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Jahrg. 1885 Allgemeine Zeitschrift für Textil-Industrie. Seite 229 HÜf ALLGEMEINE ZEITSCHRIFT m EXTIL-1NDUSTR1E. iiteJi" Chef-Redacteub: FH. ZALUD in Chemnitz. Nr. 20. Chemnitz-Leipzig-Wien, 15. Ocleber 1885. VII. Jahrg. Inhalt. Abhandlungen: Ueber Mode-Neuheiten. — Muster-Compositionen (Fig. XLIX bis LIII). — Versuch, Garn mit Kalk zu kochen (Schluss). — Neue Gespinnstpflanzen und kein Ende. — Neuerungen und Verbesserungen: Vorrichtung zum Auf- und Abrollen der Gummischläuche an Appreturbänken. — Kettenscheermaschine. — Apparate zu der unter No. 30,790 patentirten Neuerung in dem Bleichverfahren für Textilstoffe im Allgemeinen und insbesondere für Papierzeug aus irgend welchen Stoffen. — Heilmann’sche Kämm- Maschine. — Weife mit selbsttätiger Ausrückung. — Kettfadenwächter. — Einrichtung zur Vergleichmässigung der Kettenspannung an Webstühlen. — Patentwesen: Anmeldung, Ertheilung, Erlöschung, Uebertragung von Patenten in Deutschland. — Die technische Schule in Huddersfield (Fortsetzung und Schluss). — Die österreichischen Webeschulen (Fortsetzung). — Inserate. ■ \S\S\S\5NS\S'S\S\S\S\S\SNS'S^\S\K\S\SVS\SSSNS\5~\S\S\S\3*S\S'SS5 ÄBHJlIIDLÜNGEIIi fMif Isl l eber Mode-Neuheiten. Wir haben darauf hingedeutet, schreibt „Les Tissus“, wie nöthig es ist, neue Stoffe für Ueherzieher zu schaffen, deren Aussehen ganz von dem schon erzeugten abweicht, welche warm und dick sind, um gegen die Kälte des Winters zu schützen, Dank ihrer dichten reichen Wolle. Diese Waaren sind ganz ausverkauft, sie fehlen und werden von Jedermann begehrt, so dass die entsprechenden Stoffe beifälliger Auf nahme gewiss sind. Uehrigens tragen sich solche Stoffe immer auf, und sollte wider Erwarten nichts Neues gebracht werden, so würde man sich eher zu den Alten wenden, als sie entbehren. Unstreitig ist der Stillstand am auffallendsten in den zu Ueherzieher bestimmten Nouveautes, es entsteht nichts Neues, obgleich das Bedürfniss sich täglich wahr giebt, besonders was die sehr wolligen warmen Stoffe betrifft, was aber nicht hindert, dass die Neuerung in alten andern Genres dieser Categorie gefordert und nothweudig ist. Aber ehe wir diese besprechen, wollen wir alle uns bezüglich der warmen Ueber- zieher gewordenen Andeutungen erschöpfen. Im Handel sieht man in kleiner Menge eine Art dieser Stoffe, die sehr gesucht ist, von schöner Qualität, gut zu tragen ist, leicht und zu ziemlich lohnenden Preisen verkauft wird. Dieser Stoff eignet sieh eben so gut zu Damenmänteln als zu Ueberziehern für Herren, mit dem einzigen Unterschied, dass die Appretur je nach der Bestimmung des Stoffes eine verschiedene ist. Wir meinen geringere Streichgarnstoffe mit solcher Beimengung von Kaschmirwolle, dass die seidenartige Eigenschaft dieser letzteren in Griff und Ansehen zur Geltung kommt,. Für Herrenstoffe soll die Appretur der oberen Seite keine zu stark gerauhte Wolldecke bilden, dennoch sollen die Woll- fasern zahlreich, dicht und sehr gedrängt da sein, so dass die Appretur weder roh, velours- noch tuchartig ist, aber alle diese Appreturen zusammen bietet, d. h. dass die Wolldecke mittelst Appreturverfahren so verwirrt wird, dass sie nichts regelmässiges auf der oberen Seite bietet. Da wir nicht gerade ein einziges Muster andeuten, sondern nur im Allgemeinen sprechen wollen, überlassen wir es jedem