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972 O. Das achtzehnte Jahrh. in den vier ersten Jahrzehnten. l, Herrn huter, Me thodisten, Sweden- borgianer, Zinzendorf l70t>—«v. 1722, torischen Geiste seine Energie und erschien als „matthcrzigc Gcfühlsreligion, weiche, nächst der Scheu vor jeder weltlichen Freude und Herrlichkeit, das Christcnlhuin unter dem alleinigen Gesichtspunkt des natürlichen Sündcnclcnds und der Rechtfertigung durch den Vcrsöhnungstod auffaßtc". Ein hochinüthigcr Sectengcist, gegründet auf den Glauben an eine geistige „Wiedergeburt" oder „Erweckung", trat an die Stelle der frühem Hcrzenscinfalt und Christenlicbe und bewirkte, daß der Pietismus in einem sitt lich entnervenden Sündcnbewußtsein ohne freudige Glaubenskraft, in einer einseitigen Methode eines ängstlichen und weltsiüchtigen Lebens verkam. Den wissenschaftlichen Studien abgewandt drang er als Sektenglaubcn in einzelne religiös angeregte Laicn- krcisc, wo er in den mittleren und unteren Volksschichten durch „Conventikel" sich sort- pflanzte, aber auch mitunter in der aristokratischen Welt an Fürsten- und Grascnhvsen „als eine Art Modesache gepflegt und von „schönen Seelen" auch ästhetisch schmackhaft befunden wurde". In der Stille des Hauses und der Conventikel verfiel der Pietismus bald der weinerlichen Gcfühlscligkcit und der eitlen Sclbstbcspiegclung der Auscrwähltcn. Unter der Form einer Gcmeindcverfassung erscheint der Pietismus in der vom Grafen von Zinzendorf gegründeten Herrnhuter Brüdergemeinde, Böhmische und Mährische Brüder, die, vor Oesterreichs Rcligionsverfolgungen flüchtend, sich auf des Grafen Gütern in der Lausitz niedergelassen und das Dorf Hcrrnhut gegründet, bildeten die Grundlage der von Zinzendorf selbst eingerichteten Religionsgemeinschaft, die sich dem Lchrbegriff nach der Augsburger Confessio» anschloß, aber eine cigcnthüm- liche kirchlich-politische Verfassung annahm und eine auf genauer Kenntniß aller Mit glieder beruhende strenge Kirchenzucht einführte. Die sanfte, tändelnde, mit sinn lichen Bildern und Gleichnissen überfüllte Sprache der Herrnhuter gab ihren Reden und Liedern, die der unmittelbare Erguß des Herzens sein sollten, ein mattes, süßliches Gepräge, Um den verschiedenen protestantischen Consessionen den Zutritt zu erleichtern, gestattete Zinzendorf drei Arten (Tropen) des Lehrbcgriffs, den mährischen, lutherischen und reformirtcn; denn das Wesen der Brüdcrunität sollte nicht in einem besonder» Lchrbegriff, sondern in der christlichen Färbung und religiösen Gemüthlichkeit und in der traulichsten Liebe zum Heilande bestehen. Das deutsche Clement in der Brüderge meinde bildete mehr das heimathliche Stillleben aus, das mährische aber, dem Leiden und Wirken für den Herrn zur andern Natur geworden war, ergriff die Pilgerschaft, um dem Heiland Seelen zu gewinnen, Glaubensboten (Missionare) trugen die Ansichten der Herrnhuter ins Ausland und unter die Heiden Wcstindicns, Afrika's und Amcrika's; die Heidcnmission wurde ein wesentlicher Bestandthcil ihres Gemeindelebcns, Die Herrn huter verpflanzten ihr stilles Haus-, Familien-, Handwerker- und Zndustrieleben unter die heidnischen Naturvölker, um ihnen erst Beispiel und Grundlage für ein höher ge stiftetes, nach göttlicher Anordnung eingerichtetes Christcnlcben mit Familie und Arbeit darzubieten. Die Verfassung der Herrnhuter Kirchengemcinde ist den ersten Christengemeinden Hoch gebildet, Aeltcstc, Bischöfe und Diaconen bilden die Vorsteher der Gemeinde, die aus mehreren <nach Alter, Geschlecht und ehelichem Stande getrennten) Chören besteht. Jeder Chor hat einen eigenen Chorherr» zur Leitung der Seelsorge und Andachtsübungen, Die ganze Brüder-Unität wird durch die von der Geueralsynode ernannten und alle vier bis zehn Jahre ergänzten Aeltestcn- Confcrcnzen verwaltet, — Die Kirchcnzucht wird strenge gehandhabt, Unsittliche werden zuerst durch ernste Vermahnungen zur Besserung aufgefordcrt bleiben diese wirkungslos, so erfolgt Ausschließung vom Abendmahl und endlich Ausstoßung aus dem Gemeindevcrband, Strenge, aus häufiger Andachtsübung und Communion beruhende Kirchlichkeit, verbunden mit Arbeit samkeit, Reinlichkeit, Fernhaltung weltlicher Mode- und Spielsucht und Lustbarkeit sind die Mittel zur Bewahrung kirchlichen Sinnes und eines sittlichen Wandels, Die Geschlechter werden getrennt gehalten und die Ehen nur mit Bewilligung der Aeltcftcn geschlossen, Handel, Gewecb- fleiß und Sparsamkeit erzeugen Wohlstand, Line unter der Leitung der Acltestcnconferenz 1