Volltext Seite (XML)
- 26 - sicht, stand sie mit lautem Schmerz und hoffte auf ein Wort aus sei nem Mund, man kann doch nicht so stumm auseinandergehen, für immer auseinander. Sie war schon jahrelang einsam gewesen und hatte nun Angst vor dem Alleinsein, und der Redner vorn sprach von glücklicher Gemeinsamkeit, die so jäh zerrissen worden sei. Sie trauerten hin- der dem Wagen her der Grabstätte zu. Rößler stützte Brits Mutter und sah beleidigend ungerührt aus und dachte: Nach solcher Ehe hat sie kein Recht auf Tränen. Und als er mit Brit ans Grab trat, Blumen und Erde auf den Sarg zu werfen, sagte er: "Wir müssen es besser machen, wir beide." Sie kannte nicht seine Gedanken, aber sie verstand diesen Satz, so unvermittelt er auch kam, und sie antwortete, als sie wieder zurück traten: "Wenn einer stirbt, merkt man erst, daß man lebt, und daß man manch mal falsch gelebt hat." Rößler griff schüchtern nach Brits Hand, wußte nicht, ob sich das bei einem Begräbnis gehört, aber gleichzeitig schien es ihm das einzige, was diese Stunde lehren konnte. "Ja," sagte er, "als könnt man sichs erlauben, falsch zu leben, als könnt man sichs auch nur eine Stunde erlauben." Seit er Brit kannte, hatte er das Gefühl, nicht mehr falsch zu lebeq zumindest seit dem Abend, der so unschön war und an den er denken mußte, wenn er an alles Schöne dachte. Gemeinsam mit Schauspielern hatte die Kabarettgruppe den Auftrag erhalten, ein Festtag zu einem Gedenktag einzustudieren. Rößler stand hinter dem Vorhang und lugte in den Saal* In der ersten Reihe saßen Direktor und Schulrat, und auf des Direktors Gesicht sah er * i Stolz, weil seine Kollegen mitspielten. Aich andere Lehrer saßen dort, und er hatte den Eindruck, daß alle nur auf seinen Auftritt warteten. Selbst der Intendant vom Theater, vielleicht würde der