Fabrikanten, seine eigenen Urtheile zu fällen nach Maassgahe der ihm zur Verfügung stehenden Werkvorrichtungen. Wir beabsichtigen nur, die Anwendung der Kaschmirwolle in den Stoffen zu empfehlen, aber nicht die Appretur, die dafür passt, da diese, je nach dem individuellen Geschmack des Consu- menten, sehr verschieden sein kann. Man kann auch solche Stoffe für Herren mit Anwendung der Kaschmirwolle schaffen, deren obere Seite bemustert ist, sehr klein und geschmackvoll, Diagonalstreifen, granitartig, Carreaux oder andere, mit roher Appretur. Diese Nouveautes werden sehr gefallen, besonders wenn man sich bemüht, die Nebensachen umzugestalten, um dem Ganzen ein Gepräge der Neuheit zu gehen. Insgesammt sind in diesen Stoffen die Fagonnes und Appreturen nur Nebensache, der eigentliche gesuchte Character, der ihnen ihren reellen Werth giebt, rührt nur von den Eigenschaften der Kaschmirwolle her. Die Stoffe sollen alle ohne Unterschied mit Mousse-Appretur auf der Rückseite versehen sein; wir haben dieses Verfahren in der Causerie der Lieferung Nr. 722 v. 31. Aug. d. J. beschrieben. Was die Damenmäntel betrifft, so eignet sich die velours artige Appretur am besten und wird fast immer angewendet, aber immer mit der Mousse-Rückseite, was jedoch den Werth vieler andern Fagonnes mit roher oder halb roher Appretur nicht beeinträchtigt. Für Herren wie für Damen müssen diese Stoffe voluminös, geschmeidig, weich und leicht sein. In manchen Fällen müssen sie zu diesem Zwecke fest gewebt und sehr wenig gerauht sein. Die Wolle und Nuancen der Rückseite können ordinär sein, doch wird man gut thun, dieser Seite die Fantasie, die die Alpaccawolle erzeugt, mit langen glänzenden Haaren zu geben. Für Herren müssen die Nuancen der Rückseite zu denen der oberen Seite passen; für Damen geschieht das Gegentheil, die Fantasie soll einen weiteren Spielraum haben, Nuancen, Wolle, Appretur und dergl. können total von der oberen Seite ab weichen. Die Erzeugungs- und Appreturfrage ist sehr bedeutend, um den Ueherzieher- oder Paletots-Stoffen mehr oder weniger Werth zu gehen. Man wird nie zu viel Zeit darauf verwenden, sie geschickt und am sorgfältigsten zu behandeln; der gute Erfolg könnte nicht gelingen ohne diese Aufmerksamkeit. Man darf nie auf dieser Bahn Stillstehen, trotz aller Erfahr ung, die vieljährige Praxis im Fache gegeben hat. Man muss fortwährend Verbesserungen suchen und diese werden sich jedes Mal finden, wenn der intelligente Fachmann sich ernst lich der Sache annimmt; das Verdienst seiner Leistungen, die das Gepräge einer vieljährigen Erfahrung tragen, wird immer den erreichten Fortschritten gleichstehen. Jene Fabrikanten, welche nie Ueberzieherstoffe erzeugt haben, die Sache als leicht ansehen und als keine oder nur geringe Schwierigkeiten oder Unannehmlichkeiten bietend, irren sehr, wenn sie glauben, dass diese Fabrikation kein Talent erfordert. Um den Beweis davon zu haben, sollten sie es nur versuchen; die zahlreichen Klippen, an denen das Gehngen scheitern würde, hätten sie bald ihres Irrthums überzeugt. Es trifft nicht Jedermann diese Fabrikation, sie erfordert viel Erfahrungen in den kleinsten Details, um diese Nouveautes schön erzeugen zu können. Die Frage der Nuancen ist auch eine Hauptfrage. Die Waaren sollen die schönsten Farben, frische und zarte Leb haftigkeit und Reichthum an Varietät besitzen; die Töne sollen