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Im Isulihek ^el)ekclokk Daß die Oberlausitz das Gebiet der weltbekannten säch sischen IDebindustric ist — an dieser Tatsache kann wohl nie mand vorübergehen. Ilkan c>enkt an die ansehnlichen Fabriken in den Zndnstriedörfern Bautzen und Zittau, man denkt an die Tuchmacherei zu Kamenz, die Bandweberei in Groß röhrsdorf—Pulsnitz. And man verbindet damit Ilkaschi.ien- geräusch, rauchende Schornsteine, Arbeirerkolonnen, die mor gens in die Fabriktore strömen. Aber Hinterm TLebstuhle hocken, der statt durch elektrische Kraft noch wie vor vielen hundert Zähren einzig durch die Gelenkigkei der Hände und Füße be dient wird —, das ist doch wohl nur ein schönes Bild für das Oskar-Seyffert-Museum, das gibt es doch wohl nicht mehr. Nur mit Staunen läßt inan sich davon überzeugen, daß die Oberlausitz nicht nur das Land einer weltberühmten Indu strie, sondern auch das Land einer erstaunlich treuen Anhäng lichkeit am Althergebrachten ist, wenn da zugleich mit einem Brief von Freunden aus der Sommerfrische ein Fleckchen glatter, glänzender, granweißer Leincwand aus dem Umschlag herausfällt, mit der Bemerkung dazu: „Eine Probe von den Handtüchern, die ich mir hier im Dorf von einem Handweber für die Ausstattung weben lasse. Ich darf dabei zusehen. Es ist wundervoll, besonders an Regentagen." Ilkan wendet das Fleckchen Leinewand hin und her, Lieder fallen einem ein von der „sauberen Zunft der Leineweber", der Takt uralter lDebertänze klopft im Ohr, wie hieß doch der Text dazu —: Vyebe Leinen — webe Leinen —. Ilkan weiß es nicht mehr so ganz genau, aber man greift nach Karte und Kursbuch, ganz selbstverständlich, uno fährt los. Es ist ein scheußlicher Regentag. Der Wind peitscht graue Waßec- strähnen gegen die Scheiben, und die Leute, die einsteigen, haben triefende Schirme, tropfende Ilkäntel. Die Lausitzer Berge sind sanft verhängt von feinen Silberschleiern. Wie hinter ein Ilkilchglasfenster gestellt sehen ste aus. Und dann ist man da lind stellt sich Wind und Wetter. Eine nasse Straße führt steil bergan. An den Ehaußec- bäumen röten sich die Ebereschen, Ilkargueriten stehen in den Wiesen, ein Stück Bauernwald versperrt den Blick ins Tal. Uber eine saftgrüne Hochebene breitet sich das Dorf. IDeifa heißt es, und aus der Webertechnik entlehnt klingt sein Name. Und es ist ein richtiges Obcrlansttzer IDeberdorf. Haus an Haus zeigt sich in der einzig schönen Oberlausttzer Bauform mit dem kühnbvgigen „Unigebinde" rund um die Wohnstube, das auf Holzfäulen Obergeschoß und Dach herausrückt und trägt. Es gibt verschiedene Erklärungen für diese Bauweise. Die einen sagen, es sei wegen der kalten Lansttzer Winter. Man stopfe in den Eismonaten die Zwischenräume mit Stroh ans und sitze dann wärmer als hinter Stein, die anderen füh ren es ans Sparsamkeitsrücksichten zurück und die drilt-n schließlich ziehen die Weberei als Grund heran. Der IDeb- stuhl, behaupten sie, erschüttert auf die Dauer die leichten Bauernhäuser so sehr, daß die IDände rissig werden. Und darum baute man die IDebstnbe vollkommen für sich und setzte das übrige Haus auf Säulen darüber. Wahrscheinlich haben alle drei Gründe irgendwie hineingespielt. Festzustellen ist es nicht, und daß trotz allem und vor allem dabei ein erstaunlicher Ginn für Formellschönheit am Werke gewesen ist, erscheint wesentlicher als alle Nützlichkeitserwägungen. Überall in die sem Dorfe spricht Schönheit. Sie spricht aus dem frohen bunte» Anstrich von Balken und Maner, ans der geschlossenen Form des blaugeschiefcrten Obergeschoßes, aus den Blumen, die weiß und rot in Töpfen vor den Fenstern wuchern und im