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272 Okeflsusitzes-I^eimatreitusiZ HP. 11 bekamen wir ungefähr zur Zeit, wo in Europa der ^Weltkrieg zu Ende ging, einen jungen Deutschen als Gast, der seit den Dorkriegsjahren für eine deutsche Firma nach der unwirtlichen Ealpeterpampa als Chemiker verpflichtet gewesen. Jedoch sein deutscher Übereifer war dem mörderischen Klima jener Zone zum Opfer gefallen. Verzehrt war sein Lebensmark, und eine hochgradige Lungentuberkulose führte ihn einem langsamen, ober sicheren Tode entgegen. Seine in Zentralchile hauvt- vnsässigc Firma hatte ihn nun von den Salpeterfeldern abbe rufen und brachte ihn zn uns, da ja gerade unsre Höhenlage für Lungenkranke besonders wohltuend war. !Wenn wir auch die fortschreitende Auslösung nicht mehr aushalten konnten, so war es doch möglich, ihm oie gezählten Tage so viel als irgenö- möglich zu erleichtern. In Europa war durch den Schmach- sriedcn von Versailles der Kriegszustand theoretisch beseitigt, wenn er auch trotzdem praktisch noch lauge fortbestand. Durch Vermittlung seiner Firma versucht unser junger Freund auf schnellstem Wiege die Rückreise-Erlaubnis nach Deutschland zu erlangen. Denn er hatte eine Heimat, hatte Eltern und Geschwister. Und er hat nur den einen Mmnsch, die eine Sorge, ugch Hause, so schnell als möglich in die Heimat, zu den lieben Eltern und Angehörigen, von denen uns dieser Krieg ja getrennt; war uns doch auch jeder schriftliche Ver kehr mir ihnen unmöglich gemacht. Die bange Sorge, ob ste wohl noch leben und wie es ibnen ergehen möge, beseelte auch unfern Frennd, und nun gar mit der Todeswunde hier so fern der Heimgt, konzentrierten sich seine ohnehin so schwachen Kräfte nur noch in dem einen Drillen, nur aushalten bis zur Ankunft ig der Heimat. Ungezghlte Stunden habe ich bei ihm verbracht, wenn er im bequemen Liegestuhl auf der luftigen Veranda saß, den Blick hinüber gerichtet in das weite Tal des AconcaguaflusteS und auf die in bläulichem Dunst der Sonnenglnt rings er hobenen kahlen Berge der Kordillere, während die Riesen- llätter der längs des Gebäudes stehenden Fächerpalmen leise im Münde raschelten. Münn stch dann seine Lippen zu Worten formten, so ivar es das Wiort „Heimat". Alle Fahrpläne mußte ick ihm besorgen, alle IUöalichkeiten der Reise wurd-n besprochen: die Fahrt mit der Transandenbahn, die bis ;u 4000 m Höhe führt, kam, trotzdem ste über Argentinien sie kürzeste Verbindung mit Europa ermöglicht, wegen der Be schwerlichkeiten nicht in Frage. So blieb nur die Dampfer reise mit einer euroväisck-m '-4 bolländilchen Linie, von Valparaiso durch den Panama-Kanal direkt nach Europa. Dock gerade hierzu konnten wir die Erlaubnis der amerika nischen Kanalbehördc nicht erlangen. Kein deutscher StaatZ- - ngcböriger durfte noch den Kanal passieren, aus Besorgnis, er könne die Anlagen zerstören. Das war Kriegszustand trotz Friedcnsvcrtrag! Selbst l920 wurde eine deutsche Freundin von mir vor der Einfahrt in den Kanal vom Schiff geholt, in verschossenem Bahnwaqen über Land befördert und am anderen Ende wieder an Bord gebracht. Währenddessen schrieb unser Freund fleißig Briefe an seine Angehörigen, ohne je eine Antwort zu erhalten. Als berechtigte Aussicht auf Ertei lung der Ausreiseerlaubnis bestand, gab ich für ihn ein Kabel te legramm an seine Eltern auf. Nun wartete er Stunde um Stunde quf Antwort. Fast jeden Tag ritt eines von uns nach ter put zwei Stunden entfernten Poststation, um dort Briefe und Zeitungen abzuholen. Dieses sekmsüchtige und ergebnislose Maarten zermürbte auch noch seine Nerven. Immer kraftloser und schwächer wurde das Flackern des Lebensflämmchens, so daß wir schon Nachtwachen