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V. Preußen und das deutsche Reich. 969 lich zu neuen theologischen Entzweiungen und Streitigkeiten. Besonders waren die Braunschwcigcr Lande, wo non jeher eine liberalere Auffassung heimisch war und die Eoncordienformel nie Eingang gesunden, der Boden solcher Bereinigungbestrebungen. So suchte während des dreißigjährigen Kncgcs Georg Lalirtus (Lalliscn) aus dein Schleswigschen, ein edler, vorurtheilsfreier, durch Studien und Reisen vielseitig gebildeter ' Mann, als Professor der Universität Helmitädt der Theologie eine freiere Haltung zu geben, indem er gute Werke, d. h. einen sittlichen Wandel höher stellte als den Glauben an den Buchstaben der Bekenntnißschriftcn, im Geiste Melanchthons die ircnischcn Be strebungen zu fördern suchte und eine Bereinigung der verschiedenen Confessionen als möglich darstcllte, wenn alle auf die Eoncilicnbeschlüssc der fünf ersten Jahrhunderte zurückgingen und sich damit begnügten. Alle christlichen Kirche», lehrte er, seien im Grunde des Glaubens einig und alle Glieder derselben, welche auf diesem Glaubens grund ständen, würden einst der Seligkeit theilhastig werden. Er meinte, man könne den päpstlichen Primat unter gewissen Beschränkungen cinränmcn, das Abendmahl als Opfer, und Gebete für die Tobten gelten lassen. Aber wie entbrannte der Zorn der orthodoxen Lutheraner in Wittenberg und Leipzig gegen solche Verirrungen! Man nannte das Streben des Calixtus Rcligionsmengcrci (Synkretismus), schalt ihn einen geheimen Papisten, und als er im Auftrag des Kurfürsten von Brandenburg dem Reli gionsgespräch in Thorn beiwohnte (1645), wo eine Verständigung zwischen Katholiken nnd Dissidenten und zwischen Lutheranern und Rcformirten ungebahnt werden sollte, kündigten ihn» die orthodoxen Zeloten, an ihrer Spitze der streitbare Zionswächter Abrah. Calovins und der Dresdener Oberhofprcdiger Jacob Weller die Gemeinschaft mit ihrer Kirche auf; ja sie bewogen sogar den Kurfürsten von Sachsen, daß er den Braun- schweiger Hof zu Maßregeln der Strenge auffordcrtc. Calixtus fand jedoch Schutz bei seinein Fürsten, Anerkennung bei seinen Hclmstädtcr College», insbesondere bei Herin. Conring, dem größten Gelehrten seiner Zeit und Achtung bei den höheren Ständen des In- und Auslandes. Aber der Uebertritt einiger seiner Schüler zur katholischen Kirche rechtfertigte das Mißtrauen und die Furcht seiner Widersacher über die Wirkungen einer religiösen Richtung, die unter dem Schild der Milde und Verträglichkeit gegen Andere den Jndifferentismus gegen die eigene Sache in sich berge. Der syncretistische Streit hielt die Geister noch lange in Bewegung und die latitudinarischen und ircnischcn Ideen, die dabei zu Tage traten, weckten neue Unionsbestrcbungcn in beiden Heerlagern. Wenn die ewige Seligkeit unter allen Glaubenssormcn erzielt, der Papst nicht als der Antichrist verworfen, die altchristliche bischöfliche Kirchcnverfassung zugclasscn werden konnte, sollte da nicht eine Grundlage gefunden werden, auf welcher eine Lebensgemeinschaft bestehen könnte, bis eine allgemeine Kirchenversammlung, auf welcher auch die Protestanten Sitz und Stimme hätten, eine neue Entscheidung treffen würde? Mit solchen Absichten bereiste Christoph Rojas de Spinola, Bischof von Wienerisch-Ncustadt im Aufträge des Papstes und des Kaisers insgeheim verschiedene deutsche Länder, um bei den pro testantischen Höfen und Geistlichen in diesem Sinne zu wirken. In Hannover und Braunschwcig, wo man eine Annäherung an das Kaiserhaus suchte und die Calirti- nischen Ansichten die konfessionellen Gegensätze abgeschwächt hatten, waren die Be mühungen nicht ganz erfolglos. Nicht nur, daß der erste Geistliche des Landes, Gerhard Molanus die kirchliche Vereinigung für möglich und wünschenswerth hielt; auch ein so bedeutender Gelehrter wie Leibniz beschäftigte sich mit dein Plane einer Union zur Ver söhnung der Welt und zur Förderung der Wissenschaft. Er trat in Unterhandlung mit Bosiuct, „welcher Pricstcrehe, Kelch und die Messe in der Volkssprache zugestand, wäh rend Leibniz die katholische Kirchcnverfassung als menschliche Einrichtung für annehmbar achtete und mit dem Spiele seiner Gedanken sich auch in das katholische Dogma hinein-