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An dieser Stelle scheint es angebracht, einiges über die technische Ent wicklung der Colditzer Mühle zu sagen. Schon sehr frühzeitig sind in der Müllerei technische Hilfsmittel ver wendet worden, um die mühevolle Arbeit der Kornzerkleinerung zu erleichtern. Mit Staunen erkennen wir aus den Urkunden, daß die Wassermühle mit Wasserrad, Mahlgang und Stockgetriebe eine tech nische Einrichtung ist, die auf das ehrwürdige Alter von fast zwei tausend Jahren zurückblicken kann. Sie ist mit Recht als die älteste Maschine der Menschheit bezeichnet worden. Seither, bis weit hinein in das neunzehnte Jahrhundert, sind alle Wassermühlen nach dem gleichen Prinzip gebaut worden. Die Siebung oder Sichtung des zer kleinerten Korns in Mehl und Kleie ist jedoch verhältnismäßig lange mit dem Handsieb vorgenommen worden, und erst um 1500 wurde mit dem vom Stockgetriebe geschüttelten Beutel eine Mechanisierung ei- reicht. Auch in der Colditzer Mühle ist man im wesentlichen bis Mitte des neunzehnten Jahrhunderts auf diese technischen Möglichkeiten angewiesen gewesen. Erst die Erfindung des Walzenstuhls und des Plansichters, verbunden mit der Verbesserung der Fördertechnik und der Wasserkraftmaschinen, machten die industrielle Fertigung von Mühlenerzeugnissen möglich. 1879, nach dem bereits erwähnten Brand, wurde die Colditzer Mühle mit diesen Maschinen ausgerüstet, so daß bereits am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts mit einer automa tischen Mahlanlage gearbeitet wurde. Heute teilt sich die Fertigung in folgende Hauptpunkte: Reinigen, Mahlen, Sichten, Abpacken. Von dem Augenblick an, in dem das Getreide in den Silo der Mühle eingeliefert wird, werden alle Arbeitsgänge vollautomatisch bewältigt, d. h. keine menschliche Hand (ausgenommen bei Störungen) berührt mehr die Produkte. Die zum Teil komplizierten technischen Vorgänge muß der Müller beherrschen und kontrollieren. Die Müllerei hat also einen jahr tausendelangen Weg über die Frauen- und Sklavenarbeit im Altertum, über das Handwerk, das lange Zeit in Deutschland als „unehrlich" galt, zu einer modernen wissenschaftlichen Technik zurückgelegt. Nach Überwindung des durch den zweiten Weltkrieg verursachten wirt schaftlichen Tiefstandes traf den Betrieb mit der Hochwasserkatastrophe im Juli 1954 ein neuer schwerer Schlag. Das Wasser stieg in der Nacht vom 9. zum 10. Juli auf 5 m über Normalstand. Das gesamte Werks gelände wurde überflutet. Fast alle Betriebsgebäude standen bis zur Decke des Erdgeschosses unter Wasser. Die Strömung auf dem Mühl hof war gewaltig, so daß sogar ein schwerer Mühlwagen wegge schwemmt wurde. Die Bewohner des Grundstücks Mühlgasse 7 mußten mit sowjetischen Militärschlauchbooten gerettet werden. Das Wasser verlief sich am 13. Juli, zurück blieben unvorstellbare Schlammassen, die Werksanlage und die Straßen der Unterstadt boten ein Bild der