einrichteten. Es war Herzzerreißens, wenn seine blutlosen Lippen immer wieder von Eltern, Brief und Heimat sprachen. Es war im April, der Herbst hält hier oben in der Kordillere seinen Einzug früher als in der Tief ebene, rauhe Nebel zogen an den kahlen Berghängen dahin; auf den höheren Kuppen lag schon Schnee, wolkenbruchartige Reqenfälle melden schon das Nahen des 2Dinters, doch die Ernte war geborgen. Da kam auch der Schnitter Tod in unfern weltentlegenen Münkel und holte stch sein Opfer. Frau Anna, die Gattin des Hotelpächterö, eine herzensgute Öster reicherin, hatte ihm eben ein Getränk gebracht, da hatte er sie zu sich herangebeten, hatte noch ein letztes Nkal die MTorte Eltern — Heimat gestammelt, dann hatte ihm die Frau ihren Arm unter den Kopf geschoben, der so schwer in den Kisten lag, langsam hatte er das Gesteht der Moand zugekehrt und in seinem letzten schweren Seufzer war sein junges Leben ent flohen, in eine neue Heimat. Nach Landesgesetz mußten wir den Toten innerhalb 24 Stunden begraben. So brachte am anderen Tage der von zwei INaultieren gezogene Leichenwagen den mit reichem Blumenschmuck bedeckten Sarg, begleitet von uns wenigen Deutschen, nach dem zwei Stunden entfernten Friedhof der kleinen Provinzstadt Los Andes. Da der hier dominierende katholische Klerus für Nichtkatholiken keinerlei religiöse Feier veranstaltet, so hielt der anwesende deutsche Konsul eine ergreifende Grabrede. Nachdem stch das Grab über dem mit der ungestillten Heimatsehnsucht Dahingegangenen geschloßen hatte, traten wir den Heimweg an, nicht ohne vorher nochmals auf der Post nach Briefen zu fragen. Unter den eingegangenen Sendungen befand sich ein Brief an den soeben zur letzten Ruhe gebetteten Freund — ein Brief — der erste von seinen treuen, besorgten Eltern. — Zu spät — um 24 Stunden zu spät! — In Gegenwart des Konsuls haben wir den Brief geöffnet. Mae sprach aus jedem Wort die bange Sorge der treuen Nkuttcr! Wie suchte der Vater dem Sohne Hoffnung und Nkut zu stärken bis zum 'Wiedersehen in der lieben Heimat! ^Welche Freude, welche Erleichterung wäre es für den Toten gewesen, wenn ihn der Brief noch erreicht hätte. Heimat und Fremde, räumlich so weit getrennt, und doch im Geiste so eng verbunden! Heimaterde Ich hatte meine Tätigkeit nach Curico, einer kleinen Pro vinzstadt Südchiles, verlegt. In wenigen Tagen war das Nest von der Neuigkeit erfüllt, daß ein „aleman" unter ihnen wohne. Curico besaß wohl die schönste „Plaza" von Chile. M5enn Sonntags mittags oder einmal abends die Kapelle des dort in Garnison liegenden Dragoner Regiments in dem kunst voll verzierten Nkusikpavillon das so beliebte Konzert veran staltete, war eben nach guter Landessitte alles, was sich zur Gesellschaft rechnete, in den peinlichst gepflegten Anlagen der Plaza versammelt. ^Während die älteren Herren gruppen- und paarweise Lokal- und Reichspolitik treiben, sitzen deren Ehe frauen behäbig aus den zahlreich ausgestellten Bänken und be obachten die vorbeidefilierende Jugend, die nach Geschlechtern und sozialen Klassen getrennt, bei fröhlicher Unterhaltung in beiden Richtungen die Plaza umschrcitet. Nur den Verlobten erlaubt es die Sitte, sich hier zusammen zu zeigen, während die übrigen diese einzige Gelegenheit benutzen, um sich im Vorbei gehen zündende Blicke und Schmeicheleien zuzuwcrfen. Da es hier überhaupt die einzige Veranstaltung war, welche das täg liche Einerlei verschönte, so wohnte auch ich jeder Platzmusik bei. Es ivar dies zur Zeit, wo in Europa der Krieg tobte, und so drängten sich immer verschiedene Personen an mich heran, in der Erwartung, von mir etwas Näheres über Fortgang und Ende desselben zu erfahren. Im Allgemeinen war ja die