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Okerlausitzer l-IeimstreitunZ hlr. 12 299 lebten, alle noch so glücklich waren. Der leise schluchzende Ge sang erstickt in Seufzern und Tränen. Wo bleibt die schöne Bescherung von einst? Für ewig dahin. Da erhebt sich Do- rette, stellt das letzte Lichtstümpfchen unter die Tanne und lächelt wie verklärt. „Nun kommt her, ihr Lieben! Selbst heute hat uns das Christkind noch nicht vergessen!" Und aus dem so angstvoll gehüteten Döschen nimmt sie — drei grüne Läppchen, mit roten und bunten Fädchen spärlich umschlungen — und — darauf stecken, sorgsam durch Knoten verwahrt — je drei Stecknadeln! Schreie des Staunens, der Glück seligkeit! So freut sich kaum ein Schwerkranker, wenn sein Arzt ihn gesund entläßt. Stecknadeln! Tante Dorette war i och im Besitz von zehn Stecknadeln — sogar noch drei Näh nadeln und etwas Zwirn gewesen! Gott dem Allmächtigen und Allgütigcn, sei auf Knien gedankt! Nun konnten die schlimm sten Löcher geflickt werden! So geschehen auf dem Gut meiner Großmutter, der Frei frau von Schenck zu Schweinsberg; wahr und wunderlich — ein Weihnachten von Anno dazumal! Eine Weihnachtsgcschichte von einem Hunde und von Kindern erzählt von Richard Blasius Wie still die Kinder heute blieben! Kein Poltern und Krachen wurde vernehmbar. Weder Singen noch Kreischen, weder Lachen noch Heulen wurde laut. Ein Bann schien auf dem kleinen Kleeblatte zu ruhen, das sonst alle Räume des Hauses zum Tummelplätze seiner kindlichen Einfälle machte. Bemühte man sich etwa diplomatischer Weise, schnell noch einige Stunden das zu sein, was die Mutter „artig" nannte? Wohl möglich, schwamm doch der trübe Nachmittag schon langsam durch das Grau der Dämmerung in den Abend hin über, in den „Heiligen Christfestabend". Noch wenige Stun den, dann sollten die Kerzen des Weihnachtsbaumes glänzen und glückliche Augen an dem Gabentische aufleuchten. Aber es war auch anders als sonst an diesem Tage. Die Kinder wisperten und flüsterten einander keine Mutmaßungen über die Christgeschenke zu. Sie drängten sich nicht neugierig an die Schlüssellöcher verschloßener Türen. Auf den kleinen Gesichtern stand kindliches Herzeleid. Die Unterlippe des vier jährigen Hansi hatte der Weltschmerz auf das Kinn herab gezogen. daß ste einem Gebilde ähnlich sah, das die Nkuttcr eine „Flnnsch" zu nennen pflegte. Und die Augenlider des sechsjährigen Zwillingspaares Else und Lisl waren vom Wei nen angeschwollen »nd gerötet. Während Hansi auf dem Fuß boden saß und bekümmert in einen leeren Hundekorb schaute, standen die Zwillinge in einer Ecke und philosophierten über die Ungerechtigkeit des Weltgeschehens. Gerade der Vater war es, der immer und immer wieder Artigkeit von ihnen verlangte und nicht mit Strafen geizte, wenn er — seiner Meinung nach — diese Artigkeit vermißte. Wer aber strafte ihn, wenn er unartig war? Und das war er heute gewesen. „Papa is einen danzen Berg voll unatiq", hatte Hanst geschluchzt und auch allen Grund daru aehabt, denn henke Vormittag hakte Papa den lieben, süßen Bussy verschenkt. Bussy, der kleine, weiße Spitz, der schon seit zwei Jahren durch seine Familienzugchörigkeit die kindliche Dreiheit zu einem vierblättrigen Glückssymbole erhoben hatte, er war weg gegeben worden, weit weg in die Stadt. Natürlich hqtten alle drei geschrien, als ob sie am Spieße steckten, als ein wildfrem der Bösewicht ihren Bussy