwendung der Mutter sprache erteilt wird. Nach den Ausführungsbestimmungen ist der Gebrauch wendischer Bibeln nur gestattet (also nicht verbindlich), aber der Lehrer ist verpflichtet, auch in den wenigen Religionsstnn- den die Kinder an die deutsche Sprache zu gewöhnen. Nach diesen Bestimmungen ist es kein Wunder, daß Lehrer auf das „Gestattete" überhaupt verzichten und gar nichts wendisch unterrichten. In der preußischen Oberlausitz ist der Konfirmandenunterricht in der „nichtdeutschen Muttersprache" ausdrücklich verboten (Amtl. Mitteilungen des Kons. Breslau 1885, S. 110), die ehedem ge bräuchlichen zweisprachigen Schulbücher sind ausdrücklich abgeschafft (Verfügung der Regierung in Liegnitz v. 21. Juli 1875), Lehrern wurde zur Richtschnur gemacht: „Sie müssen helfen,, die wendische Sprache zu Grabe zu tragen." (Jmmisch, Panslavismus S. 106). In der Niederlausitz wurde in demselben Sinne verfahren. Mag auch hin und wieder einer der höheren Beamten ein gewisses Wohlwollen gegen das Wendische geäußert haben, das System der Germanisierung blieb dasselbe. Aber die Wenden wünschen ja selbst möglichst bald deutsch zu werden, sie haben kein Nationalgefühl. Diesen Satz hört man oft als Rechtfertigung der Germanisation. Ein solch schowinistisches Nationalgefühl, wie es in den letzten Jahrzehnten bei den größeren Nationen sich entwickelt hat, haben die Wenden allerdings nicht, aber das Bewußtsein der völkischen Besonderheit findet sich heute noch ebenso im einfachen Volke, wie in Schriften früherer Jahrhun derte. Sogar Aenßerungen slavischen Bewußtseins finden sich schon in alten Schriften. So schreibt der Archidiakonus Fritze aus Cott bus in der Einleitung seines Predigtbuches 1792: „Du bist, liebes wendisches Volk, ein sehr großes Volk, denn Deine Vorfahren, die Slaven, haben ganz Ungarn, Mähren, Böhmen, Pommern, Meck lenburg, Preußen, Polen, das Meißener und das Lausitzer Land bewohnt." Aehnlich schrieben in jener Periode Möhn, Lubenski, -D. T. Kopf u. a.