HauSgärtchen prangen, und ans den grüurankenden Reben stöcken, die weiche Bogen über die Hauswand schlagen. Es muß einmal ein wohlhabendes Dorf gewesen sein, damals vor vier Jahrhunderten, als Nürnberger Kaufleute bis herauf nach Sachsen kamen, um Oberlausitzer Webwaren zu kaufen, als in jedem Hause des Winters, wenn die Felder kahl waren, im Takt die IDebstühle klapperten und der Bauer mit dem Hand wagen in zwei Tagen bis nach Leipzig zur Nkesse marschierte. IDaS von alters her geübt wurde, das ist auch so geblieben. Noch heute setzt sich der Bauer an Regentagen und im IDin- ter hinter den IDebstuhl in der großen Stube mit dem Kachel ofen. Und arbeitet er nicht zum Verkauf, dann tut er es für den Hausbedarf. Nkan sieht es den größten Bauernhäusern noch heute an, daß ihre Herren nicht nur Bauern, sondern auch „Unternehmer" waren, Unternehmer im kleinen, die die Häus ler des Dorfes das Garn verweben ließen, das sie ihnen gaben. „Verlagssystem", so nennt man das wohl mit einem volks wirtschaftlichen Ausdruck. Es ist überall dasselbe, ob man nun in Weifa oder Ebersbach, in Hintergersdorf oder in IDalters- vorf in eine IDeberstube tritt. Überall die gleiche peinliche Sauberkeit, die sich schon dem äußeren Bilde aufprägt, überall die niedrige Stubendecke mit den massigen Holzbalken, die klei nen Fensterchen und der riesengroß amnntende IDebstuhl, der den schönsten Platz des Hauses einnimmt. Wir müßen ein wenig durch die naßen Wiesen stapfen, wenn wir Vater Pietzsch besuchen wollen. Vater Pietzsch be wohnt ein liebes, kleines grüngestrichenes Häuschen hinter dem Dorfplatz. Schon von weitem hört man das taktmäßige Stampfen seiner Holzmaschinerie. Sie sitzen zu zweit über der Weberei, Vater und Mutter, und das Zimmer scheint aus weiter nichts zu bestehen, als aus den beiden Stühlen, die den Lebenserwerb der Familie dar stellen. Der blitzblank gescheuerte Tisch, der Schrank mit den Ivie Zinnsoldaten aneinandcrgereihten Tellern, die wunderbare alte Bauernuhr an der IDand, das alles verschwindet, wird unwesentlich. Vater sitzt hinter dem großen breiten Stuhl. IDeiter bemerkt man zunächst gar nichts. Nur vielleicht noch das: Einsam und verlaßen, lange haltend, weil sehr geschont, stehen die Pantoffeln in der Stube. Ein richtiger Weber zieht die Schuhe aus, ehe er an die Arbeit gehr. Iüit den gelenkigen bloßen oder bestrmnpften Füßen bedient er die Trittschemel, das hölzerne Räderwerk und entwirrt die Schnuren, die der Reich weite seines Armes entzogen sind. Vater webt. Klapp, klapp, machen die Tritte, ritsch— ratsch, saust der Schütze durch die Fäden, wie ein Hampel mann folgsam dem Zug der vielfach geknoteten Strippe ge horchend. Drei Zentimeter, vier Zentimeter — die Zeit läntt auf hölzern klappernden Schritten, das schöne, kräftige Bett tuch wächst. Zwei Stunden lang braucht man für einen MAcr, oder auch länger, wie es gerade „geht", das ist verschieden an den einzelnen Tagen, ünd dafür zahlt der Fabrikant zwanzig Pfennige unten in „Cunewale". Wie lange Vater Pietzsch schon webt? Er lacht. Bereits als zehnjähriger Zunge hat er hinter dem IDebstuhl gesessen. Scheuertücher waren seine erste Arbeit. Aber damals ging es noch nicht so einfach, denn da hatte man noch keinen „Schnell schützen" am Stuhl. Zmmer mit der Hand warf man c>ic Garnspule durch. Einmal von rechts, einmal von links. Das ging natürlich langsamer als heutzutage. Und jetzt? Za, jetzt ist das 50 jährige Bcrufsjubiläum lange vorbei. Das heißt, von Jubiläum ist nicht die Rede, gefeiert hat mau das nicht. Man hat gewebt wie alle Tage, schönen, weißen Bettuchstoff — ohne jede Appretur bitte, darauf ist Vater Pietzsch beson-