am Riemen aus dem Hause ge zerrt hatte. Aber was kümmerte sich der gleichgültige Schritt der Weltgeschichte um Kinderkränen? Ntama hatte auch ganz traurig ausgesehen und trotzdem versucht, das Herzeleid der Kinder mit Vernnnftgründen ab zuschwächen, die aus den Worten „ewige Hundesperre" und „hohe Hundesteuer" bestanden halten. Aber ihre Bemühungen waren vergeblich geblieben. Und das allgemeine Elend hatte schließlich in Hansis rachedürstenden Ausspruche seinen Gipfel punkt gefunden: „Ich droß sein, bösen Papa auch wegdeben." In der Küche draußen hatte dann die Mutter ihrem Gatten den Vorwurf nicht ersparen können, er habe das ganze Weihnachtsfest verdorben. Der unartige Papa hatte die Achseln gezuckt und kleinlaut erwidert, er könne nichts dafür, daß der Mann gerade heute nach dem Hunde gekommen sei. Die Eltern standen neben dem brennenden Christbaume. Der Vater ließ den silbernen Klang eines Glöckchens ertönen. Die Kinder —! Ja, die Kinder! 'Sie öffneten die Tür und schlichen zaghaft herein. Früher waren sie jubelnd hereingestürzt und hatten dann, die Gaben in den Händen, wilde Indianer tänze aufgeführt. Heute schauten sie erst still in den Kerzen schein des Baumes. Langsam glomm in den Augen der Zwil linge ein wehmütiges Glück auf. Die hängende Unterlippe Hansis schob sich allmählich zurück. Und als die Kinder arn Gabentische standen, schien es, als wolle die MÄHnachtsfreude poch noch zum Dnrcbbruche kommen. Ein verwunderns Ah und Oh, ein halblautes Frohlocken! Aber dabei blieb es auch. Statt sich stürmisch an der Eltern Hals zu werfen, drückten die Ki i- der nur scheu ihre Hände. Und Hansis Unterlippe zeigte schon u ieder eine bedenkliche Neigung zu aufquellendem !Waclw- rume, als sich sein Patschhändchen in die große Hand Papas legte. Auch die Eltern fühlten sich von dieser Mißstimmung nicht srci, die als Dämpfer auf der Festfreude lag. Die Nsutter drückte ihr Taschentuch recht oft an die Augen. Der Vater kaute nervös an den Lippen. Es war ihm äußerst unbehaglich zumute. Und dabei wußte er noch gar nichts von dem Schick sale. das ihm sein Jüngster zugeschworen hatte. Still machten sich die Kinder mit ihren Geschenken zu schaffen. Hanst saß am Boden, ein Leporellobilderbuch auf dem Schoße, als er plötzlich in gellendes Geheul ausbrach: „Bussy soll wiederdomm, Bussy soll wiederdomm." Das Verbängnis hatte es gewollt, daß er in dem Bilder luche das Abbild eines weißen Spitzes finden mußte. Dieser Anblick hatte nun alles wieder aufgerührt, was an Kummer in dem kleinen Herzchen lastete. Mamas Koseworte stillten den Seelenschmerz des Kleinen nickt. Die Zwillinge hatten sich in einer Ecke zusammengekauert und weinten lautlos in steh hin ein. Nkit einem Nkachtwortc all dem ein Ende zn bereiten, ließ Papas Schuldbewußtsein nicht zn. Plötzlich wurden alle fünf Nkenschen versteinertes Lauschen. Ein langgezogenes Geheul, dann ein !Winseln und endlich ein beiseres Bellen, das so matt klang, daß es kaum noch einem Bellen äknlich war, wurde vor dem Hause laut. Krallen kratzten Einlaß begehrend an der Haustür. „Bussy" schrien die Kinder wie aus einem Munde mW stürzten aus ihren Voinkcln. Die Mutter sah erschreckt n Vaters Augen. Dieser trat rasch zu ihr, küßte sie und eilte hinaus. Er hatte die stumme Bitte in ihren Augen gelesen. Ins Zimmer flog ein schmntzstarrendes, rcgentriefcnd.'S Ding, mehr einer riesigen, grauen Ratte als einem weißhaa-